Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

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von Alf Glocker

76. Schritt

Im Schmalzkrampf hochvergötterter Quatschigkeiten erobert sich der rosafarbene Gesamteindruck sein Terrain zurück. Welches? Den Misthaufen! Alles stinkt nach Glück: die Fassadenstädte haben über die Toppen geflaggt. Weiße Fahnen überall! Obwohl es keine weißen Seelen in der Umgebung gibt, meint man meistens ihre Dominanz vor allem dadurch zu spüren, daß Worte salbungsvoll formuliert werden.

Die Notwendigkeit zur Verharmlosung tritt offen zutage, alle falschen Gesichter bekommen den Orden für besondere Hingabe an sogenannte „Höhere Werte“ verliehen. Nur die Hamsterratten bleiben unerschrocken wie eh und je. Sie finden ihre Opfer bei Tag und Nacht. Wer sich jedoch gedanklich selbständig machen will, der wird von einem Komitee für abgelehnten Artenschutz exekutiert.

Das oberste gemeinsame Ziel ist die Herabsetzung der Unterscheidungsmöglichkeit. Dafür werden Universitäten gegründet und Lehrstühle besetzt. In ganz neuen Studienzweigen paukt man die Zerredung des Wesentlichen. Magister der Hohlen Phrasen zu sein genießt höchstes Ansehen. Darüber steht nur noch der Titel „Doktor der leichten Erklärungen“.

Eigene Wissenschaftszweige versuchen herauszufinden, warum eine Katastrophe keine Katastrophe ist und warum alles gut ist, so wie es ist. Neuesten Forschungsergebnissen zufolge erzielen z.B. Kaninchenfördervereine bessere Zuchterfolge wenn sie männliche und weibliche Tiere voneinander trennen. Rammler haben keine Lobby mehr. Und um das Maß voll zu machen hat kürzlich das Bunte Verpassungsgericht in Aalstruhe verkündet, daß nun auch Autos oder Staubsauger heiraten dürfen, wenn nötig sogar durcheinander.

Andere Forschungen, auf dem Gebiet des Einrichtungswesen haben dagegen ergeben, daß große, breite grüne Möbel dieselben Funktionen erfüllen, wie kleine schmale blaue Möbel, auch Beistelltische und Kleiderschränke seien ein und das gleiche, weil Deckenlampen und Verkehrsampeln Jacke wie Hose sind. Der Beifall aus der Bekleidungsindustrie bestätigt dies noch, denn wer im Winter in Grönland Tanga und am Äquator, in der Savanne Wolfspelz trägt ist up to date. Es käme eben nur darauf an alles richtig interpretieren zu wollen.

Selbst Schönheitsideale sollten aus Gründen der Pietät hurtig unter den Tisch gekehrt werden, behauptete kürzlich der allseits beliebte Moderator Üllübrüt von Schlacksaal, da sonst unter anderem vollstschlanke Nilstuten im Vergleich zu bulimistischen Twiggyschwänchen benachteiligt würden. Sämtliche Zwischentypen inbegriffen. Die absolute Gleichstellung aller Mitglieder der Gesellschaft sei oberstes Gebot! Wobei Gleichstellung selbstverständlich nicht mit Gleichstellung verwechselt werden dürfe.

Je nach Herkunftsland seien daher auch die Schachregeln frei interpretierbar. Während der Vetter aus Dingsda immer nur um ein Feld mit den Bauern vorrücken, mit dem Springer aber nur geradeaus ziehen darf, kann der Zauberer von Oz alle Puppen über’s Eck tanzen lassen und mit der Dame auch auf E 9 matt setzen. Das gebiete schon der Anstand, verlautet aus gut unterrichteten Kreisen, innerhalb des Ministeriums für Völkerverständigung.

Keine gravierenden Unterschiede soll es künftig in Sachen „Arbeit“ mehr geben. Hier soll alles noch „flexibler“ geregelt werden. Mindestlöhne sorgen für soziale Gerechtigkeit, wobei das Entgelt für geleistete Dienste immer an der untersten Marke aus Billiglohnländern gemessen wird, damit sich die Zugereisten auch bei uns sofort wie zuhause fühlen können. Zum Ausgleich dafür dürfen sie dann mit dem geringstmöglichen Wohnraum zufrieden sein. Da kann kein Neid mehr aufkommen, da alle gleichermaßen versorgt sind.

Das ist schwebeleicht, geradezu eine Prophezeiung der Erfüllungen, auf dem zärtlichen Boden eines Gottesackers, dessen Paradiese angehimmelt werden dürfen, woher man sich auch immer drehen und wenden mag. Hemisphären der Grazie erfüllen uns mit der Erleuchtung aus unendlicher Güte und der Holdseligkeit angewandter Klein-Gunst! In diesem Lichtverströmen werden wir der Herzensmelodie sämtlicher Gutmenschen gewahr, die, in aller Manierlichkeit einsgeworden sind mit dem erhabenen Heil unserer Wohlbekömmlichkeit, im Frieden und in der Offenbarung des Futurum, schöpferträchtigen Gesamtgefüges.

„Am Leben sein“, heißt die Devise. „Egal wie“ sagen die Verantwortungsträger der Nationen, da sie Nichtzuerahnendes im Sinn haben, und „Auch uns winkt irgendwann einmal das Glück“ antworten die miserablen Milliarden, denn ihre Stärke liegt darin den Spuren zu folgen, die man extra für sie liebevoll vor-ausgetreten hat. Dort liegen die Köder bereit, damit keiner hungern muss: Manna für die richtungslosen Kinder, welche, allein dem sicheren Instinkt folgend, ihrer Verbreitung im Schatten der Windrose entgegensehen.

Was aber soll ich damit anfangen? Ich habe mich verirrt! Abseits der ausgewiesenen Pisten bin ich an fernen Gestaden gestrandet um dort mein Schild „Menschen gesucht“ aufzustellen. Daran hängt meine kleine Laterne, die mir Wege aufzeigen soll, im Flimmer-Dickicht einer Glut-Wüste, deren Ausbreitung sich rasend schnell vollzieht. Obwohl ich aus Leibeskräften um Hilfe rufe, hören mich die Tauben nicht – nicht am Markusplatz, nicht an der Wall Street, nicht in allen Parlamentshäusern der Welt!

Anscheinend habe ich, im Vergleich zu den Papageien das Sprechen verlernt. Meine Metaphern sind zu babylonisch um als Menetekel anerkannt zu werden. Flackern sie denn nicht an der Wand? Brennen sie sich nicht ein in die Hirne der Bauern, Läufer, Springer, Türme, der Damen und Könige? Schlagen sie nicht zwischen den Zeilen flammend empor? Nein, sie sind nur wie die Asche aus allen Erfahrungen, die niemals hätten gemacht werden müssen, da sie ohnehin nichts weiter einbrachten als den inthronisierten Wahnsinn auf Erden.

©Alf Glocker

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