Für uns gibt es so etwas wie die Philosophie überhaupt nicht

Bild zeigt Jean-Paul Sartre
von Jean-Paul Sartre

»Für uns gibt es so etwas wie die Philosophie als solche überhaupt nicht. Denn wie auch immer man diesen Schatten der Wissenschaft, diese graue Eminenz der Humanität, betrachten mag, sie ist nur eine hypostatierte Abstraktion. In Wirklichkeit gibt es nur Philosophien.«

Veröffentlicht / Quelle: 
Marxismus und Existenzialismus. Versuch einer Methodik. Deutsche Übersetzung von Herbert Schmitt. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1964, S. 7.

Bedeutung, Textauslegung und Hintergrund:

 

Dieses Zitat aus Sartres Schrift Marxismus und Existenzialismus reflektiert seine Position zur Philosophie als Disziplin. Es drückt eine grundsätzliche Kritik an der Vorstellung einer universalen „Philosophie“ aus und betont stattdessen die Vielfalt und den subjektiven Charakter einzelner philosophischer Ansätze.

1. Die Ablehnung einer universalen „Philosophie“

Sartre wendet sich explizit gegen die Vorstellung, dass es so etwas wie die Philosophie als universelle, objektive Wissenschaft gäbe. Der Begriff der „hypostatierten Abstraktion“ bezeichnet dabei die Zuschreibung einer eigenständigen Existenz an ein abstraktes Konzept. Für Sartre ist „die Philosophie“ kein überzeitlicher, einheitlicher Wissensbereich, sondern vielmehr eine kulturell und historisch konstruierte Idee, die keinen realen Kern besitzt. Philosophie existiert nur in Form von Philosophien, das heißt, durch die individuellen Systeme, Denkansätze und Perspektiven einzelner Denker oder Schulen.

2. Philosophie als „Schatten der Wissenschaft“

Die Metapher des „Schattens der Wissenschaft“ deutet darauf hin, dass Philosophie im Vergleich zu den empirischen Wissenschaften als weniger greifbar und überprüfbar wahrgenommen wird. Sie bleibt im Bereich des Theoretischen, während Wissenschaft auf Daten und Experimente gestützt ist. Die „graue Eminenz der Humanität“ verleiht der Philosophie jedoch eine Rolle als stiller, indirekter Einflussnehmer, der die grundlegenden Fragen des Menschseins behandelt, ohne unmittelbar praktische oder messbare Ergebnisse zu liefern.

3. Pluralität statt Absolutismus

Sartres Aussage „In Wirklichkeit gibt es nur Philosophien“ hebt die Pluralität und Relativität der philosophischen Systeme hervor. Jede Philosophie ist durch ihren historischen und sozialen Kontext geprägt, sowie durch die Perspektive und Absichten ihres Schöpfers. Sartre stellt sich damit in die Tradition des Existenzialismus, der die Individualität und Subjektivität betont, und weist die Idee einer allumfassenden, objektiven Wahrheit zurück.

4. Verknüpfung von Marxismus und Existenzialismus

Der Kontext des Zitats – eine Methodendiskussion zur Verbindung von Marxismus und Existenzialismus – unterstreicht Sartres Bemühen, beide Denkschulen nicht als absolute Wahrheiten, sondern als Perspektiven zu verstehen, die spezifische Fragen und Probleme der menschlichen Existenz und Gesellschaft beleuchten. Er versucht, beide Strömungen miteinander zu verbinden, ohne eine übergeordnete „Philosophie“ zu postulieren.


Fazit

Sartres Kritik an der universalen „Philosophie“ und sein Plädoyer für die Vielfalt der „Philosophien“ spiegelt seine existentialistische Überzeugung wider, dass jede Philosophie nur in ihrem Kontext verstanden werden kann. Das Zitat mahnt zur Reflexion über die Grenzen und die Rolle der Philosophie als theoretische Disziplin und hebt zugleich ihre Bedeutung als pluralistisches Feld hervor, das unterschiedliche Perspektiven auf die menschliche Existenz bietet.

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