… denn Liebe wirkt auch aus der Ferne

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von Marie Mehrfeld

Die Seuche droht der ganzen Welt, nichts zählt nun weniger als Geld,
die Straßen, Plätze leer gefegt, sich draußen kaum noch Leben regt,
man wünscht sich fort auf einen Stern, hält sich von andren Menschen fern
und mag der Zukunft kaum noch trauen, die Krise hält uns in den Klauen,
jetzt wahrt man Abstand auf den Wegen und streckt sich nicht die Hand entgegen,

Umarmung darf uns nicht mehr locken, wir lauschen froh den Kirchenglocken,
sie trösten uns mit ihrem Klingen, man sieht auch, wie die Menschen singen
auf den Balkonen und am Fenster, Gesang vertreibt nun die Gespenster
der Furcht für eine kleine Weile, man bleibt zuhaus’, vergisst die Eile und
schließt sich ein in den vier Wänden und hofft, bald wird der Irrsinn enden,

doch in der Enge regt sich Streit, nicht jeder Mensch ist jetzt bereit
sich in die Lage einzufügen, dies zu verleugnen, hieße lügen,
das sind für alle schwere Zeiten, doch hat die Krise gute Seiten,
es rauchen keine Schlote mehr, und auch der Himmel still und leer,
kein Smog verbaut die Sicht aufs Land, das ist doch gut, sagt der Verstand,

Zeit hat man jetzt im Überfluss, liest einen Krimi mit Genuss,
selbst Hass und Häme geben auf, das Sorgen frisst das Hetzen auf,
und noch ein Vorteil, das ist wahr, die Luft über dem Erdball - klar,
ob jung, ob alt, ob arm, ob reich, ganz plötzlich sind wir alle gleich,
hol nun die Farben aus dem Schrank und mal ein Bild, sonst wirst du krank,

sing zur Gitarre, dass es schallt, geh auch spazieren mal im Wald,
kannst endlich inn’ren Schutt ausräumen und in der Nacht vom Fliegen träumen,
stimm dich nun froh auf Stille ein und lass das Murren, Jammern sein
und hab’ die Deinen weiter gerne – denn Liebe wirkt auch aus der Ferne.
Mit Zuversicht, Geduld und Mut – wird’s danach sicher wieder gut.

Wir Menschen sind Hordenwesen, haben in der Evolution nur in Gruppen überleben können. Berührungen und Umarmungen – lösen ein starkes Gefühl zueinander aus, das wir Liebe nennen, sie ist der Kitt, der uns zusammenhält. Auf Nähe zu verzichten fällt niemandem leicht. Eine Pandemie von so tödlicher weltweiter Gefahr aber verlangt uns Vereinzelung ab, um die Ansteckungsgefahr zu vermindern. Das ist eine extrem hohe Anforderung, besonders für alte, kranke und psychisch instabile Menschen. Wir haben aber keine Wahl, denn wir wollen die Krise so unbeschadet wie möglich überleben. Deshalb befolgen wir die vorgeschriebenen Regeln genau, die uns relative Sicherheit geben. Dennoch geht Angst um. Wenn wir uns in diese aber hineinsteigern, werden wir krank. Um das seelische Gleichgewicht zu wahren, beobachten wir aufmerksam, dass diese Krise bei allem unbestreitbaren Schrecken auch positive Nebenwirkungen hat - wie Intensivierung zugewandter Kontakte mithilfe aller einsetzbaren elektronischen Medien oder reichlich angebotene Nachbarschaftshilfe. Wir musizieren von Dächern und Balkonen oder lauschen kollektivem Glockenläuten und stellen abends Kerzen in die Fenster. Die evangelische Kirche fordert dazu auf, jeden Abend um 19 Uhr gemeinsam, wenn auch getrennt, das Abendlied: "Der Mond ist aufgegangen" zu singen. So trotzen wir der Gefahr. Das sind Zeichen von gewachsener Mitmenschlichkeit, über die man sich freuen kann. Je zugewandter wir miteinander umgehen, desto besser werden wir durch die Krise kommen.

Gedichtform: