Robert

Bild für die Seite von Marie Mehrfeld
von Marie Mehrfeld

Kneife meine kursichtigen Augen fest zusammen, da drüben, auf der anderen Straßenseite, das bist doch Du, Robert, oder nicht, immer noch dieser hellgrüne Blick unter buschigen Brauen, der lange sandfarbene Trench, offen natürlich, mit lässig baumelndem Gürtel, längst aus der Mode, mein allerbester Kumpel, nur mit ihm, der Männer liebte, konnte ich als nicht mehr ganz junge Frau echte Freundschaft pflegen, mit völliger Offenheit und ohne eindeutig zweideutige Angebote, ganz da sein für einander, die besten Kochrezepte hatte ich von ihm.
Das war schon immer Dein Stil, fällt mir bei seinem vertrauten Anblick ein, nur nicht dem dämlichen Mainstream folgen, da war ich ganz d’accord mit Dir, so hast du es ausgedrückt, damals, wie lange ist das her?Dazu der verwegene Cowboyhut, eigentlich unpassend für einen seriösen Bankmenschen, der du warst, die Krempe tief über’s linke Auge gezogen, sie lässt deine vollen immer noch zu langen jetzt weiß durchmischten Haare erkennen, sie kringeln sich unter dem Stetson hervor. Und Dein ironisches Lächeln leicht nach links, Schiefmäulchen durfte ich Dich nennen, wer hat schon ein grades Gesicht, Du jedenfalls nicht, das gefiel mir an Dir, nichts von der Stange, der ganze Kerl nach Maß.
Die Ampel zeigt Grün, nichts wie rüber, euphorisch, ich habe so viele Fragen, wo hast Du gesteckt, warum nicht mal angerufen, hallo Robert, lass Dich umarmen, wie wär’s mit einem Käffchen im Lorsch, so wie früher, alle und alles durch den Kakao ziehen?
Er dreht sich erstaunt zu mir um. Überhaupt nicht Robert! Nichts da Küsschen, Küsschen. Den Kerl kenn ich nicht. Wie konnte das nur …
Ich stottere, ʼTschuldigungʼ, Röte steigt auf, bei mir immer zu schnell, er lüpft den Hut, plump, nicht elegant wie Robert mit diesem sagenhaften besonderen Schwung, „macht nichts, Gnädige“, knarzt der Falsche mit piepsigem Organ, seine Stimme hingegen war so edel sonor, jetzt höre ich’s auch. Er ist es nicht, und auch die Augen, klein und ausdruckslos grau, n’ echten Stetson hat er auch nicht auf dem Kopf, sondern einen 08/15 dämlichen Männerhut. Nicht mein Freund, peinlich, peinlich.
Den Schirm spanne ich auf, obwohl es nicht regnet und stürme davon. Verlegen, aber auch belustigt. Was soll’s. Typisch ich. Robert hätte sich darüber halbtot gelacht. Und ich weiß ja eigentlich, dass er schon lange nicht mehr lebt, diese Krankheit hatte auch ihn erwischt vor langer Zeit.
Und was mache ich nun mit dem merkwürdigen angebrochenen sonnigen Märznachmittag? Ich hab’s, begebe mich solo ins Lorsch und trinke einen Schwarzen mit Schuss und stoße auf Dich an, mein lieber Robert. War doch gut mit uns damals, oder?

Gedichtform: 
Thema / Schlagwort: