Die blaue Blume - Page 3

Bild zeigt Gerhart Hauptmann
von Gerhart Hauptmann

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berührte, blitzend-heiter,
den Scheitel mir. Da wußt' ich Weg und Ziel
des Gastes und erbot mich zum Begleiter.
Der weiße Vogel schwand als wie im Spiel.
Selbander schritten nun wir beide weiter.
Ich sprach: »Dein wartet, Freund, des Sel'gen viel.
Dir schenket sich die lieblichste der Zellen,
gelegen an der frischesten der Quellen.«

Kaum daß ich diese Worte ausgesprochen,
und schon war das Geschenk uns voll geschenkt:
ein Hüttlein war's, ein Handwerk nicht von Wochen,
von Stunden war's, aus Binsenwerk geschränkt.
»Oh«, sprach mein Freund, »mir ist der Star gestochen,
zum Nieerreichten ward ich hingelenkt:
die Hütte hier, der irdne Krug, daneben
ein Brot: hier wahrlich, Lieber, läßt sich's leben.«

Allein, es stand noch mehr in dem Gelasse:
ein Tintenfaß sowie ein Federkiel.
Da lachte breit mein Freund. Mit diesem Nasse
Zeichen zu kritzeln war sein liebstes Spiel.
Ich sprach: »In diesem freundlichen Gelasse
erwarten dich der wahren Freuden viel,
und mit den Musen selbst wirst du verkehren
so frei, als ob sie deine Schwestern wären.«

Das Auge floß dem herzlichen Gesellen,
sobald er dies Versprechen ganz begriff.
Er trank wohl kaum von den Kastal' sehen Quellen
auf Erden, ob er gleich den Becher griff,
voll heißen Durstes, oft, nach ihren Wellen.
Hier oben aber, auf dem stillen Kliff,
auf dessen Porphyr heiß die Sonne glühte,
ward sein, worum er sich umsonst einst mühte.

Er fühlte das und war drum gleich zu Hause
hier oben, machte sich's sofort bequem.
»Tritt«, sprach er, »nur herein in meine Klause,
du bist willkommen, bist mir angenehm.«
Aus Tiefen drang der Brandung dumpf Gebrause,
und Marys Vögel kreisten über dem.
Am Felsen sprangen, weiß wie sie, die Schäume,
die See war grün wie maiengrüne Bäume.

»Wie lange denkst du«, fragt' ich, »hier zu wohnen?«
Er seufzte: »Recht, auch hier herrscht noch die Zeit.
Nun, was an mir liegt«, fuhr er fort, »Äonen,
denn hier ist meiner Art Genügsamkeit
genuggetan, ich frage nichts nach Thronen.
Mein Blick ist weltenweit, mein Herz befreit
und beide gleich teilhaftig auch der Enge.
Das ist's, was mich beglücket auf die Länge.«

»Ich brauche dir«, so sprach ich, »kaum zu sagen,
welch neuer Kräfte Spiel allhier dich trägt.
Dich übern Rand des Kliffs hinauszuwagen
ist hier kein Wagnis. Was die Dichtung pflegt
zu tun, auch wohl bereits in Erdentagen,
das ist Gewohnheit hier, die jeder pflegt.
Du hast wohl Fische hinter Glas gesehen
und wie sie schwebend auf und nieder gehen.

Sie können es, die Flossen kaum bewegend,
nach vorwärts hin, nach rückwärts, ohne Pfad,
in jeder Höh' beliebig still sich legend,
dem Element vermählt, dem sel'gen Bad.
Auch dir ist's nun verliehn: den Wunsch nur hegend,
bewegst du mühlos dich auf jedem Grad
der Höhn und Tiefen in der Aerosphäre,
obgleich noch dienstbar dem Gesetz der Schwere.«

Er nickte, so, als spräch' ich längst Vertrautes,
und sprach: »Erkenntnis ward mir schon zuteil.
Sie floß mir zu im Klange jedes Lautes.
Wie seltsam doch: das neugeschenkte Heil
ist ein auf altem Grunde auferbautes.« –
»Wie meinst du das?« so fragt' ich. Er drauf: »Weil
wir beide doch das neue Sein beginnen
mit unsern alten, wenn auch höh'ren Sinnen.

Denn, Gott sei Dank, ich fühle, schmecke, rieche,
die Weite loht in meiner Augen Licht.
Und gleichviel, was da fliege oder krieche
um Leukes Klippen, es entgeht ihm nicht.
Und auch mein Ohr genießt das wonnigliche
Geräusch: Musik, die voll aus allem spricht.
Musik des Meers, der Luft, der stummen Dinge:
ein Chor, in dem auch ich in Kürze singe.

O Seligkeit, wohl ist es zum Erstaunen,
beinah ist alles hier als wie bei uns.
Gerölle, Falter, wunderlichste Launen
der großen Mutter Erd' und ihres Tuns.
Offnes Geheimnis, trotzdem doch das Raunen,
dicht neben mir, des alten Rätselbrunns.
Dies sucht' ich, grade dies: für das Genommne
nur wiederum das Selig-Unvollkommne.

Und wären hier drei Sonnen, ist doch Schlummer
auch hier gewährt dem, der zu lang gewacht.
Auch wird mir niemand nehmen süßen Kummer,
der noch so glühe Himmel, nicht die Nacht.
Allein genug, ich rede wie ein Stummer.
So scheint mir denn, ich bin zum Herrn gemacht
von dem, als dessen Knecht ich einst geboren.
Doch ging davon kein Tüttelchen verloren.«

»Was denkst du nun hier hüben zu verrichten,
auf den erhaben-lichten Ort verbannt?« –
»Verbannung nennst du's, ich jedoch mitnichten:
denn grade dies umgrenzte Inselland
zwingt meine Brust zu grenzenlosem Dichten.
Mein Genius, ich spüre seine Hand,
zeigt mir auch nahes Gold genug zu schürfen.
Es schwillt mein Herz von köstlichen Entwürfen.«

»So ist es«, sagt' ich, »doch nun sei geladen»
zu dieses Augenblicks Glückseligkeit.
Die Sonne sticht. Komm mit und laß uns baden
in einer Grotte, drin Verlassenheit
beschützt die sel'gen Spiele der Najaden!«
Ein weißer Vogel rief: »Ich bin bereit.«
Man weiß ja, welche Seele ihn entsandte
und wie sein kleines Herz in Liebe brannte.

Und von dem Rand des Abgrunds traten beide,
ich und der neue, sel'ge Eremit,
ins Nichts, das ich in nichts mehr unterscheide
von höchster Wonne, himmlischem Gebiet.
Wer so wie wir schwebt, weiß nichts mehr von Neide,
ob es ihn aufwärts oder abwärts zieht.
Wir streiften bald des Meeres grüne Gärten,
und Silberschaum umrauschte unsre Fährten.

Und Marys Möwe hatte bald gefunden
das Felsentor der Grotte von Azur.
Ihr Silber war sogleich darin verschwunden.
Wir folgten ihr gleichwie an goldner Schnur.
Jäh war von oben alles Licht verschwunden,
ein blauer Himmel wogte unten nur.
Sein Blau, vergeblich ist's, von ihm zu sagen,
ihr mögt Laurin, den König, drum befragen.

Der Grottenherrscher zeigt euch wohl im Eise
der Gletscher solches niegesehne Licht.
Er führt euch wohl auf unterird'scher Reise
an Zauberseen, wo es nicht gebricht,
dies Element, das ich vergeblich preise,
weil doch das Auge, das es sah, nicht spricht.
Wir waren drin nur bis zum Kinn versunken,
zwei sel'ge Schwimmer, und doch ganz ertrunken.

»Wie überselig«, rief ich, »sind wir beide,
gewürdigt solchen urgesunden Seins,
in solchem Bade, solcher Sinnenweide,
in frischen Fluten blauen Himmelsweins
uns wälzend. Spreche niemand mehr von Leide!
Wann litt ich jemals? Nein, ich kenne keins!
In Himmeln wühl' ich, wühle in Geschmeiden,
und du: Laurinens Schatz gehört uns beiden.«

Es sprach der Freund: »O Liebster, ich verstehe,
was unaussprechlich Neues uns geschieht.
Obgleich ich dies zum erstenmal nicht sehe,
ist's dennoch neuerschlossenes Gebiet.
Ich selbst, erneut vom Scheitel bis zur Zehe,
begreife trunken, wie der Tod erzieht.
Er lehrt den Auferstandnen neu begreifen
und alter Sinne Blindheit abzustreifen.«

Er lachte laut ein hell-tritonisch Lachen,
daß wie von Muschelruf die Höhlung scholl.
Von draußen schien ein Echo zu erwachen,
allein, es schwieg nicht mehr. Dazu Geroll
von Paukenwirbeln. »Hörst du, dies sind Bakchen«,
rief ich, »Freund, dein Trompeten macht sie toll.
Es brennen hier auf dieser Inselseite,
so tags wie nachts, dem Bakchos Opferscheite.

Und du hast recht«, so sprach ich fort und streckte,
wie Schwimmer müssen, Arm' und Beine froh.
»Was immer unsre Sinne auch erweckte,
gewiß ist: keiner je beschenkte so
im Leben uns mit dem, was er entdeckte;
was je er damals bot, ich nenn' es roh,
mit dem verglichen, was sie heut

Veröffentlicht / Quelle: 
Die blaue Blume: Ein Märchen. Berlin: S. Fischer Verlag, 1927

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