Aus den Tiefen des Parks weht mich Fresienduft an, zart wie ein Frühlingsversprechen, noch bevor ich die ersten zehn Stufen erklommen habe in eine andere Erinnerung. Zwei Atemzüge lang, kaum wahrnehmbar, lässt es mich innehalten auf dem unbekannten Weg zurück. Ein Jogger spult seine Fitness ab und ich trete beiseite.
Noch ist der Duft da - meine hoch erhobene Nase filtert ihn aus dem grünen Naturgeruch des herbstlichen Aufstiegs. Schon einen Schritt weiter ist der pudrig-sonnengelb-zarte Fresienduft verweht und hat sein aufbruchbereites, saftenergetisches Blattgrün mitgenommen.
Weitere Stufen hinaufgeschlendert in das Geheimnis eines früheren Lebens, das Gestalt annimmt, Schritt für Schritt, entlang dieser anderen Erinnerungsspuren, hinauf ins Hinab sich versenken.
Dahlien jetzt, cyclamfarben, weinrot und orange-gelb, und in den dunklen Tiefen der sommerprall gedrehten Blatt-Tüten der Blütenköpfe das huschende Verstecken der wendigen Ohrkneifer auf ihrer Flucht vor dem Tageslicht. Flüchtig wie dieser farbkastenbunte Hauch, der mich zwei Schritte nur empfängt und verlässt, ent-lässt in diesen aufwärtsgewandten Abstieg in eine andere Zeitqualität, während ich in der jetzigen zwei Spaziergängern Platz mache, Halt findend am Geländer.
Das zarte Purpur kleiner Asternsterne jetzt in ihrem tannendunklen Grün. Wie eine physische Berührung, so wirklich, so real. Ich stehe und schließe die Augen, um sie noch intensiver zu spüren. Frisch, wie in einer Gärtnerei, mitten hier im regenrestfeuchten Herbstwaldbunt dieses verkehrsumtosten Innenstadtparkes.
Oben angekommen, ein ebenso blumenloses Plateau mit weiten Flächen unter schirmenden Bäumen und breiten Schlenderwegen. Ein Blick zurück auf den typischen Baum am Hang, der mit einem Arm aus dem Himmelsstreben ausbricht, sich dadurch markant absetzt und sich - da ich ihn nun im Original gesehen habe - von mir wiedererkennen lässt auf Bildern von ihm.
Ein paar Schritte weiter sind es champagnerfarbene Chysantemen, die mich spinnenfingrig in ihren Bann ziehen, kräftig-herb im Geruch, der mich zwei Atemzüge lang umweht wie ein zartes Band aus trauerlosem Flor, da auch dieser Duft nicht Verwesung in sich trägt, sondern lebensvolle Kraft.
Die Bank voraus bietet Rast und vor dem inneren Auge dehnt sich ein weiteres Stück eines anderen Lebens, sorgsam konserviert zwischen längst gewebten Schichten aus Zeit.
Auf dem Weg zurück umfängt mich einen Hauch lang noch einmal der Schleier aus Chrysantemenduft, der Baum gewährt mir noch einmal, ihn auswendig zu lernen. War es der entgegenkommende Fußgänger? Die Astern lassen sich nicht mehr finden.
Die Dahlien, ein paar Stufen tiefer, wehen immer noch über den Weg und kurz vor den letzten Stufen treiben die Fresien ihr frühlingshaftes Verwirrspiel mit meinem Geruchssinn: Hier sind sie, deutlich frühlingsgrün und zu dem Sonnengelb jetzt auch zartlila angehaucht - eine Stufe weiter duftet regensatt-erdig der Blätterherbst - einen Schritt zurück: Wieder stehe ich mitten in einer Gärtnerei voller Zinnkübel mit frischem Wasser und soeben geschnittenen Fresien, kaum erblüht, nur wenige Kelche, die meisten Knospen noch erwartungsvoll prall gefüllt.
Ein sanfter Abschiedsgruß, mir auf die Stirn gehaucht.
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