52. Schritt
„Zwischen den Sternen angelt das Glück!“ jodelt der Wunder-Wastl, und ich werde taub von diesem Ohrwurm, der sich wie Staub auf der Seele niederschlägt zu einem unabwaschbaren Film.
Überall auf den Alp-Traum-Hütten im Schnee, wo, an den Abhängen die Leute abhängen, nachdem man mit ihnen schlittengefahren ist, rauchen nicht nur die Schornsteine! Auch die Köpfe verlieren sich, umnebelt, von einer Wirklichkeit in die andere, um ein möglichst fröhliches Bild für den etwaigen Geschlechtspartner abzugeben, der schon zwischen den Schwindeln wartet…
Alles gerät aus dem Gleichgewicht, aber das Gewicht bleibt gleich! Es ist das Gewicht der Unsaat, die Gravitation des Nicht-Bösen, das unerkannt seinen Geschäftchen nachgeht, oder auch die Attraktion des Möglichen – und das ist der Krieg, als Weiterführung der Diplomatie.
Keiner kann ihm ausweichen. Er hat uns, für die Dauer unseres Daseins gebucht, bis wir wieder zwischen den Sternen verschwinden, wie der Nachklang eines Schauspiels, weitab von den Grenzen der Vernunft. An den Demarkationslinien zur Höheren Eingebung prallen die Seelen auf den Granit, der verborgen, von Alt- und Neuschnee, auf all jene lauert die sich außerhalb der ausgewiesenen Pisten beweisen wollen/müssen.
Lawinenabgänge sind vorprogrammiert! Immer wieder werden Außenseiter und Insider überrollt von den unartigen Launen der Vorgänge im „Erholungsgebiet“. „Erholung“ steht hier für „Es ist erlaubt“ oder „Antreten zum Erholen“. Alles ist ausgeschildert! Die Möglichkeiten dafür sind stark eingeschränkt. Ihr hoch gepriesenes Beziehungsdreieck erstreckt sich nur vom Lift zur Abfahrt und von der Abfahrt zur Schnapsbude und wieder Lift, usw.
Am Abend singt dann der Wunder-Wastl. Das Sternenlied, oder „Oh, wie bist du schön!“ Und wir lauschen gläubig den vertrauten Tönen, am Gletscher, oberhalb der Baumgrenze. Hier gibt es keine Schulen mehr – es rettet sich wer kann, wer nicht kann macht einen Bernhar-Diener und sucht nach Verschütteten.
Doch, da es unablässig neue Eindrücke schneit, rieselt nur leise der Staub auf unsere Seelen, wo er sich zu einem unabwaschbaren Film niederschlägt. Sich diesem betäubenden Ohrwurm zu verschließen ist keinem möglich, denn alle sind wir befangen vom Schwindel, im Rausch der Ohrwürmer auf den Alp-Traum-Hütten…der Wahnsinn greift um sich!
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63. Schritt
Als ich aufstehe stelle ich fest, das sich alles um mich dreht. Schwindel? Träum‘ ich schon oder wach ich noch? Keiner Welle letzter Kragen erfasst mein Herz. Ich fantasiere!
Der Tribut für die Nachtstunden ist hoch: sie waren sehr ereignisreich! Ich ging Wege des Grauens, um im Grauen zu enden. Waren sie das Ziel?
Wichtige Kraftausdrücke streifen mein inneres Ohr. Ich höre – und empfinde mit – die weisesten Sprüche der Erde, aber keiner davon spricht mich an. Niemand spricht mit mir? Niemand spricht mit mir! Keine Sprüche, keine Seelen, nur Nebelformationen aus fatamorganischen Fleischteilen.
Ich sitze fest. Es ist ein Fest! Ein Fest der halluzinativen Bilder und Worte: verschlüsselte Nachrichten aus dem, aus dem, aus dem Kauderwelsch dies- und jenseitiger Quatschfeuerwerke.
Ich frage mich, was Gott sich antworten würde wenn er sich selbst fragte: „Wie gestalte ich eine Schöpfung?“. Sicher würde er sich antworten: „Vor allem absolut undurchschaubar, denn sonst hat sie gar keinen Sinn!“
Ich führe den Gedanken weiter aus und frage mich selbst: „Wie lautete dann die Aufgabe des Menschen?“ Aber nicht ich selbst werde mir antworten… Irgendwann vernehme ich dann ein feines Stimmchen, das mir die Antwort gibt: „Er muss alles herausfinden, sonst hat das Leben gar keinen Sinn!“
Mein noch nicht gefrühstückter Clown dreht sich mir jetzt schon im Magen um. Ich muss lachen und lachen und lachen, usw. Nachdem mir die ganze Kraft weiter zu lachen ausgegangen ist, beschließe ich einen Beschwerdebrief zu verfassen, adressiert an Herrn Sowieso in Postleitzahl 00, Stadt Überhaupt, Wenn-und Aber-Straße 666.
„Euer Gnaden, die Welt ist ein Würfelspiel – wer den dümmsten Hammel hat, verliert sein Seelenbild im Dreivierteltakt an den Oberzocker aus Nichtmenschenhausen an der Kacke! Nehmen sie das bitte meistbietend zur Kenntnis, denn ich bin der größte Bewunderer! Nein, nicht von ihnen, sondern vom Rumpelplatz Dödelheim, Höhlendorf 13 1/3. Untertänigst, ihre Quetschkartoffel vom Dienst".
Dann verliere ich das Bewusstsein und irre mechanisch zum Frühstückstisch. Ort liegen bereits meine Verwünschungen aufgebahrt: Frischfisch aus der Giftküche, fukuschimisch gewürzt, ein Ei aus der Legebatterie Federlos-Blutig…mmmmhhmm! Dazu gibt es Brot aus deutschen Landen, von direkt neben der Autobahn.
Wenn ich jetzt gleich noch die Motorsäge vom Nachbargrundstück höre, dann ist es morgens um 7 und die Welt ist in Ordnung. Der alte Baum dort hat mich ja auch schon länger gestört. Der kann da nicht stehen bleiben, da sieht man nichts mehr von der Sonne, die ist eh schon ganz selten zu sehen, weil die ganzen Abgase den Himmel verdunkeln, weil man zu viele Bäume umsägt.
Es ist ein Graus! Wo bleibt denn da der Verstand? Der Baum hätte schon viel früher weg gemusst! Aber praktisches Denken… mein Gott, praktisches Denken, das hat halt nicht jeder! Dabei müssen wir uns doch endlich den Sachfragen stellen, den Sachfragen, den Sachfragen, den Sachfragen… Schwindel!
Wieder fühle ich nichts als Schwindel. Um mich dreht sich alles, aber um mich persönlich dreht sich wiederum nichts. Wenn sich was um mich drehen würde, dann gäbe es weder Mega-Städte noch Sachfragen. Es gäbe vielleicht nur diesen Schwindel, der sich um mich dreht, wie ich mich um ihn drehe…
Der Schwindel und ich, fällt mir grade ein, wir sind, genau betrachtet, wie ein Doppelstern, ein paar Himmelskörper, die sich gegenseitig die Energie rauben – und das bei dem Frischfisch, nicht zu glauben. Ich müsste doch fischfrisch sein wie ein Frischfisch, jetzt, nach dem erholungslosen Alp-Schlaf und dem Ei aus der Am-Bodenhaltung.
Zum Glück kann man mir nichts recht machen, sonst wäre ich mit viel weniger zufrieden, mit einer Wellblechhütte z.B. und 10 Kindern, mit dies- und jenseitigen Quatschfeuerwerken, sowie der Angst den Tag aus ganz anderen Gründen als den meinen nicht überstehen zu können.
Ich glaube ich geh jetzt mal ins Bad und halte mich unter die kalte Dusche, damit ich von allem abgelenkt werde was nicht körperlich ist.
Guten Morgen!
©Alf Glocker