Frieda und Hans - ein Gedicht zum dritten Advent

Bild für die Seite von Marie Mehrfeld
von Marie Mehrfeld

Zuerst ging die Frau und ließ ihn allein, dann fing es an mit dem billigen Wein, der Job ging verloren, die Wohnung perdu, und danach kam Leere und Lethargie, auf der Straße sitzt Hans und ihm ist kalt, und er ist doch erst vierzig Jahre alt,

wir feiern bald den dritten Advent, doch bei ihm auf dem Pflaster kein Kerzlein brennt, er hockt auf dem Schlafsack mit sich allein und grübelt, das kann doch alles nicht sein, die dunklen Gedanken, sie laufen dahin, er fragt, hat mein Leben denn noch einen Sinn,

Illusionen hat Hans jetzt keine mehr, und sein Plastikbecher ist meistens leer, auf der Straße muss er nun dauernd leben und beim Betteln bittend die Augen heben, verloren ging nicht nur Hab und Gut, nein, vor allem der ganze, der letzte Mut,

der Hans, der hat überhaupt kein Glück, zu hoch die Hürde ins Leben zurück, doch hinter den Treppen im U-Bahnschacht verbringt er mit Frieda öfter die Nacht, sie ist mehr als fünfzig Jahre schon alt, auch ihr ist obdachlos leben zu kalt,

zu ungemütlich und viel zu gefährlich, das sagt sie leise und meint es ehrlich, sie nahm mal Crack und sie ist oft krank, tagsüber schläft sie im Park auf der Bank, nur im Winter bei Kälte, da geht das nicht, da ruht sie in Ecken mit wenig Licht,

man hört sie murmeln mit trauriger Miene, ich würde gern eigenes Geld verdienen, wie soll ich das schaffen als Analphabet, wer kann mir verklickern, wie das wohl geht, seit fünfzehn Jahren ist sie schon auf Platte, ihre wertvollstes Habe - die Isomatte,

sie stellt sich selbst eine wichtige Frage, hab’ ich nicht Schuld an der miesen Lage, nun hat sie in Hans einen Freund gefunden, mit ihm kommt sie besser über die Runden, die Beiden geben sich Wärme und Halt, es ist wie ein Rufen im dunklen Wald,

sie freut sich schon auf die Heilige Nacht, die wird mit Hans in der Kirche verbracht, dort ist man beschützt vor Kälte und Schnee, dort gibt es Plätzchen und heißen Kaffee, dort kann man mit Leidensgenossen reden, und, wenn man will, auch singen und beten …

Fakten: Auszüge aus „Spiegel online“ vom Dienstag, dem 14.11.2017:
Die Zahl der Wohnungslosen steigt dramatisch. Weniger Sozialwohnungen, steigende Mieten - laut einer neuen Schätzung leben in Deutschland 860.000 Menschen ohne Wohnung. Im Jahr 2016 gab es geschätzt rund 422.000 Wohnungslose, teilte die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) mit. Hinzu kamen 2016 etwa 436.000 anerkannte Flüchtlinge, die ohne eigene Bleibe in Gemeinschaftsunterkünften lebten. Zusammengerechnet kommt die BAGW für das Vorjahr gerundet auf 860.000 Menschen ohne Wohnung. Im Vergleich zu 2014 ist dies ein Anstieg um rund 150 Prozent. Ohne ein Umsteuern kann die Zahl der Wohnungslosen bis 2018 auf 1,2 Millionen wachsen. Die Ursachen für die negative Entwicklung liegen nicht nur im starken Anstieg der Mieten. Seit 1990 ist der Bestand an Sozialwohnungen um rund 60 Prozent auf 1,2 Millionen gesunken. Zusätzlich haben Bund, Länder und Kommunen eigene Wohnungsbestände an private Investoren verkauft. Damit wurden die Reserven bezahlbaren Wohnraums aus der Hand gegeben. Die Zuwanderung hat die Gesamtsituation verschärft, ist aber keinesfalls alleinige Ursache der Krise. Die Straßenobdachlosigkeit wird inzwischen von Migranten aus EU-Ländern mitgeprägt. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, deren Eltern keine Wohnung haben, schätzt der Verband auf rund 32.000. Erst im Januar hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft Zahlen zu den im Freien erfrorenen Obdachlosen veröffentlicht. Demnach starben seit 1991 in Deutschland mindestens 289 wohnungslose Menschen. Sie sind unter Brücken, auf Parkbänken oder in Hauseingängen an Unterkühlung gestorben.

Gedichtform: 
Thema / Schlagwort: