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Ich ruhe still im hohen grünen Gras
und sende lange meinen Blick nach oben,
von Grillen rings umschwirrt ohn Unterlass,
von Himmelsbläue wundersam umwoben.
Und schöne weiße Wolken ziehn dahin
durchs tiefe Blau, wie schöne stille Träume;
mir ist, als ob ich längst gestorben bin,
und ziehe selig mit durch ewge Räume.
(„Feldeinsamkeit“; Hermann Allmers, 1821 – 1902)
Mathilde – und eine Nacht im Schweinestall (Text 3)
„Die Niederschlagsmenge im April war äußerst knapp, Karla“, setzte Hannes' Vater das Gespräch mit der Gnädigsten fort. Seine Stimme war lauter geworden, und Leni und ich, die sich nach wie vor in der Küche aufhielten, lauschten seinen und Frau Brandners Worten.
„Unsere Saaten gieren förmlich nach Wasser. Auf den Feldern wirst du keine feuchte Krume mehr finden. Wie wäre es, wenn du mich demnächst mal während meiner täglichen Reittour begleitest? Dann könntest du dich persönlich von der Misere überzeugen. Jedes Zuviel an Flüssigkeit, soweit dieser Glücksfall unser Gut in diesem Jahr überhaupt gestreift haben sollte, ist längst versickert. Die Erde fühlt sich im wahrsten Sinne des Wortes knochentrocken an. Wir brauchen Regen, Karla, bete, sonst verkümmert uns der Raps, der mir mittlerweile bis zur Hüfte reicht. Unsere Kartoffeln können wir ohne Bewässerungsanlage ohnehin vergessen. Wenn es wenigstens mal wieder ordentlich gewittern würde ... Ach ja, und außerdem wird es höchste Zeit, dass ich den Hafer prüfe, wozu ich auf meinen Inspektionsritten bisher einfach keine Zeit fand, obgleich die Sache mit einem Handgriff erledigt wäre. Wir müssen ihn ernten, sobald er reif ist, bevor heftiger Gewitterregen auf die Ähren prasselt und uns mit leeren Halmen narrt. Alles schon dagewesen, meine Lieben! Schaut nicht so ungläubig drein! Wenn wir nur ein Viertel von jenem Niederschlag abbekämen, wie er neunzehnhundertsechzig runterkam! Daran erinnert ihr euch doch sicher!? Die Ernte auf dem Hof muss damals total verregnet gewesen sein.
Auf meinem ehemaligen Gut in der Holsteinischen Schweiz hatten wir Plastikhauben über die Hocken gestülpt. Die standen auf den Feldern wie dauergewellte Köpfe alter Weiber im Regen. Geholfen hat es jedenfalls nicht.“
„Was ist heute nur los mit dir, Axel?“, fragte die Gnädigste erstaunt. „Einen derartigen Redeschwall hast du nicht von dir gegeben, seit du hier als Gutsinspektor beschäftigt bist. Und was heißt hier ,alte Weiber'? Also das möchte ich nicht gehört haben.“
„Du bist doch nicht etwa eine von diesen Suffragetten, Karla? Da müsste ich mich doch sehr in dir getäuscht haben.“
„Aber nicht doch“, kicherte die Gnädigste mädchenhaft. „Du solltest mittlerweile bemerkt haben, dass ich niemals auch nur einen Tropfen Alkohol trinke.“
„Und woher soll ich wissen, was du heimlich in deiner Schlafkammer treibst, Karla?“, lachte Kröger, zwinkerte der Gnädigsten heftig zu und streifte mich mit einem undefinierbaren Blick.
Wenn das kein bullenheißer Flirt ist!, dachte ich empört. Mein Herz schlug in der Brust wie ein schwingender Hammer, und ich versuchte vergeblich mich wieder abzuregen. Noch nicht mal der Gedanke, dass Hannes mir anvertraut hatte, die Gnädigste bevorzuge eindeutig Jäger, konnte mich beschwichtigen, liebe Christine. Deshalb war ich unbeschreiblich dankbar, als sich mit wuchtigen Schritten ein offenbar unerwarteter Gast ankündigte; denn die Gnädigste schickte einen gleichermaßen verwunderten wie interessierten Blick durch die geöffnete Küchentür in die Flurdämmerung hinaus. Niemand achtete mehr auf mein sonderbares Benehmen, das meine tiefe Betroffenheit verbergen sollte. Dabei kann ich diesen Kröger eigentlich überhaupt nicht ausstehen.
„Chef, Frau Brandner, es tut mir leid, aber die alte Karre von meiner Schwester hat heute Morgen ihren Geist aufgegeben, ausgerechnet in jenem Moment, als sie mit ihren Blumen zum Markt wollte. Ich hab bis vor einer Stunde dran rumrepariert. Jetzt ist das alte Ding soweit klar, dass sie damit nach Lübeck fahren kann. Sie wissen ja, dass sie vom Verkauf ihrer Blumenzucht lebt. Ich war der Einzige, der ihr helfen konnte.“
Heiner stand mit hängenden Schultern und zerknirschter Miene im Türrahmen, blickte unsicher von einem zum anderen, und zerknüllte mit nervösen Gebärden seinen alten Hut in der knotigen Faust.
„Also Heiner, das ist doch wirklich die Höhe ... Weshalb hast du mir nicht Bescheid gegeben? Ich hätte deine Schwester doch nach Lübeck fahren können. Dann hätten wir nicht so viel Zeit verloren, Herrgott noch mal!“
„Reg dich nicht auf, Axel“, beschwichtigte die Gnädigste ihren wütenden Inspektor und erhob sich von der Küchenbank.
„Schon gut, Heiner. Aber das nächste Mal setzt du uns über deine Heldentaten vorher in Kenntnis. Und jetzt bitte an die Arbeit, Leute.“
Frau Brandner nickte uns der Reihe nach zu und verließ die Küche. Kröger und Heiner folgten ihr. Sofern ihr irgendwelche Zweifel an Heiners Geschichte gekommen waren, die mich bereits nach seinen ersten Worten beschlichen hatten, ließ sie mit keiner noch so winzigen Gemütsregung erkennen, dass ihr die Sache nicht geheuer war. Ich war mir beinahe sicher, dass Heiner ziemlich genau wusste, wo Helge sich versteckt hielt und dass er mit ihm Kontakt hielt.
Endlich befand ich mich mit Leni allein in der Küche. Wir saßen uns am großen Esstisch gegenüber, und ich faselte eine Menge dummes, unzusammenhängendes Zeug: über die heilenden Kräfte der Nähe zu unseren Verwandten, den Vierbeinern, insbesondere den Schweinen, von den treuen Gefährten der Alten und Einsamen, über die Rückbesinnung zur Natur, das einzig Wahre im Leben, über das Mittelalter und „sich mit Tieren ein und denselben Raum teilen“, wie dazumal üblich, über das „Einfach-mal-ausprobieren“ und danach sozusagen nachempfinden, was Tiere …
Leni sah mich unverwandt an, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank.
„Mittelalter, pah“, stieß sie schließlich hervor, als ich meine Rede beendet hatte, weil mir absolut nichts mehr einfiel.
„Ich sage nur: Vasallentum, Hungersnöte, Ketzer und Seuchen.
Komm mir nicht mit dieser finsteren Epoche! Du führst irgendetwas im Schilde, Katja!“
„Ganz gewiss nicht, Leni“, versicherte ich eifrig. „Jedenfalls nichts Böses. Das verspreche ich dir.“
Nachdem ich mein Zimmer gründlich inspiziert und im Kleiderschrank nach einem fremden Geruch herumgeschnüffelt hatte, beides mit negativem Befund, wagte ich mich in den Aktionsradius der besseren Hälfte meines Opa Edmund.
„Katja, was hast du dir jetzt schon wieder erlaubt“, keifte Oma. Sie war mächtig in Rage, liebe Christine.
„Du blamierst uns alle mit deinen verrückten Ideen. Ein junges Mädchen übernachtet doch nicht in einem Schweinestall! Also wirklich! Man könnte