Der Mensch kann nichts wollen

Bild zeigt Jean-Paul Sartre
von Jean-Paul Sartre

»Der Mensch kann nichts wollen, wenn er nicht zunächst begriffen hat, daß er auf nichts anderes als auf sich selber zählen kann, daß er allein ist, verlassen auf der Erde inmitten seiner unendlichen Verantwortlichkeiten, ohne Hilfe noch Beistand, ohne ein anderes Ziel als das, das er sich selbst geben wird, ohne ein anderes Schicksal als das, das er sich auf dieser Erde schmieden wird.«

Veröffentlicht / Quelle: 
Zum Existentialismus. Eine Klarstellung, in Der Existentialismus ist ein Humanismus. und andere philosophische Essays, Jean-Paul Sartre, Hg. Vincent von Wroblewski, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 6. Auflage August 2012, S. 118

Bedeutung, Textauslegung und Hintergrund

Dieses Zitat ist ein zentraler Ausdruck von Sartres existenzialistischer Philosophie, wie er sie in Der Existentialismus ist ein Humanismus dargelegt hat. Es beschreibt die radikale Freiheit des Menschen und die damit verbundene Verantwortung, sein eigenes Leben und seine Ziele zu definieren, ohne auf äußere Instanzen wie Gott, Traditionen oder universale Werte zurückgreifen zu können.

1. Radikale Freiheit und Verantwortung

Sartre betont, dass der Mensch vollständig frei ist – ein Gedanke, der gleichzeitig ermächtigend und beängstigend ist. Diese Freiheit bedeutet, dass es keine vorgegebenen Ziele, Werte oder Bestimmungen gibt. Der Mensch muss selbst entscheiden, was er will und was er mit seinem Leben macht. Diese Freiheit ist jedoch untrennbar mit Verantwortung verbunden: Da es keine äußeren Rechtfertigungen gibt, ist jeder Mensch für die Konsequenzen seiner Entscheidungen allein verantwortlich.

2. Verlassenheit (L’Abandon)

Das Gefühl der „Verlassenheit“ spielt eine zentrale Rolle in Sartres Denken. Es beschreibt die Konsequenz des „Todes Gottes“ im Sinne Nietzsches: Wenn es keinen Gott oder eine höhere Macht gibt, die den Menschen leitet, ist der Mensch auf sich allein gestellt. Diese Verlassenheit bedeutet aber nicht Verzweiflung, sondern die Notwendigkeit, selbst Sinn und Werte zu schaffen.

3. Existenz und Essenz

Sartres Existenzialismus basiert auf der Idee, dass „Existenz der Essenz vorausgeht“ (l'existence précède l'essence). Das bedeutet, dass der Mensch nicht mit einer vorgegebenen Natur oder Bestimmung geboren wird, sondern sich selbst definiert, indem er handelt und Entscheidungen trifft. Dieses Zitat bringt genau das zum Ausdruck: Der Mensch hat kein vorgegebenes Schicksal, sondern schmiedet es durch seine Taten selbst.

4. Abkehr von Transzendenz

Das Zitat lehnt jede Form von Transzendenz ab – sei es durch Religion, metaphysische Ideale oder universale Werte. Der Mensch kann nur auf sich selbst zählen, um Sinn und Ziele zu schaffen. Diese Betonung des Immanenten unterstreicht Sartres Überzeugung, dass das Leben keinen Sinn außerhalb des Menschen hat.

5. Humanismus im Existenzialismus

Obwohl Sartres Existenzialismus oft als düster wahrgenommen wird, argumentiert er in Der Existentialismus ist ein Humanismus, dass diese Philosophie letztlich humanistisch ist. Sie gibt dem Menschen die Würde und die Verantwortung, sein Leben bewusst zu gestalten. Der Mensch wird nicht durch äußere Kräfte definiert, sondern allein durch das, was er aus sich macht.


Fazit

Dieses Zitat ist ein prägnanter Ausdruck von Sartres Existenzialismus, der die radikale Freiheit und Verantwortung des Menschen betont. Es fordert dazu auf, die Verlassenheit des Menschen nicht als Verzweiflung zu begreifen, sondern als Chance, das eigene Leben authentisch und selbstbestimmt zu gestalten. Es stellt eine Abkehr von traditionellen Vorstellungen von Bestimmung oder Vorsehung dar und erhebt den Menschen zum Schöpfer seines eigenen Schicksals – mit allen Konsequenzen.

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