Gefährlicher Sommer (Teil 15; 1. Hälfte) - Page 4

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von Annelie Kelch

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hast du denn gedacht, Mutti?“, fragte ich treuherzig.
„Nichts, natürlich ni-ni-nichts“, stotterte sie verlegen.
„Wissen Sie, Frau Kleve, es ist nämlich so“, begann Hannes lächelnd. „Mein Vater will nächstes Jahr mit mir nach Afrika auf Safari und als Katja mir erzählte, dass in ihrem Kleiderschrank Modejournale herumliegen, habe ich gedacht: schau doch mal rein. Vielleicht findest du dort praktische, modische Anzüge für Vater und dich.“
Ich musste mich immens beherrschen, um nicht herauszuplatzen, liebe Christine.
„J-a-a natürlich, Hannes“, stotterte Mutti. „Dann viel Spaß noch.“ Sie nickte uns zu und schloss etwas unsicher die Tür hinter sich.
Ich presste mir die Hand auf den Mund und prustete los. Hannes hatte sein Gesicht in mein Kopfkissen gedrückt, hielt sich die knochigen Seiten und erstickte sein Gelächter. Wir konnten und konnten nicht wieder aufhören. Jedes Mal, wenn wir einander ansahen, begannen wir aufs Neue zu lachen. Ich stellte mir Hannes und seinen Vater in Safarianzügen vor und wurde von immer neuen Lachkrämpfen geschüttelt.
Als Hannes endlich sein Gesicht aus meinem Kissen hob, sah ich, dass Tränen über seine Wangen liefen.
„Wir sind albern“, stellte er plötzlich fest und sah mich mit todernster Miene an, worüber es mich vor Lachen nicht mehr auf dem Stuhl hielt. Ich glitt auf den Fußboden, und der Stuhl fiel polternd nach hinten.
„Katja“, tadelte mich Hannes empört und zeigte mir einen Vogel. Ich hätte bis zum Abendessen nichts weiter als lachen können über diese einmalig urkomische Situation, liebe Christine. Mutti wäre fuchsteufelswild geworden, hätte sie gewusst, dass Hannes sie zum Narren gehalten hat.
„Es wird ernst, Katja. Reiß dich zusammen. Denk gefälligst an den armen Knut“, schimpfte Hannes. „Wir müssen Helge eine unmissverständliche Nachricht zukommen lassen.
„Ja, Hannes“, sagte ich, stand augenblicklich auf, wischte mir erschöpft die Lachtränen vom Gesicht, hob den Stuhl auf, setzte mich kerzengerade drauf und versuchte, eine ernste, verschwörerische Miene aufzusetzen. – Hannes grinste.
„Los jetzt, Katja, „denk bitte nach. Was schreiben wir dem ,lieben' Helge?“, fragte er.
„Wir wissen alles“, schlug ich vor.
„Quatsch! Alles! Weiberkram!“, winkte Hannes verächtlich ab.
„Konny weiß alles. Aber wir ...“
„Konny weiß längst nicht alles“, protestierte ich.
„Stimmt“, erwiderte Hannes. „Er weiß zum Beispiel nicht, ob du mich liebst.“
„Und er weiß leider auch nicht, wer Knut umgebracht hat. Dann könnten wir uns diesen ganzen Unsinn hier sparen“, ergänzte ich.
„Sag bitte nicht Unsinn!“, Hannes sah mich eindringlich an. „Wir haben eine wichtige Mission zu erfüllen.“
„Schreib“, begann ich. „Schreib: ,Ich weiß, wer Knut auf dem Gewissen hat. Und damit ich das ganz schnell wieder vergesse, musst du eine Kleinigkeit hinterlegen, lieber Helge: Nicht mehr und nicht weniger als fünf Mille in bar. Wo und wann, lasse ich dich rechtzeitig wissen. Gruß! Mr Knowledge.'“
„Lässt sich hören, Katja“, sagte Hannes gönnerhaft. „Ziemlich professionell sogar, aber den Gruß lassen wir weg. Womöglich freut sich dieser Typ noch darüber. Sag mal, machst du das eigentlich öfter?“
Ich lachte. „Nein, Hannes. Natürlich nicht. Aber hast du schon mal was von Jerry Cotton gehört?“
„Jerry Cotton?“, fragte Hannes. „Wer ist das? Muss man den kennen?“ Er griente schon wieder. „Irgendein Forscher, Politiker oder Erfinder vielleicht?“
„Vergiss es“, sagte ich, bevor er weiter herumspinnen konnte und dachte voller Scham an jenen Tag zurück, als mich mein Klassenlehrer mit einem dieser Groschenromane ertappte, die ich im Geschichtsunterricht, unter der Bank verborgen, zu verschlingen pflegte. Drei Jahre mochten seither vergangen sein. Ich kann mich noch vage daran erinnern, dass Karl IV. auf dem Stundenplan stand, der sich gegen den Schmalkaldischen Bund wehren musste, was mich damals nicht die Bohne interessierte. Denn weder Karl IV. noch Friedrich Barbarossa noch die Bayerischen Erbfolgekriege konnten es mit Jerry Cotton aufnehmen, der mit Bravour und lässiger Eleganz einen Kriminalfall nach dem anderen löste.
„Na dann wollen wir mal.“ Hannes nahm ein Journal vom Stapel, öffnete, ohne mich vorher zu fragen, die oberste Schublade der kleinen Nachtkommode, angelte, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, eine Schere heraus und ließ sie um ein großes, schwarzes „I“ aus dem Wort „Ich“ kreisen.
„Ich liebe die Winterszeit“, hieß das Motto, unter dem weibliche Models die neueste Wintermode repräsentierten.
„Und was ist, wenn Frau Brandner gera­de diese Modezeitschrift braucht?“, wandte ich zaghaft ein.
„Katja“, seufzte Hannes und blätterte flüchtig das Journal durch. „Sieh dir doch mal diese Mumien an und erst die Kleidung!“
Er deutete auf ein sehr hübsches Mannequin, das seine Hände in einen schwarzen Muff gesteckt hatte und ihr Gesicht verzog, als ob es fürchterlich kalt sei und sie kurz vorm Erfrieren wäre. Eine überdimensionale Bärenfellmütze in Grau thronte auf ihrem Kopf und ihr Körper steckte in einem Uniformmantel mit Schultertrassen, auf denen Knöpfe saßen, die aussahen wie Bleikugeln. Der Mantel war eben­falls grau, knöchellang und unförmig. Ein breiter schwarzer Pelzbesatz prang­te auf dem Saum.
„Glaubst du etwa, die Gnädigste würde sich damit vom Hof wagen?“, fuhr Hannes selbstbewusst und überzeugend fort. „Nicht mal zum Fasching kämen solche Horrorklamotten für sie in Frage.“
„Aber in der sibirischen Taiga, dem größten zusammenhängenden Waldgebiet unserer Erde, dem kältesten bewohnten Ort unseres Planeten ...“, flüsterte ich zaghaft.
„Hier gibt es aber keine sibi­rische Taiga, Katja“, erwiderte Hannes mit fester Stimme. „Hier gibt es nur den Lachauer Forst. Und der sollte dir mittlerweile reichen. Und nun hilf mir endlich, sonst sitzen wir morgen noch hier herum. Hoffentlich kommt deine Mutter nicht wieder einfach ins Zimmer spaziert.“
„Sie hat vorher angeklopft“, verteidigte ich Mutti.
„Schließ endlich ab, Katja“, zischte Hannes. „Dies hier ist kein Spaß mehr.“
Ich sprang auf, drehte den Schlüssel herum und zog ihn ab. Falls Mutti zurückkäme, würde sie glauben, ich sei irgendwo auf dem Hof.
Wir waren beim großen „K“ für „Knowledge“ angekommen und Hannes amüsierte sich königlich über ein Model, das unter der Über­schrift „Geschichten am Kamin“ vorm offenen Feuer stand. Bekleidet mit einem langen, schulterfreien Abendkleid in Türkis schmachtete sie gefühlvoll die lodernden Flammen an und mir wurde ganz heiß ums Herz, als jemand geräuschvoll die Treppen hochgepoltert kam.
„Leni“, flüsterte ich.
Die feierliche Stimmung war plötzlich verflogen. Wir hörten die „Zweite Dame des Hauses“ den Flur entlangstapfen und ihre Wohnungstür aufschließen. Ein Weilchen war es mucksmäuschenstill. Dann quietschten ein paar Sprungfedern und nach wenigen Minuten

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