Ameths Traum

Bild von Dieter J Baumgart
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     Als Ameth wach wurde, sah er, nicht weit von sich entfernt, unter einem mächtigen Baobab einen Mann sitzen. Der Mann, der offensichtlich einen Stein bearbeitete, war, wie Ameth auch, schwarz, aber seine Haare schimmerten silbrig im Licht der Sonnenstrahlen, die in der Krone des Baumes spielten.
     Ameth war nicht überrascht, mitten in der afrikanischen Savanne wach zu werden, obwohl er doch eben noch mit Abdou und den anderen im Hof des kleinen Kindergartens in Rufisque bei Dakar mit Buntstiften gemalt hatte. Ohne Scheu erhob er sich und beobachtete den alten Mann. Der hatte ihn offensichtlich noch nicht bemerkt, und so machte er sich auf den Weg, um zu erkunden, was jener dort tat. Der Alte ließ sich nicht in seiner Arbeit stören, und Ameth betrachtete fasziniert die verschiedenen Werkzeuge, mit denen der Stein geformt und geglättet wurde.
     Stunden mochten vergangen sein, unmerklich hatte der Stein eine andere Gestalt angenommen. Und plötzlich brach es aus Ameth heraus:
     „Alter Mann, bitte, sag‘ mir, woher wußtest du, daß in diesem Stein ein Elefant ist?“

     „Oh, ist es ein Elefant?“ Der Alte wandte sich zu Ameth um.

     „Ja, aber...“, Ameth stutzte, denn plötzlich erkannte er, daß der Weißhaarige blind war. „Ja, es ist ein wunderschöner Elefant.“

     Der Alte ergriff die Hand des Jungen, führte sie an die Skulptur, bis sie den kühlen Stein berührte: „Schließ die Augen“, forderte er Ameth auf. „Ist es immer noch ein Elefant?“

     „Es ist ein Elefant – er lebt!“

     „Ja, er lebt...“

     Und es war etwas in der Stimme des Alten, das erinnerte Ameth an den Beginn der Regenzeit. Ganz von fern läutete eine Glocke, und es dauerte eine Weile bis Ameth begriff, daß es die Glocke war, die zum Unterricht rief.

     „Du, ich muß dir was erzählen“, wandte sich Ameth an Abdou, „nein, ich schreibe es dir auf, warte...“

     Im Gemeinschaftsraum angekommen, schrieb Ameth seinen ersten zusammenhängenden Satz in Wolof und in Französisch mit einem blauen Farbstift auf weißes Papier:
     ICH HABE MIT GOTT GESPROCHEN. ER IST BLIND.

Hinweis: Zu lesen in Französisch im kleinen Gedichteweg in Mourèze.