Die blaue Blume - Page 2

Bild zeigt Gerhart Hauptmann
von Gerhart Hauptmann

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zurück, »erfüll' ich gern und ganz:
der Gürtel schmückt die abendliche Seele,
wie weißen Scheitel roter Rosen Kranz,
denn Morgen, das ist Jugend, diese wieder
ist Kraft, die Schönheit ist für Haupt und Glieder.«

Ich stieg hinab an eines Bergbachs Rande.
Viel bunte Fische schnellten draus empor.
In Klarheit ruhten andre überm Sande.
Ihr Farbenspiel kam nicht auf Erden vor.
Ich war, nach kurzer Zeit, sehr nah dem Strande,
in dem ein schäumend Branden sich verlor,
so majestätisch und so still-gelassen
zugleich, wie Worte, die nur Götter fassen.

Ich stehe still, um diesem Klang zu lauschen,
in dem so unaussprechlich Tiefes quillt.
Wie lange trug ich mich, ein Lied vom Rauschen
zu singen, ob's durch Föhrenwipfel mild
hinatmet oder Fittiche sich bauschen.
Doch was es auch in meinem Leben gilt,
hier galt es mehr und tönte tiefre Märe,
als ird'schem Mysten je gelungen wäre.

Ein Rätsel war's. Solang es mich erfüllte,
vergaß ich fast, was ein Geheimnis sei:
mein ganzes Dasein war nur das Enthüllte.
Dann schwebten, wohlbekannten Ganges, zwei
Füße heran. Und eine Hand zerknüllte
ein Tränentuch. Ein Antlitz, grau wie Blei,
mit Augen, tränenregnend schwarze Schatten:
es war ein Weib und suchte seinen Gatten.

Und dieses Weib, das Mary war, so nahe,
entzog sogleich mich dem Geräusch durchaus.
Seltsam genug war das, was nun geschahe.
Sie zeigte hin nach einem goldnen Haus,
und heitrer war, sobald sie mich ersahe,
ihr Blick und Gang. Alsdann schritt sie voraus,
mir öfters winkend mit der dunklen Braue,
auf breiter Straße zu dem goldnen Baue.

Sie war gesäumt von schweigenden Zypressen,
so hoch, wie ich auf Erden keine sah:
sie mochten leichtlich hundert Ellen messen.
Doch bald war ich der goldnen Schwelle nah,
die ward von der erstiegen unterdessen,
der einst von mir so großes Weh geschah.
Ich zögerte zu folgen; doch Verzeihen
schien ihren Mund vom Grame zu befreien.

Was dann geschehen: viel muß ich verschweigen.
Wir tranken Wein und aßen weiznes Brot
in einem wunderbaren Tempelschweigen.
Ihr Lippenpaar war nie im Leben rot;
nun aber schien hinein das Blut zu steigen,
und so, als auferstehe sie vom Tod,
durchbluteten sich Antlitz, Brust und Arme.
Ich fühlte, daß zum Leben sie erwarme.

Und Mary sprach, nachdem sie mit den Lippen
sich, zuckend, lange, süß und schwer bemüht.
Nur um zu flüstern, muß sie öfters nippen
an einem Kelch, dem fremder Duft entblüht.
Sie sagt: »Wir sind hier sonderbare Sippen
auf Leuke, sind im Tode kühlgeglüht.
Doch nicht zu wörtlich nimmst du wohl das Kühlen
und auch das Glühn nicht: besser wirst du's fühlen.

Was wir hier atmen, das sind Mondeslüfte,
und jegliches Berühren hier ist Kuß.
Wir lieben Schmerz wie Lust, und bittre Düfte
wie süße: alles wird uns zum Genuß.
Erinnrung an der Erde harte Klüfte,
an Pein und Wirrsal, jeglicher Verdruß
wird Brot, wird Wein, von dem wir essen, trinken,
ist stille Luft, in die wir selig sinken.«

»Wie seltsam«, sprach ich, »bist du mir versöhnet,
Entfernte einst, in Wahrheit nie getrennt.
Wie alles um dich säuselt, um dich tönet!
Es scheint, daß alles dich als Herrin kennt.
Zur Jungfrau-Mutter-Königin verschönet,
die goldne Spange um die Stirn dir brennt.
Gebieterin in diesem Inselreiche
scheinst du durchaus zu sein, o Dunkle, Bleiche.«

»Ich bin's«, gab sie zur Antwort, »das Verhängnis
hat mich dazu erlesen über Nacht,
erhoben mich aus irdischer Bedrängnis
und mich zur Mutter-Königin gemacht.
Mein Schoß ist offen höherer Empfängnis,
und allgemein auf Leuke meine Macht.«
Sie winkte, und herein mit Flügelschlagen
flohn Vögel, zahm wie auf den Galapagen.

Wie sie die Vögel nannte, werd' ich wissen,
wenn ich dort oben nicht mehr bloßer Gast.
Sie glichen Blüten milchiger Narzissen,
von einem frohen Frühlingswind erfaßt.
Gehorsam schienen sie und dienstbeflissen,
auf ihren Hälsen grünlich-goldner Glast.
»Ein jeder«, sagte sie, »ist ein Gedanke
von mir und will dir dienen ohne Schranke.

Nicht wahr, es ist ein seltsames Genügen
in dir?« So spricht die dunkle Herrin weich.
»Ein Etwas atmest du in tiefen Zügen,
tief-sel'gen Kitzels. Nie ist je so reich,
was Erdenlüfte auch im Schoße trügen.
Du blickst mich an, ich bin noch immer bleich,
trotz allem aber in mir selbst glückselig.
Nicht Augenblicke noch auch Stunden zähl' ich.

Olympisch, guter Freund, ist alle Erde
hier oben, und aus ihr sind wir gemacht.
Durch Darben leidet hier kein Trieb Beschwerde,
zur Ruh' wird jeder, in uns selbst, gebracht.
Es liegt in uns das ewig-ganze ›Werde‹,
in jedem Mann und Weib, wie Tag und Nacht.
Der Zeugung ganze Macht, hier ew'ges Leben!
In jedem liegt das Nehmen und das Geben.«

Wirst du mir, Inselfürstin, prophezeien?
fragt' ich mit einem Blick. Sie nickte leis:
»Du hast des Schlafs, des Traumes kleine Weihen,
des Todes Weihen sind der größre Preis.
Doch da dir beide blühen von den zweien,
so nimm die eine jetzt.« Sie blinzte heiß
mir zu. »Du magst sie straflos voll genießen
und frei der Wonne Quellen lassen fließen.

Nun geh«, sprach sie und strich mir sanft die Locken.
»Du bist, wo du auch seist, von mir nicht weit.
Du hörst mein weißes Möwenvolk frohlocken
allüberall um dich, und stets bereit –
du brauchst mit flücht'gem Wunsche nur zu locken –
ist jeder einzelne zur Dienstbarkeit.
Schon schweben sie, rings, über allen Hügeln,
in Freude, dir zu dienen, kaum zu zügeln.

Und wie sie das verstehen, wird, ich meine,
dich wundern: ist's ein Wunder doch für sich.
Eros und Psyche stiften's im Vereine,
denn sie beherrschen alles hier durch mich.«
Ich küßte Mary und ging fort alleine.
Ich fühlte keiner Trennungswunde Stich.
Wie Falter fühlt' ich meine Brust umscherzen
Erwartungen, mit ihrem Wort im Herzen.

Kaum stand ich, ins Gebüsche eingedrungen,
auf goldnem Wege, wipfelüberdacht,
da kam, mit heitrem Ruf, durchs Grün gesprungen,
ich möchte sagen, kam herangelacht,
glückselig, in den lichten Dämmerungen,
ein Mensch, an den ich eben nicht gedacht.
Und winkend blieb er, lust'gen Blickes, stehen
und rief: »Was sagst du wohl, mich hier zu sehen?«

»Willkommen!« sprach ich, »Liebster, jeden Falles,
wie immer du hierher gefunden hast.« –
»Ich weiß es nicht, und fast vergaß ich alles,
womit ich bis zur Stunde mich befaßt«,
war seine Antwort. Ob so frohen Schalles
des eignen Worts gab mir, ergötzt, der Gast
die Hand und schloß: »Mir scheinet, ja, ich wette,
ich komme gradeswegs vom Totenbette.«

»Du warst voll Jugend«, sprach ich, »und voll Frische,
trotz deiner Jahre, als ich jüngst dich sah.
Mir schien, du setztest dich erst recht zu Tische.« –
»So schien's auch mir: allein, nun bin ich da«,
sprach er darauf. »Ich weiß das Zauberische
nicht zu enträtseln, was mit mir geschah.
So Tisch und Sessel war miteins verschwunden,
und so auch ich, bis ich mich hier gefunden.

Hier ist ein goldnes Täflein, vorzuzeigen,
ich wüßte wahrlich nicht, wer es mir gab.
Nach irgendeinem Kloster soll ich steigen,
ein Name war's, den ich vergessen hab'.« –
»Zeig her das Täflein: diese Schrift ist eigen«,
sprach ich. »Mir mindstens schweigt sie, wie das Grab.«
Und wie ich fragend kaum gen Himmel blickte,
sah ich den Boten schon, den Mary schickte.

Sein Flügelflaum

Veröffentlicht / Quelle: 
Die blaue Blume: Ein Märchen. Berlin: S. Fischer Verlag, 1927

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