Conny hatte inzwischen eine Flasche Crémant de Loire und zwei edle Kristallgläser hereingebracht, beides stellte sie auf ein elegantes weißes Tischchen nahe dem Fenster, durch das man einen Blick auf die Hamburger Außenalster werfen konnte. Der Wind war an diesem Tag ganz ruhig, sanfte Wellen kräuselten sich auf dem graublauschimmernden Wasser, einige Segelboote dümpelten träge in der langsam untergehenden Sonne.
Versonnen sah ich einen Augenblick diesem wundervollen Schauspiel zu, dann erschrak ich: „Oh, Conny, ich glaube ich sollte dich jetzt lieber in Ruhe lassen, ich habe gar nicht bemerkt wie schnell die Zeit vergangen ist, bitte entschuldige.“
„Nein, nein, bitte bleib noch, es ist so spannend, ich möchte unbedingt noch erfahren, was dein Opa gesagt hat, als er deine Mutter zum ersten Mal sah.“
„Na, also gut, aber schmeiß mich einfach raus, wenn es dir zu viel wird wird, ja?", fragte ich Conny.
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Unsicher folgte mein Großvater der Krankenschwester, vor der Tür, hinter der seine Frau Ella und das Neugeborene lagen, zögerte er, nervös strich er sich mit der linken Hand sein schwarzes Haar zurück, dann klopfte er vorsichtig an die Tür.
Von innen kam Ellas schwaches: „Ja bitte“, Johann räusperte sich, dann betrat er das Zimmer.
Da lag sie, seine geliebte Ella, ihr Gesicht war kreidebleich, ihr langes welliges Haar lag wie ein Seidenschleier auf dem Kopfkissen, in ihrem Arm lag, in eine Decke gewickelt, ein winziges Bündel. Johanns Herz pochte ihm bis zum Hals, dann trat er, langsam und etwas unbeholfen, einen kleinen Schritt näher.
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„Komm doch, mein Schatz, wir beißen nicht, begrüße deine kleine Tochter!“
„Geht es dir gut, meine Ella?", fragte er, „und dem kleinen Mädchen?“
„Aber ja, nun komm schon und sieh selbst“, erwiderte Ella müde.
Gehorsam trat mein Großvater an das Bett, langsam hob er seine Augenlider und er blickte direkt in die schönsten Augen, die er je zu sehen glaubte, ein Schauer lief ihm über den Rücken. Die Kleine schien ihn anzusehen, aber ihm war klar, dass es noch gar nicht möglich war und dass sich die Augen des Säuglings erst an das Licht gewöhnen mussten, auch würde sich wohl die Farbe der Augen noch ändern. Aber was er jetzt sah, raubte ihm beinahe den Atem. Die Augen der Kleinen waren hellgrün und auf dem Köpfchen zeichnete sich blonder Haarflaum ab, er selbst hatte graue Augen und die von Ella waren braun, wie die Augen der anderen drei Kinder.
„Sie hat die Augen und die Haarfarbe meiner Mutter“, brachte Johann mit erstickter Stimme mühsam hervor, wobei ihm Tränen in die Augen stiegen. Johanns Mutter Luisa und sein Vater Jakob waren beide tödlich verunglückt, als Johann gerade neun Jahre alt war, seine beiden Brüder Nils und Emil waren damals elf und sechs Jahre alt. Emil, der leibliche Vater der Kleinen, war der Jüngste. Sie alle waren in Dänemark geboren, lebten aber schon seit fünf Jahren in Deutschland, da Jakob eine gute Anstellung am Hamburger Hafen gefunden hatte. Die Cousine seiner Frau hatte Geburtstag und so befand sich die Familie auf dem Weg nach Kopenhagen, kurz vor der Grenze passierte das schreckliche Unglück, die Eltern kamen beide ums Leben. Die drei Söhne, die im Wagen hinten saßen, blieben unverletzt, sie wuchsen fortan im Waisenhaus auf.
Johann konnte seinen Blick nicht von dem Baby wenden, nie hätte er es für möglich gehalten, dass er dieses Kind so sehr lieben würde, wie er es von diesem Moment an tat.
„Nun Johann“, sagte Ella, „gefällt dir unsere kleine Johanna?“
„Möchtest du ihr den Namen Johanna geben?“ fragte er.
„Ja, ich finde, er passt zu ihr, eine kleine Kämpferin, ein paarmal dachte ich, ich würde sie verlieren, aber sie wollte leben, da fiel mir spontan dieser Name ein.“
„Johanna“, flüsterte mein Großvater zärtlich und strich der Kleinen dabei sanft über ihr zartes Köpfchen.
Teil 34 folgt
Copyright©Angélique Duvier
Kommentare
In die Vergangenheit (D)ein Blick -
Geschickt kam fein die Zeit zurück!
LG Axel