der Geschmack der Erinnerung

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von Marie Mehrfeld

noch ist Sommer und Hoffnung, und ich erzähl’ Dir, was war, bis ich heiser bin, wenn Du so lange schweigst,

ein Haus war da, eins mit stets offenen Fenstern und Türen, aus rotem Stein war es, darauf ein spitzes Schindeldach mit

großen und kleinen Schornsteinen, die immerzu rauchten, es stand im Hellen, im Grünen, aus und ein gingen viele, die wir liebten,

auch ich und Du, als wir Kinder waren und heimlich unter dem schwarzen Flügel hockten zur Nachtzeit und lauschten,

wie die Einen verzückt musizierten und die Anderen, in behutsames Flüstern gehüllt, mit Silberlöffelchen in zierlichen Tassen rührten,

obwohl kein Zucker in dem Tee war, der nach Brennnesseln schmeckte, wir atmeten Veilchenduft ein, der die Tanten umwehte,

schmiegten uns aneinander und schliefen ein, Hand in Hand, eingelullt von himmlischen Tönen, Du bist nicht mehr da,

doch jener besondere Geigenklang ist mir geblieben und hat noch immer den bittersüßen Geschmack der Erinnerung

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