Die blaue Blume - Page 4

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von Gerhart Hauptmann

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an Wonnen
uns geben. Freund, wir sind der Nacht entronnen.«

Indem wir noch so hin und wider sprachen,
erklangen Stimmen, und es kam vom Meer
und glitt durchs Felsentor herein ein Nachen.
Von Jünglingsjugendblüte war er schwer.
Der vorne stand und dessen Augen brachen
fast vor Entzückungen: wer war es, wer?
Wer anders sollt' es sein als du, mein Bruder.
Willkommen, schwarzes Boot, mit goldnem Ruder.

Wie jung du warst: ich schätzte siebzehn Lenze.
Was war es für ein göttliches Getränk,
das du emporhieltst? »Bruder, ich kredenze«,
sprachst du, »in mir dem Gotte das Geschenk.«
Er trug, wie alle andern Brombeerkränze,
den Kranz! und einen Goldreif ums Gelenk.
Nie sah ich Jünglingsglieder überstrahlen,
wie seine, selbst den Glanz von goldnen Schalen.

Solch ein Gefäß trug jeder der Verzückten,
mit Purpur angefüllt fast bis zum Rand.
»Ich kenne euch sehr wohl, ihr Kranzgeschmückten«,
rief nun mein Freund. Und blauen Funkenbrand
warf er nach ihnen. »Herrlich, ihr Verrückten,
ihr Seher aus dem deutschen Griechenland
erscheinet hier bei uns zu rechter Stunde.«
Da lachten alle auf aus einem Munde.

Ich sprach: »Dacht' ich es doch, ihr wart im Leben
ja halb schon, ihr glücksel'gen Schwärmer, hier.
Ihr mögt uns nun in eure Barke heben.«
Sie riefen fröhlich: »Dazu kamen wir.«
Und es geschieht: wir glühn von neuem Leben,
begrüßen uns mit du und dein und dir.
Ein Boot voll sel'gen Jauchzens treibt im Kreise,
dazu erklingen Zithern, süß und leise.

Und meinen Bruder hielt ich lang am Herzen,
daß Jugendlust in Jugendwonne drang
und die Erinnerung vergangner Schmerzen
vom Jubelruf des Glückes widerklang.
Wir überboten uns in alten Scherzen,
nicht mehr erneut ein halb Jahrhundert lang.
Der Jugend heiße Pulse hüpften wieder
durch unsre Seelen und erneuten Glieder.

Ich sagte: »Da ihr hier seit langem wohnet,
so gebt, Halbgötter ihr, vorerst Bericht,
ob auf der Insel wer als Herrscher thronet.«
Man rief: »Du bist es selbst und weißt es nicht.
Dein Regiment wird dankbar nun belohnet,
wir segnen deine Schöpfung, dein Gedicht.«
Da blitzten liebevoll die Augen allen,
und goldne Schalen klangen an, metallen.

Ich rief: »Der Herrschaft will ich mich entschlagen,
ihr Jünglinge: denkt etwa, daß ich schlief
und daß ich nun, in meinen alten Tagen,
euch neue Untertanen einberief,
um euch nach meinem Reiche auszufragen,
das ich noch nie, so alt ich bin, durchlief.
Vielleicht auch hab' ich es dereinst durchmessen
und nur, nach langem Schlaf, darauf vergessen.«

»Nun, Lieber«, sprach mein Bruder, »du erkennest
in Leuke wohl das Eiland, dem verwandt,
das Capri heißt: und wenn du Capri nennest,
ist's unsrer Bruderliebe Jugendland.
Wenn du dies Jugendland von Leuke trennest,
bleibt hier nur leerer Fels und Wüstensand.
Jetzt aber ist's mit Leuke ganz vermählet,
so daß, wer eines wählet, beide wählet.

Dies klingt wohl dunkel, doch wie sollte einer
auf Leuke seinen Bruder nicht verstehn?
Wir landeten auf Capri einst, um reiner
ein himmlisch Leuke über uns zu sehn.
In dies erhoben nun, unendlich feiner
begabt und mit unendlichem Verstehn,
siehst du Caprea tief im Golfe liegen,
die Sphinx, die unsrer Jugend nicht geschwiegen?«

Ich sah hinab ins Einst, wie er mich lehrte.
Ich sah Caprea, wie, begreift ihr kaum.
Und als mein Blick zu Leuke wiederkehrte,
ward alles schwer von unserm Jugendtraum.
Oh, wie auf einmal uns am Herzen zehrte
das Eiland, das da unten lag im Raum
und an uns sog, als müßten wir von hinnen,
dort nochmals unser Leben zu beginnen.

War dies Beginn, wonach wir nun uns sehnten
als nach des Glückes allerhöchstem Grat?
wo unsre Pulse hüpfend hofften, wähnten,
in Ahnung eines Tags und einer Tat?
In Ahnung nur, denn ob Entwürfe dehnten
die Brust zum Springen uns, fern war die Mahd.
Nicht konnte reifen solche Saat auf Erden,
sie mußte taub vom Halm geschnitten werden.

O wehe uns, so wollt' ich eben klagen.
Da senkte flatternd sich auf meinen Arm
ein Bote Marys, Silberflügel schlagen,
und ein Gedanke macht mich froh und warm.
Die heut hier Herrin ist, in alten Tagen,
auf Capri schon, betreute dich ihr Schwarm
von Boten, Tauben, liebenden Gedanken.
Noch hast du gleiche Wonnen ihr zu danken.

»Ihr Freunde, fülle jeder seine Schale:
mit Andacht führe jeder sie zum Mund
und trinke, so, als wär's aus heil'gem Grale.
Ihr gilt es, Jünglinge, die unsern Bund
in Gnaden segnet mit der Liebe Strahle.«
Da wußte jeder, wen ich meinte, und
sie tranken ernst, vergessen war das Scherzen,
und jeder hatte Marys Bild im Herzen.

Und jeder wußte, daß, die Leukes Schatten
das Leben gab, allein nur Mary war.
Sie war die Große Mutter dieser Matten
und Triften. Sie nur trug im schwarzen Haar
die Inselkrone, frei, und ohne Gatten,
als Mutter-Königin. Man fühlte klar:
uneingeschränkt-allmächtig war ihr Walten
auf Leuke, über Namen und Gestalten.

Und plötzlich, als wir alle so versunken
noch standen, deren in der blauen Nacht
gedenkend, der zu Ehren wir getrunken,
entglomm ein Punkt im fernen Grottenschacht
türkisen auf. Kaum, daß den blauen Funken
wir leuchten sahn in ungekannter Pracht,
da wußten wir, in welchem Heiligtume
wir waren; alles rief: »Die blaue Blume!«

Und alsogleich fing in uns an ein Singen
von selbst, und Klang entströmte jeder Brust.
Es war ein überweltliches Durchdringen.
Wir glichen Opfern einer Himmelslust.
Unmöglich, solche Wonnen zu bezwingen,
den Willenlosen, schmerzlich fast, bewußt;
doch selig schauernd, wissend, was beginne,
ward jeder sich der Gnadenstunde inne.

Es klang aus uns: Nur dich zu benedeien
sei auf dem Wundereiland uns Beruf.
Und, nach und nach, zu deinen höchsten Weihen
führt Tempeldienst und Klosterglockenruf.
Dein Dienst allein soll wachsen und gedeihen.
Und alles, was das blaue Wunder schuf,
hier widerfahre Andacht ihm und Pflege,
auf dieser Insel heiligem Gehege.

So ward im Innern uns ein neuer Glaube
geboren. – Ach, wie war ich glaubenslos!
Im Blumentempel eine weiße Taube
leichtflatternd schwebte, wie in seinem Schoß
geboren. Von dem goldnen Lorbeerlaube
in ihren Krallen schoß ein Glanz, so groß,
daß ich nicht leicht es fand, bei solchem Brennen
den Boten Marys wiederzuerkennen.

Wir müssen an der Träume Wahrheit glauben,
um solchem Zauber ins Gesicht zu sehn.
Jetzt drang herein vom Meer Tritonenschnauben,
und von Sirenenklängen schien's ein Wehn.
Wir sahn Delphine blitzschnell einwärts schrauben
den Leib und unter uns im Kreise gehn.
Und endlich ritt auf einem solchen Tiere
Nerites ein, der Nereus-Kinder Ziere.

Der Knabe Dämon sprach: »Ihr habt gefunden,
was uns und euch in einem Dienst vereint,
und auch in einer Welt hat's uns verbunden.
Mein Vater Nereus hat das auch gemeint,
der Meergreis läßt es euch durch mich bekunden.
Genug für heut des Segens, wie mir scheint.
Und nun besteigt die starken Wellenrosse
sogleich, ein Bein je hinter einer Flosse!«

Hei, wie wir alle aus der Höhlung glitten,
selig erblindend fast in Tagesglut.
Die Freunde riefen: »Wahrlich, gut beritten
sind wir Poeten!« – »Doch es kostet Mut«,
gab ich zurück. Wir stäubten, wie auf Schlitten,
dahin ums Inselreich auf grüner Flut.
Tollselig war die wilde Kavalkade,
vom Ufer spähte Nymphe und Najade.

Und alle Nereus-Töchter um uns tollten,
es waren ihrer fünfzig, schaumgelockt.
Sie lachten, daß die Felsen widergrollten,
sooft ein Roß den Reiter abgebockt,
dagegen sie freigebig

Veröffentlicht / Quelle: 
Die blaue Blume: Ein Märchen. Berlin: S. Fischer Verlag, 1927

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