Verfolgt

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von Daniel G. Spieker

Es war ein Abend wie jeder andere. Das Blinken der Automaten und der Qualm der Zigaretten machten mir Kopfschmerzen, aber Job war Job. Ich hatte die Spielhalle vor einigen Jahren eröffnet, nachdem in meiner Jugend mein Vater sein ganzes Geld dort verloren hatte. Ich kannte den Reiz, mein Vater hatte mich immer wieder damit zugequatscht. Wie bilden sich die Reihen diesmal? Habe ich drei hiervon, vier? Vollbild! Ein Buch fehlt noch für Freispiele! Die ganzen schwachsinnigen Geschichten, dass es irgendeine Technik gab.
Mein Vater hatte damals häufiger nicht einmal Geld für die Busfahrkarte nach Hause gehabt und hatte dann einfach auf irgendeiner Parkbank geschlafen, und das nicht nur einmal. Und während ich wieder allein zu Hause im Bett lag und meinen Vater verfluchte, wurde mir klar, dass einer immer gewinnt: Der, der den Automaten besitzt.
Meine Stammgäste waren Dieter, dessen Spielsucht nicht sein einziges Problem war, Gustav, der glatzköpfige Dorfpolizist, und Lara, eine Siebzigjährige, die von morgens bis abends am Automaten hing. Wie eine Maschine schmiss sie alle paar Minuten ein Zwei-Euro-Stück in den Kasten.
Die Auflagen für die Spielos wurden immer strenger, aber das hinderte die Süchtigen nicht. Dann bediente man eben noch einen Automaten mehr oder rauchte noch eine. Die Onlinecasinos machten mir da mehr Sorgen, aber ich hatte eine feste Stammbelegschaft, die mich gut versorgte.
Gustav verließ gegen 21 Uhr mit Dieter die Spielhalle, um sich in der Kneipe eine Straße weiter wie jeden Abend zuzusaufen. Später würden sie wiederkommen, weiterspielen und dann mit dem Auto nach Hause fahren. Sie waren gerade zur Tür raus, als ein alter Mann hereinkam, achtzig, vielleicht sogar neunzig. Seine Kleidung hatte Risse und er schien verwirrt zu sein. Längst hatten die anderen Gäste ihr Spiel unterbrochen und sahen den alten Mann an.
Genervt hievte ich mich von meinem Platz und ging zu dem alten Mann.
»Haben Sie sich verlaufen?«
»Sie verfolgen mich«, sagte er. »Ich muss meinen Sohn sprechen.«
»Wer verfolgt Sie?«
»Kann ich bei Ihnen telefonieren?«
Normalerweise würde ich dafür etwas Geld verlangen, aber ich glaubte nicht, dass der Alte Geld hatte. Wenn Gustav noch an Ort und Stelle gewesen wäre, hätte ich den Fall direkt an die Polizei übergeben können, aber der alte Säufer war natürlich nie da, wenn man ihn brauchte. Ich überlegte rüber zur Kneipe zu gehen, aber ich wollte erst einmal wissen, was überhaupt los war.
»Wen wollen Sie anrufen?«, fragte ich.
»Sie verfolgen mich«, wiederholte er. Dann runzelte er die Stirn und überlegte einen Moment. »Mein Sohn wird mich zurück ins Heim bringen.«
Ich wusste, dass er log, aber er schien halbwegs bei Sinnen zu sein und wirklich nur telefonieren zu wollen.
»Einen Moment.« Ich ging herüber zum Tresen und holte mein Funktelefon. »Wie ist die Nummer?« Er diktierte sie. »Wie heißt er?«
»Matthias. Matthias Spremm.«
Er schien nicht glücklich darüber, dass ich selbst dort anrief, aber ich wollte nicht, dass er stundenlang über irgendwelchen Kram redete und meine Rechnung in die Höhe trieb – vor allem, weil es eine Handynummer war.
Eine junge Männerstimme meldete sich.
»Ihr Vater ist hier – er sagt, er würde …«
»Mein Vater?«, sagte der Mann und seine Stimme überschlug sich. »Wo sind Sie? Ist er wohlauf?« Ich erklärte ihm, wo er hinfahren sollte.
»Ich bin gegen 23 Uhr da. Nicht früher! Er soll mit niemand anderem mitgehen«, sagte der Mann am Telefon.
»In Ordnung«, sagte ich und legte auf. Ich fragte den Alten, ob er einen Kaffee wollte.
»Wovor fliehen Sie? Wer verfolgt Sie?«, fragte ich ihn.
Er erzählte irgendetwas über ein Experiment und dass er einen Fehler gemacht hätte. Je länger er redete, desto mehr hatte ich den Eindruck, dass er viel Scheiße erzählte. Episodenhaft psychotisch? Mal wirkte er vollkommen normal und dann faselte er wieder irgendwelches Zeug.
Bis 23 Uhr waren es noch knapp zwei Stunden und es nervte mich, dass ich mich verpflichtet fühlte, ihn irgendwie zu beschäftigen. Also hörte ich mir das Gelaber weiterhin an und blickte zur Uhr, deren Zeiger unscheinbar über das Ziffernblatt schlichen.
Die Zeit verstrich ereignislos. Ein paar genervte Ausrufe von den Spielern immer mal wieder. Ein paar Zigaretten.
Kurz vor halb elf kam ein junger Mann herein. Ziemlich durchschnittliche Kleidung und Aussehen.
»Ist er pünktlich? Ist es die richtige Uhrzeit?«, fragte der alte Mann aufgeregt.
Ich runzelte die Stirn. Was war nun schon wieder?
»Jaja, is‘ korrekt«, sagte ich und der Alte ging auf den Mann zu.
»Ich will deinen Ausweis sehen.«
»Klar Paps«, sagte der junge Mann und ich runzelte die Stirn, aber er drückte mir einen Fünfziger in die Hand, bedankte sich und so war ich auch zufriedengestellt. Keine Minute später waren die zwei verschwunden.
Ich war froh, dass der Spuk ein Ende hatte und setzte mich wieder an den Tresen, kümmerte mich um die Gäste und spielte nebenbei auf meinem Handy.
Doch gegen 23 Uhr kam der junge Mann erneut in den Laden. Er blickte sich verwirrt um und ging dann zu mir.
»Wo ist mein Vater?«, fragte er aufgeregt.
»Das müssten Sie doch am besten wissen«, erwiderte ich irritiert.
»Wie meinen Sie das?«
Er runzelte die Stirn und dann wich die Farbe aus seinem Gesicht.
»Sie haben ihn doch abgeholt.«
»Ich sagte doch, ich bin um 23 Uhr da.« Er gestikulierte wild und klang verzweifelt.
»Sie haben ihn doch mitgenommen?«
»Das war nicht ich, verdammt nochmal! Sie wissen gar nicht, was Sie gerade getan haben!«
Einzelne Tränen liefen seine Wangen hinunter. Er stürmte aus dem Laden und ließ mich völlig verwirrt zurück.

Tage später stolperte ich über einen Artikel in der Zeitung, in dem stand, dass Heinrich Spremm zerfetzt am Stadtrand gefunden wurde. Der ganze Körper von unzähligen Brandwunden übersät.
Ich hatte keine Ahnung, wer oder was ihn da abgeholt hatte und was ihm genau angetan wurde. Müde legte ich die Zeitung weg und trank noch einen Schluck Kaffee. Natürlich sah es schlimm aus, aber ich hatte auch Besseres zu tun.

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