Lieber Mai,
neigst dich hernieder
so sanft in meine Träume
und zu den lichten Weiden.
Zärtlich wie eine Schwalbe
fällt mein alter Deich in den
Frühling: ein Umhang aus
grüner Seide, geglitten von
den kalten Schultern des Aprils.
Gänseblümchen kriechen
aus seinen schmalen Hüften,
und der Frühlingswind spielt
mit dem grünen Haar, das aus
seinen Hängen sprießt.
Seine Lippen tüncht bald der Mohn,
und der Duft des roten Klees
hat längst meine Sinne betäubt.
Lieber Mai, schickst ein Meer
aus Sonnenschein über den Fluss,
und wie die Schwingen eines
kleinen Vogels rauscht weiß mir
das Wiesenschaumkraut ins Herz.
Ein Sehnen trägt mich hinab
zu tausend Wasseraugen –
hier schöpfe ich neuen Mut …
Tag um Tag.
Vor lauter Glück verlier ich
aus dem Sinn, dass ich doch
schlafen wollt, um zu vergessen ...
nun will ich nur noch leben –
im Schatten eines Frühlings, der
mit allen Sinnen entgegenfiebert,
was wir „Sommer“ nennen.
Aber die Zeit wird dich
forttragen von mir, lieber Mai,
und Ende Oktober schon versagt
mir die Stimme und wird
verblühen wie die sinkenden
Rosen am Strauch der Liebe.
Der Winter stammelt die letzten
frostigen Silben des Jahres,
und das Wasser spricht
nimmermehr zu den Fischen.
Ich jedoch frage im letzten
Vers dieser späten Stunde:
Wer bist du, lieber Mai,
der mir Jahr für Jahr
neue Worte entlockt,
zu loben die pulsierende
Ankunft des Frühlings,
an die niemand mehr
so recht hat glauben wollen ...