Dich krieg ich, du Mistvieh!
So etwas Unerhörtes hat Oberin Miezi in ihrem ganzen Leben nicht erlebt: eine Elster, die ständig an die Fenster des Klosters klopft. Und stets ist es ein Fenster des Raumes, in dem sie sich gerade aufhält.
Das Mistvieh verfolgt sie, Oberin Miezi hat keinerlei Zweifel daran. Guter Rat ist nun teuer, was tun? Oberin Miezi versucht, die Elster zu verscheuchen. Kaum hat sie das Fenster wieder geschlossen und diesem den Rücken zugewandt, klopft es von Neuen.
Zu jeder Tageszeit, sogar bei den Gebeten und den Heiligen Messen gibt die Elster keine Ruhe. Oberin Miezi platzt der Kragen. Sie holt vom Dachboden das Gewehr, das sie von ihrem Vater geerbt hat, und bittet ihre Mitschwestern, die Elster für sie zu erschießen. Die Schwestern weigern sich jedoch. Sie wollen das fünfte Gebot nicht brechen. Außerdem hat keine von ihnen eine Ahnung vom Umgang mit Gewehren. Am Allerwenigsten Oberin Miezi.
Nach einer Heiligen Messe erklärt der Pfarrer Oberin Miezi, wie sie das Gewehr erst überhaupt laden muss. Auch er weigert sich, selbst auf die Elster zu schießen, sieht den Grund dafür nicht ein. Sich auf die Aufforderung seines Herrn Jesus Christus berufend, alle Kinder zu ihm kommen zu lassen, macht er sich dafür stark, dass die Elster ins Kloster gelassen wird. Sich ebenso auf dieses Schriftwort berufend will Oberin Miezi das Mistvieh jedoch auf direktem Weg zu ihm in den Himmel befördern.
Um sich weder vor der Elster noch vor ihren Mitschwestern zu blamieren, übt Oberin Miezi das Schießen hinter Gebüschen versteckt. Im Glauben, dass sie niemand dabei beobachtet, schießt sie auf Dosen – zumindest versucht sie es. Als sie nicht eine einzige trifft, hört sie lautes Gelächter und Applaus. Entsetzt blickt sie nach oben. Es sind ihre Mitschwestern, die sich auf dem Balkon versammelt und sie die ganze Zeit über beobachtet haben. Die Elster ist bei ihnen, sitzt vor ihnen auf dem Geländer und scheint sich ebenso über sie lustig zu machen. Oberin Miezi platzt der Kragen. Sie richtet das Gewehr auf die Elster, sofort gehen alle Schwestern in Deckung. Oberin Miezi drückt ab, doch nichts passiert. Noch ein paar Mal drückt sie vergeblich ab, bis sie merkt, dass das Gewehr keine Munition mehr hat.
Von nun an achtet Oberin Miezi stets darauf, dass das Gewehr geladen ist. Von nun an hat sie es stets bei sich, egal, ob neben ihrem Bett liegend oder vor sich auf der Kirchenbank stehend. Ihre Mitschwestern machen aus Sicherheitsgründen einen weiten Bogen um sie. Als die Elster bei einer Heiligen Messe neuerlich ans Fenster klopft, schießt Oberin Miezi auf sie. Fensterglas klirrt, die Elster ist nirgendwo mehr zu sehen. Die Schwestern bekreuzigen sich und eilen ans Fenster. Gierig darauf den toten Vogel zu sehen, drängt sich Oberin Miezi mitsamt ihrem Gewehr durch den Auflauf hindurch, kann die Elstern jedoch nirgendwo erblicken. Die Schwestern wundern sich, als es am Fenster nebenan wieder klopft. Es ist die Elster. Zornig schleudert Oberin Miezi ihr Gewehr zu Boden, es bricht entzwei. Der Pfarrer lobt seinen Herrn Jesus Christus, die Schwestern atmen erleichtert durch. Nun muss sich niemand mehr fürchten, womöglich aus Versehen von der Oberin umgelegt zu werden.
Klopft an und es wird euch geöffnet. Diesen Spruch aus der Bibel zitierend öffnet der Pfarrer das Fenster. Vielleicht will die Elster ja ins Kloster eintreten, wer weiß. Jede und jeder soll willkommen sein, insbesondere, da es ja an Nachwuchs mangelt. Die Elster setzt sich auf den Altar und siehe da: sie verwandelt sich in eine Schwester. Oberin Miezi fällt in Ohnmacht.