Der Mensch muß sich sein eigenes Wesen schaffen

Bild zeigt Jean-Paul Sartre
von Jean-Paul Sartre

»Der Mensch muß sich sein eigenes Wesen schaffen; indem er sich in die Welt wirft, in ihr leidet, in ihr kämpft, definiert er sich allmählich; und die Definition bleibt immer offen; man kann nicht sagen, was ein bestimmter Mensch ist, bevor er nicht gestorben ist, oder was die Menschheit ist, bevor sie nicht verschwunden ist.«

Veröffentlicht / Quelle: 
Zum Existentialismus. Eine Klarstellung, in Der Existentialismus ist ein Humanismus. und andere philosophische Essays, Jean-Paul Sartre, Hg. Vincent von Wroblewski, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 6. Auflage August 2012, S. 116

Bedeutung, Textauslegung und Hintergrund:

Dieses Zitat verkörpert einen der zentralen Gedanken Sartres Existenzialismus: Die Idee, dass der Mensch kein vorgegebenes Wesen (Essenz) hat, sondern dieses durch sein Handeln selbst schaffen muss. Es thematisiert die Freiheit, Verantwortung und Offenheit der menschlichen Existenz.

1. Existenz geht der Essenz voraus

Sartres berühmter Grundsatz „Existenz geht der Essenz voraus“ (l'existence précède l'essence) findet in diesem Zitat eine prägnante Ausformulierung. Der Mensch wird ohne vorgegebene Bestimmung oder „Wesen“ geboren. Erst durch sein Handeln, seine Entscheidungen und die Auseinandersetzung mit der Welt formt er sich selbst und definiert, wer er ist. Die Definition seines Wesens ist ein Prozess, der niemals abgeschlossen ist.

2. Selbstgestaltung durch Leiden und Kampf

Sartre hebt hervor, dass der Mensch sich durch aktives Engagement in der Welt definiert. Das „Leiden“ und „Kämpfen“ symbolisieren die Herausforderungen, die mit der Freiheit verbunden sind. Der Mensch ist ständig gezwungen, Entscheidungen zu treffen und mit den Konsequenzen zu leben – ohne sich auf eine höhere Macht oder universale Werte berufen zu können. Diese Auseinandersetzung mit der Welt ist zentral für die Selbstgestaltung.

3. Offenheit der menschlichen Existenz

Die Aussage, dass die Definition des Menschen „immer offen“ bleibt, zeigt Sartres Ablehnung deterministischer oder essenzialistischer Menschenbilder. Der Mensch ist nie „fertig“ oder endgültig definiert; seine Existenz ist ein fortwährender Prozess. Erst mit dem Tod, wenn keine weiteren Handlungen möglich sind, wird eine Art retrospektive „Definition“ seines Wesens möglich.

4. Anthropologische Perspektive

Auf die Menschheit insgesamt angewandt, betont Sartre, dass ihre Bedeutung und ihr „Wesen“ ebenfalls nicht im Voraus bestimmt werden können. Solange die Menschheit existiert, bleibt sie ein dynamisches, offenes Projekt. Erst mit ihrem Verschwinden könnte eine abschließende Bewertung vorgenommen werden – ein Gedanke, der die radikale Offenheit der Zukunft unterstreicht.

5. Verantwortung und Freiheit

Dieses Zitat erinnert daran, dass der Mensch allein für sein Leben und seine Definition verantwortlich ist. Es gibt keinen vorgegebenen Sinn, kein „Wesen“, das von außen kommt. Diese Freiheit ist sowohl befreiend als auch belastend, da sie den Menschen zwingt, sein Leben aktiv und bewusst zu gestalten.


Fazit

Sartres Zitat ist eine prägnante Zusammenfassung seiner existenzialistischen Philosophie, die den Menschen als freies, selbstgestaltendes Wesen versteht. Es fordert dazu auf, die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, da weder Individuen noch die Menschheit durch eine vorgegebene Essenz definiert sind. Diese radikale Offenheit macht die menschliche Existenz zu einem ständigen Prozess der Selbstgestaltung – ein Gedanke, der sowohl inspirierend als auch herausfordernd ist.

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