Der Abend naht

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von Anita Zöhrer

Tränen schimmern in deinen Augen. Ich habe dich nie belogen und dir dennoch nicht die Wahrheit gesagt. In deiner Enttäuschung lässt du mich frei. Mir zu verzeihen, fällt dir trotz allem nicht schwer.

Ich komme nach Hause, mein Mann erwartet mich bereits. Obwohl ich nicht damit rechne, dass er so ruhig reagiert wie du, bin ich nun auch ehrlich zu ihm. Zorn erwacht in meinem Mann, seine Hand trifft schmerzlich meine Wange.

Der Abend naht, vergebens suche ich nach dir. Meine Entscheidung habe ich getroffen, doch du deine offenbar ebenso. Dass ich mich nicht früher dazu überwunden habe, tut mir leid. Wiedergutmachen möchte ich das Unheil, das ich angerichtet habe.

Jemand liegt regungslos auf der Straße. Ich eile zu ihm hin. Ein heftiger Schock durchfährt meine Glieder, jemand hat dich zusammengeschlagen. Wer es gewesen ist, kann ich mir denken. Mir allein gebe ich die Schuld dafür.

Du liegst auf meinem Schoß. Ich streichle dir übers Haar. Blutbahnen haben sich auf deinem Gesicht gebildet. Blass erscheinst du mir unter dem Licht der Laterne. Ich drücke dir einen Kuss auf deine kalte Stirn. Deine Augen strahlen, kaum etwas kann schlimm genug sein, um dir deinen Lebensmut zu rauben. Ein blinkendes Blaulicht naht sich uns, Sirenengeheul durchdringt die Stille der Nacht. Rettungsleute laufen zu uns, schwer fällt es mir, mich von dir zu trennen.

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