Die Tiere des Waldes haben es gut in ihren Höhlen und die Vögel haben Nester und den Regen, sie brauchen den Strom nicht, denkst du. Und wer etwas hat, das betäuben kann, wird schlafen. Du aber bleibst hellwach, deine Gedanken kreiseln, du passt auf, wohin du trittst, wohin du schaust, was du hörst, wem du vertraust und mit wem du teilst, du musst deine Zuversicht in Koffer packen und die Liebe dosieren und deine Hunde und Katzen freilassen, denn du kannst sie nicht mehr ernähren, vielleicht flüchten sie sich in die Wälder oder überleben auf den Friedhöfen der Stadt. Deine Eingeweide werden schmerzen vor Hunger und Durst, doch auf Hilfe kannst du nicht hoffen, denn die Dieseltanks der Notstromversorgung aller Krankenhäuser sind leer, die Müllberge wachsen und auch Polizisten und Notärzte helfen dir nicht, denn sie können ihre Fahrzeuge nicht mehr betanken. Das Licht der Sterne scheint dünner zu leuchten, und dein Blick bleibt in den Wolken hängen, die Sonne und Mond verdecken, es brechen die harten Tage an, die auf Widerruf geborgten, sie werden dir deinen Weg diktieren, den du dir nicht ausgesucht hast. Nun verriegele, verrammele alle Türen, denn schon kreuzen sie hin und her vor den Küchenfenstern, die wütenden heimatlosen Enttäuschten mit ihren Brecheisen und Messern, deren mobile Telefone nicht mehr aufladbar sind, die dich zwingen werden, das Letzte mit dir zu teilen. Wohl genährte Ratten werden aufsteigen aus den städtischen Abwasserkanälen und mit ihnen giftige Gerüche, die sich mit den Morgennebeln erheben aus den Wolken und auf dich zurück fallen werden, wenn du es nicht erwartest. Jetzt ist jeder sich selbst der Nächste, hör auf zu dichten und zu singen, meine Tochter, schalt das Notradio ein, das mit den gehorteten Batterien und sei froh, dass du die Adventskerzen aufgehoben und die abgetragenen muffigen Pelze deiner Großmutter nicht in der Kleidersammlung entsorgt hast. Halt den Stöpsel deiner Wanne mit der Hand fest, damit das letzte Wasser nicht versickert, das dir vorübergehend das Leben erhalten wird, und trau auch deinen Nachbarn nicht, denn sie werden alle wie rasend sein in ihrer Verzweiflung, solange die Kraft reicht. Kriegserklärungen mit echten Waffen sind mega out, Computerprogramme sind effektiver, billiger – und völlig unvorhersagbar.
Schweißgebadet rennst du nachts um drei durch dein Haus, knipst alle Lampen an, drehst die Hähne auf und freust dich wie ein Kind über das helle Licht und das sprudelnde Leitungswasser. Auch das Festnetz und der Fernseher funktionieren und du vernimmst fast erleichtert den Schrott der letzten Twitter - Botschaft des durchgeknallten US-amerikanischen Präsidenten, dessen Namen du kaum mehr ertragen kannst. Du schwörst dir wieder einmal, für alle Fälle eine Notfallration im Keller zu verstauen. Doch das wirst du morgen schon vergessen haben. Denn der Blackout war ja nur ein böser Traum …
Deutsche Wirtschafts Nachrichten, veröffentlicht am 25.08.16 03:24 Uhr: Die Bundesregierung rechnet offenbar mit Hacker-Angriffen auf die öffentliche Stromversorgung. In letzter Zeit hätten sich Störungen im Netz auffallend gehäuft. Derzeit wird der aus dem Jahr 1995 stammende, völlig veraltete Infrastrukturschutz überarbeitet. Für Aufsehen gesorgt hatte in den vergangenen Tagen die Aufforderung an die Bevölkerung, Lebensmittel- und Wasservorräte anzulegen. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere sieht einen großangelegten Angriff auf die Stromversorgung in Deutschland als eine reale Gefahr an. Er könne sich vorstellen, dass es Gruppen, Staaten oder beides zusammen gebe, die angesichts der enormen Abhängigkeit von der Energieversorgung testen wollten, wie anpassungsfähig die deutsche Gesellschaft sei, sagte de Maiziere am Mittwoch in Berlin. Auch der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, Christoph Unger, sagte: „Der langanhaltende, flächendeckende Stromausfall ist für uns die zentrale Herausforderung, der wir uns gegenübersehen.“