Du hebst die Augenlider und erblickst Konturen:
Der frühe Morgen schickt sein leises Licht durchs Fenster.
Über den Dingen, die du liebst, spuken noch Nachtgespenster.
Das Zwielicht zwinkert müde; leise ticken alle Uhren.
Die ersten Autos brausen in den tiefen Straßenschluchten;
es klingt in deinen Ohren, als ob Wasserfälle rauschen.
Das Schicksal meint es gut mit dir: du willst mit keinem tauschen:
Ein Vöglein hebt zu singen an und du darfst lauschen, lauschen …
Durchs offne Fenster segelt milde Frühlingsluft;
es wird allmählich draußen und auch drinnen heller,
zwei, drei Sirenen heulen auf und werden merklich greller,
verebben freilich mit dem allerersten Kaffeeduft.
Dann fällt dein Blick auf die Lektüre vom verwehten Abend:
Ein junger Mann verschwand, im Sand verliefen sämtliche Ermittlungen.
Sie kamen schwerlich, schwerlich nur in Gang; Beweise wurden ignoriert.
Die armen Eltern kämpften wie die Löwen, damit endlich was passiert -
doch fand man ihren Sohn zu spät - sein Leben war bereits verklungen.
Du seufzt ein wenig und stehst auf - im Arm die neue „Crime“.
Und später brühst du dir drei Tässchen Tee mit frischem Ingwer.
Dann setzt du dich an deinen Arbeitstisch, schreibst einen neuen Reim.
Und schon versinkt die Welt ringsum: Du siehst und hörst mich nimmer.
Das Journal "Crime" handelt von - meist furchtbaren - wahren Verbrechen. Ich kaufe sie nicht aus Sensationslust, sondern um besser informiert zu sein. Der Fall des jungen Mannes, von dem in meinem Gedicht die Rede ist, wird in "Crime" auf der Titelseite mit folgenden Worten beschrieben: "Er sucht sein Glück in den Bergen. Dann ist er verschwunden. Und keiner weiß, wohin. Bis der Schnee schmilzt ..." Für ganz besonders wichtig aber erachte ich einen Mordfall, der durch Chatten im Netz seinen Anfang nahm: ein schrecklicher Mord an einen Jungen, der in die Fänge eines kaum älteren 'Mannes' geriet, der im Internet seine Opfer suchte. Die "Crime" Nr. 11 gibt es im Bahnhofshandel. Sie kostet 5,20 Euro. Ich habe im Impressum nachgeschaut, aber nicht gefunden, wie oft sie erscheint. Sie wird meistens im Schaufenster der Bahnhofsbuchhandlung ausgestellt; daher weiß ich immer, wann es das neue Journal zu kaufen gibt, ich denke mal, so alle Vierteljahr.
Kommentare
Danke, lieber Alfred, für deinen informativen Kommentar. Ich las neulich: "Lortzing wurde zu Lebzeiten und lange nachher von den Experten so unterschätzt wie Mendelsohn überbewertet. Heutzutage gehören Lortzings beste Spielopern - zumindest in deutschsprachigen Ländern - zu den Säulen des Spielplans. Der "Wildschütz", aus dem ich einige Arien von früher her kenne, ist wohl seine bekannteste Oper. Lortzing musste in Armut und Elend sterben. Das hat er nicht verdient. Ihm gelangen als erstem seit Mozart erfolgreiche deutsche komische Opern.
Liebe Grüße
Annelie
Foto und Text einwandfrei gelungen.
Eine sehr schöne lyrische Beschreibung mit den Zitaten,
".....leises Licht durchs Fenster" und "......segelt milde
Frühlingsluft" !!!
Ich mag den Text.
LG Volker
Danke, Volker, das freut mich wirklich sehr.
Liebe Grüße und noch einen - trotz Trauerfall - einigermaßen schönen Tag für dich und deine Familie!
Annelie
Mir gefällt beides gut! Die Konturen im Gedicht, auf dem Foto.
Ich verbinde Undine mit Ingeborg Bachmann....
Auf jeden Fall beides sehr inspirierend.
Liebe Grüße Lisi
Hi Annelie! Du animierst mich, mit Dir aufzuwachen, voller Genuss mit allen Sinnen lebendig zu sein und - plötzlich- ein Blick auf die Zeitung reicht, um in die Wirklichkeit zu fallen. Genau so ist es!!! Wirklich gut.
LG Monika
Danke, liebe Monika, für deinen lebhaften Kommentar, der auch die letzten Geister heute in mir weckt, weil ich fast die ganze Nacht gelesen habe und ziemlich müde noch bin. Ja, das macht wohl das morgentliche Frühlingslicht; es weckt die Lust am Leben. Man erhebt sich leichter und möchte sich irgendwo am Wasser still in die Sonne setzen, die gute Luft genießen und die Entchen quaken hören.
Liebe Grüße und einen schönen Tag mit Nube ...
Annelie
Danke, liebe Lisi, für deinen Kommentar. Ja, genau! Undine geht ... "Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer! Ihr Ungeheuer mit Namen Hans! Mit diesem Namen, den ich nie vergessen kann." - Eine unvergessliche, so nie dagewesene Erzählung. Freut mich sehr, dass ich, vielleicht auch dich, inspiriert habe. Eigentlich sollte Undine nur aus dem Wasser "aufstehen", weil es Zeit wurde; der Tag längst angebrochen. An Ingeborg Bachmann, die ich immer mal wieder lese und an die ich oft denke, habe ich heute Morgen beim Einstellen überhaupt nicht gedacht. Gut, dass du daran erinnert hast.
Liebe Grüße
Annelie
Liebe Annelie!
Die Freude ist ganz bei mir. In meinem Buch 'Herbstzeitlose', das ich zusammen mit Eike M. Falk geschrieben habe, geht es um Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Das war harte Arbeit. Musste mich sehr intensiv mit beiden beschäftigen.... ' und beide haben es in sich'. Und wie!
Liebe Grüße Lisi
Das ist sehr interessant, Lisi, weil ich praktisch nicht nur alle Bücher von Paul Celan besitze, sondern auch fast die gesamte Sekundärliteratur über ihn kenne. Paul Celans Werk hat mich tief beeindruckt und geprägt. Wir lasen ihn ja in der Schule, und als wir die "Todesfuge" durchnahmen, saß ich nur noch da wie gelähmt und war den ganzen Tag nicht mehr ansprechbar. Natürlich bin ich unheimlich gespannt auf das Buch 'Herbstzeitlose' und du gibst mir bitte bald Nachricht, wo ich es erwerben kann.
Ganz liebe Grüße
Annelie
Liebe Annelie, du kannst es überall erwerben. Sowohl im Buchhandel, als auch online.
Herbstzeitlose
ISBN 978-3743177826
Ich danke dir sehr für dein Interesse.
Und die Todesfuge:
Jedesmal, wenn ich nur daran denke, bin ich ergriffen.
Es lässt mich schaudern.
Überhaupt: was war Paul Celan für ein Mensch. Nie ist er über das große Leid hinweggekommen.
Er war unbarmherzig mit sich selbst.
Bis zum Schluss...
Liebe Grüße Lisi
Danke, Lisi, auch für die Information. Ich bin sehr gespannt auf das Buch.
Liebe Grüße
Annelie
Dein Text gelang, der Zusatz auch -
Dies Foto birgt gar Zauber-Hauch!
(Die Krause ja Undine hasst -
Weil Wasser ihr nun mal nicht passt ...)
LG Axel
Dank Axel, vielmals, könnt' mir denken,
die Bertha badet auch im Bier.
Man sollte ihr ein Duftsalz schenken,
sonst wird sie noch zum - Alphatier.
LG Annelie
Geht mir ähnlich, Annelie. Man liest und hört ununterbrochen Erschreckendes - und dann brüht man sich drei Tässchen Tee mit frischem Ingwer und verdrängt, was bleibt auch sonst. Sich mit allem Elend hautnah zu indentifizeiern macht krank, bringt niemanden weiter.
Liebe Grüße, Marie
Danke für deinen lieben Kommentar, Marie. Man wird sehr nachdenklich beim Lesen. Der Junge, der ermordet wurde, weil er im Internet gechattet hat, war offenbar ein sehr liebes, vernünftiges und intelligentes Kind. Und genauso sieht er auch auf dem Foto aus, das ins Journal aufgenommen wurde. Er hat eine Gehirnwäsche über sich ergehen lassen, die ihn aus den Gleisen geworfen hat, war diesem bösen Typen aus dem Internet total hörig, hat alles getan, was der gesagt hat; er hat den geradezu vergöttert. Ganz sicher hat bei der Verwandlung auch die Scheidung der Eltern eine Rolle gespielt. Man sollte das nicht unterschätzen. Das Schicksal dieses Jungen ist so furchtbar ... Aber ansonsten hast du recht: Man kann sich nicht mit allem Elend beschäftigen, mal ganz davon abgesehen, dass man dann zu gar nichts mehr käme.
Liebe Grüße
Annelie