Die blaue Blume

Bild zeigt Gerhart Hauptmann
von Gerhart Hauptmann

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Wie hell und lieblich liegt sie hingebreitet,
die alte Bergstadt: süß und schwer erklingt
Vergangenes aus ihr, und leise gleitet
um mich das Liebeslied, das Walther singt.
Da wird zum Alpenfirn der Raum geweitet,
die Seele, abendglockenklangbeschwingt,
hebt sich hinan zu jenem letzten Glühen
im Garten, drin Laurinens Rosen blühen.

Noch eben Silber, diese sel'gen Warten,
sind sie, vom Fuß der Himmlischen gestreift,
bereits erblüht zum Rosenwundergarten,
des süßer Duft um meine Seele schweift.
Oh, daß sich seine Wunder offenbarten
mir, dir, dem Kinde, das nach ihnen greift!
Kaum denk' ich dies, so schießt ein grünes Funkeln
von dort herab, und alle Rosen dunkeln.

Der grüne Strahl! Und schon ist er verschwunden.
Wer ihn erblickt, steht an des Meeres Rand,
von dem uns klingen ahndevolle Kunden,
sein Blick berührt ein schwimmend Wunderland:
es scheint verloren, und es scheint gefunden.
Ein goldner Nachen bietet sich am Strand.
Wo blitzte her die gründemantne Kohle?
Vom Rosengarten, aus Laurins Phiole.

So schaukle vorwärts, lichtwärts, kleine Schale,
und inselwärts, getreue Schwimmerin!
Aus Zedern hebt sich eine Kathedrale:
bist du so wandelbar wie Menschensinn?
vielleicht die Hüterin vom heil'gen Grale
bald, bald die Höhle einer Tigerin,
die, sprungbereit, in deiner Tiefe kauert,
indes ihr Fell, grausamer Wollust, schauert?

Nun denn, ich sehe meine Insel schwimmen.
Land' ich auf ihr, sie lande, wo sie will!
Mich trifft ein Durcheinander vieler Stimmen,
sie rufen mich, dann wird es wieder still.
Es bringt den ersten Gruß ein Schwarm von Immen,
mein Haupt umgibt ihr raunendes Gequill.
Ich kenne ihren Stock und ihre Waben,
den heil'gen Wahnsinn, den sie in sich haben.

Mich trifft ein Stich. Es tat nicht not, du Gute,
der bittre Honig gärt mir schon im Blut:
ob es dein bißchen Gift noch mit durchflute,
es lohnt so viel kaum, als es wehe tut.
Doch nein, es wird mir eigen jetzt zumute:
ich fahre hin, ein Schwan, in sel'ger Wut.
Und lauter rufen, heißer, alle Rufer,
inbrünstig glühend spring' ich jetzt ans Ufer.

Wie fang' ich's an, dies Paradies zu schildern,
das sich den staunend offnen Sinnen bot?
Von Weihrauchdüften, süßen Lauten, Bildern,
von Farbenwundern, blendenden, umloht,
vergeh' ich fast. In Schönheit zu verwildern,
hieß diese Wildnis gleichsam ein Gebot.
Doch allem überwog das Lichte, Grüne:
für wieviel Schmerzen war es wohl die Sühne?

Doch nicht genug, daß solche Farben brannten,
mit Duft beladend wohlig kühle Luft,
vom hohen Felsen tropften Diamanten
funkelnd herunter in porphyrne Kluft.
Ein Tropfen, Regnen, Rieseln über Kanten
belebte Blatt und Halm mit Wasserduft.
Bald so, bald so vom Sonnenglanz durchschienen,
Demantenschauer wurden zu Rubinen.

Ich sage nichts vom Edelsteingeflimmer
der Vögel, nichts von ihrer Kehlen Schmelz,
doch wer hier hört' und sah, vergißt es nimmer.
Vergeblich sprech' ich von dem Blütenpelz,
der niederschwankte in den feuchten Glimmer
zur Kluft, und von des Wasserfalls Gewälz,
ob dem ein farb'ger Bogen stand und bebte,
ein Wunder, das vom Anschaun Gottes lebte.

Ich weiß es nicht, wie lang ich, hingenommen
von so viel Waldeswonne, mich vergaß.
Doch als ich zur Besinnung dann gekommen,
fand ich, daß neben mir ein Knäblein saß.
In seinen blauen Augen lag, entglommen,
mehr, als ich aus der schönen Wildnis las.
Sie wahrhaft schienen mir zwei Wunderquellen.
Ich badete, beglückt, in ihren Wellen.

»Du liebe Fackel, liebes Sternlein, Knabe«,
sprach ich, »gern treff ich dich auch hier zuerst,
denn alles, was ich je verloren habe,
ist hier, wie du mit Blicken mich belehrst,
verborgen, wie in einem heil'gen Grabe,
und führt ein Leben, das du hold verehrst.
Du sollst mich an der Hand zum Gipfel leiten,
wo unter uns sich Meer und Eiland breiten.«

Er tat's. Wer weiß, wie lange wir gestiegen!
Doch endlich sah ich, auf dem höchsten Grat,
das Eiland unter mir verbreitet liegen.
Mein Himmelsfreund und kleiner Führer trat
auf eine Klippe, so, als wollt' er fliegen,
und rief: »Willkommner, dein ist dieser Staat,
wo deine Toten, dir lebendig, hausen
in Hütten, Tempeln und verborgnen Klausen.«

Mir liegt es ob, nun, was ich sah, mit Worten
zu schildern; nüchtern mag's zunächst geschehn.
Aus Wipfeln tauchten Zinnen allerorten,
Dächer von Klöstern, Kuppeln von Moscheen.
Es blitzten bunte Fenster, erzne Pforten
und weiße Tempel zwischen stillen Seen,
und furchtbar mächtig stand im Morgenstrahle,
die fern mich schon bedroht, die Kathedrale.

Spitzbogig stand sie da, mit finstrem Mute;,
hoch thronend, gleichsam ein Gehäus' der Nacht,
das steinern, erzen, tot im Lichte ruhte.
Vergeblich brandete die grüne Pracht
des Frühlings, ob in Wonnen er verblute,
um ihren Fuß; und wie die Sonne lacht,
es wird dies finstre Antlitz nicht erhellen,
nie wird ein Lächeln seinen Mund entstellen.

Kaum aber sah das Kind mich leicht erschrocken,
so sprach es schalkhaft: »Liebster Freund, was tut's?
Hier wird darum der Freude Puls nicht stocken,
sie lebt ja von den Wellen deines Bluts.
Und Leben wirst du, wo du willst, entlocken
selbst diesem Petrusfelsen deines Guts.
Es löst dein Wort zu mystisch-süßem Rauche
den Strengen auf, mit seinem Lebenshauche.

Auch kommt mir vor, das drohende Gebäude,
das grau und wild entsteigt dem Christusdorn,
im tiefsten Grunde hegt es doch die Freude.
Man sagt sogar, sie sei, ein goldnes Korn,
versteckt nur darum, daß man nicht vergeude
das Allerseligste in Gottes Zorn!
Gott, sagt man, ist ja selber ganz die Wonne,
sein Zorn selbst dient ihr, wie Gewölk der Sonne.«

»Mein Kind, du hast zum Gipfel mich geleitet,
von dem ein Blick das Wunderreich umschließt.
Sieh das verlaßne Boot, das draußen gleitet
und das den Pilgrim brachte, den du siehst.
Erlaube ihm, daß er nun weiterschreitet,
gelaßnen Wandels diese Welt genießt,
die ihm erschlossen hat ein grünes Blitzen
aus roter Rosen Pracht, Laurins Besitzen.«

Er sprach: »Ich füge ganz mich deinem Walten,
du bist hier Herr in jeglichem Betracht.
Dein ist die ganze Fülle der Gestalten.
Auch mich hast du, der Demiurg, gemacht.
Du kannst mich lösen, und du kannst mich halten,
gedankenschnelle dien' ich. Kaum gedacht,
ein Wunsch von dir, du gibst das kleinste Zeichen,
schon bin ich da, sei's, Steine zu erweichen.«

War's, weil ich wollte oder nicht, verschwunden
ist, der gesprochen. Doch da ward mir weh.
Es schien auch hier mich etwas zu verwunden.
Und plötzlich winkten Schleier, weiß wie Schnee.
Um Wiedersehn, um Abschied zu bekunden?
Mich rührt zu Tränen endlich das Geweh.
Wer war's, wer winkte von des Münsters Stufen?
Als Antwort hört' ich Stimmen »Mary!« rufen.

Wenn du es bist, wie soll ich dann ertragen
des einen, einz'gen Wiedersehens Schmerz?
Und ob hier tausend Sänger jubelnd schlagen,
fast tödlich schlägt in Glück und Gram mein Herz
bei deinen Schleiern, die so bettelnd klagen.
Ach, solches Winken traf, wie oft, auf Erz!
Sooft du weinend von mir gingst da drüben,
daß mich's im Wiedersehn selbst foltert hüben.

Allein nicht lange. Nein, nur auf Sekunden.
Im ganzen blieb mein Wesen heiter-groß.
Ich wußte, welcher Schatz mein, hier entbunden,
geharret hatte, welchen Wunderschoß
des Wunderkindes Wunderhand gefunden,
die selig-spielende. O sel'ges Los,
blutvolle Schattenwelten zu erwecken
noch einmal, eh wir uns zum Schlummer strecken!

»Mein Hesperus«, sang eine süße Kehle,
»umgürte dich mit morgendlichem Glanz!« –
»Mein Ariel, den schönsten der Befehle«,
gab ich

Veröffentlicht / Quelle: 
Die blaue Blume: Ein Märchen. Berlin: S. Fischer Verlag, 1927

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