Bedingungslos

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Ich weiß, dass die Zeit nach dem Unfall für meinen Mann nicht leicht war. So ein Unfall, besonders dieser Schwere, verändert einen. Nicht nur das Aussehen, auch der Charakter ist betroffen.
Als ich wieder nach Hause kam, war ich natürlich verletzt, als mein Mann im ersten Moment schockiert und vielleicht auch etwas angeekelt war, aber meine Verletzungen waren schwer und wurden nur grob genäht. Mehrere Bereiche an meiner Haut wirkten wie ein Flickenteppich, die Anzahl der Stiche kann ich selbst nur grob schätzen.
Aber er hat mich wieder angenommen. Auch wenn die ersten Umarmungen zögerlich waren, gewöhnte er sich allmählich an mein Erscheinungsbild. Ich weiß, dass er mich liebt. Über alles. Wenn die Liebe nicht so stark wäre, dann würde er mich nicht bei sich behalten.
Die ersten Tage blieben wir zu Hause und saßen die meiste Zeit auf der Couch, redeten miteinander. Anfangs war es nicht ganz leicht, mich zu verstehen. Bei dem Autounfall wurden meine Hals- und Mundregion beschädigt, sodass ich nicht mehr wirklich klar sprechen kann. Mit Händen und Füßen, meinen Satzfetzen und manchmal einer Notiz auf einem Block klappte es dennoch irgendwie. Es war schön wieder miteinander reden zu können und nun, nachdem ich zurückgekehrt war, waren die Gespräche noch viel intensiver. Manchmal musste ich an die Zeit denken, in der wir uns gerade kennengelernt hatten.
Er brachte mir häufig Fleisch, über das ich mich freute, da ich auch zumindest einmal am Tag brauchte. Auch wenn ich ihn in den Zeiten, in denen er das Haus verließ, sehr vermisste.
Manchmal kamen Freunde zu Besuch, dann durfte ich nicht aus dem Zimmer. Ich verstand natürlich, warum er mich in das Zimmer sperrte, aber es verletzte mich.
Eines Abends, als sein bester Freund gerade nach Hause gegangen war, erklärte ich es ihm, sagte ihm wie ich mich fühlte. Mein Ziel war gar nicht, dass er irgendetwas verändert; ich wollte nur, dass er mir zuhört, aber er verstand und reagierte direkt.
Er hatte zu mir gesagt: „Ich stehe zu dir. Wirklich. Und es tut mir Leid, dass ich das nicht genug gezeigt habe.“
Schon zwei Tage später lud er alle Verwandten, alle Freunde ein.
Ich wartete im Zimmer und hörte wie sich draußen die Versammlung langsam eintrudelte und unterhielt. Er hatte nicht erzählt, warum sie herkommen sollten, aber fast alle hatten direkt zugesagt und waren am nächsten Tag erschienen.
„Komm raus“, sagte er. Ich hörte, dass er ganz nah bei der Tür war. Ich war unglaublich aufgeregt, als ich den Türgriff herunterdrückte und in das Zimmer trat, aber gleichzeitig übermannte mich auch ein Gefühl der Erleichterung. Vor mir standen meine geliebten Verwandten und Freunde. Am liebsten hätte ich direkt alle umarmt, doch das was ich in ihren Gesichtern sah, ließ mich innehalten: Entrüstung, Entsetzen, Ekel.
Mehrere Leute waren innerhalb einer Minute herausgestürmt und auch die anderen gingen bald. Mein Mann versuchte noch zu erklären, aber es war zu spät. Das Urteil war gefällt und ich war verstoßen worden. Endgültig.
Als der letzte Gast gegangen war, kam mein Mann zu mir. Ich musste nichts sagen, ich musste kein Zeichen geben, er stand einfach vor mir und sagte: „Ich stehe zu dir. Ich werde immer zu dir stehen. Ich werde für immer zu dir stehen. Ich liebe dich.“
Er sagte mir, dass er mit dem Mann sprechen würde, der mich wieder zum Leben erweckt hatte.
Er sagte mir, dass er einen Schritt weiter gehen würde, dass uns bald niemand mehr trennen würde.
Er sagte mir, dass er jetzt gehen würde und dass ich mir keine Sorgen machen sollte.
Ich wollte nicht, dass er geht, ich wollte nicht, dass er das für mich tut. Er musste dieses Opfer nicht bringen; er musste mir seine Liebe nicht beweisen. Aber sein Entschluss stand fest.
Er instruierte mich, zeigte mir was ich tun sollte. Er war sich nicht hundertprozentig sicher, ob das Ritual funktionieren würde, da ich selbst nicht mehr unter den Lebenden wandelte, aber er ließ es darauf ankommen, ließ sich um nichts in der Welt davon abbringen.
Am Nachmittag sah ich einen Bericht im Fernsehen. Mein Mann war von der Brücke gesprungen. Ich führte alle Schritte präzise durch, kontrollierte mehrmals, ob ich alles richtig gemacht hatte, doch trotzdem hatte ich Sorge, dass es nicht funktionieren würde. Aber am Abend kam er zurück.
Das Ritual, das mir zurück ins Leben geholfen hatte, hatte auch ihm zurück ins Leben geholfen. Ich hatte verstanden, warum er im ersten Moment erschrocken gewesen war. Auch er war entstellt, aber ich wusste, dass er es für mich getan hatte.
Das Ritual hatte funktioniert und ich wusste nun, dass er für immer zu mir stehen würde.
Doch nur einen Tag später bemerkten wir, dass niemand mehr ohne Probleme Fleisch besorgen konnte.

Die Nachbarn waren gerade im Garten.
Wir sollten mal hingehen.

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