Die blaue Blume - Page 5

Bild zeigt Gerhart Hauptmann
von Gerhart Hauptmann

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Beifall zollten
jedwedem, der wie angegossen hockt'
im Schwanken so und so, im Flutgezische,
auf seinem Flügelroß … nein, Flügelfische.

Und viele Grotten gab es, gleich der blauen,
rings in der Küste: lachend aus und ein
ging unser Ritt, gefolgt von Meeresfrauen.
Bald schien die Kavalkade mir zu klein
jedoch, und ich begann, mich umzuschauen.
Wie, sollte etwa doch ertrunken sein
der ein und andre? Weit gefehlt: sie waren
vielleicht ertrunken, doch in Nixenhaaren.

Und die mit mir, die Rechte an der Flosse
des glatten Ungeheuers, das mich trug,
hielt gleichen Schritt mit diesem Wellenrosse.
Allmählich ward es wie ein Hochzeitsflug,
und Nereus' Tochter übte manche Posse,
bis sie dann hinter mir auf glatten Bug
sich jauchzend aufgeschwungen des Delphines,
ihn leitend nach geheimem Ziele, schien es.

Wie könnt' ich wohl von solchem Ritt erzählen
und allen sel'gen Buchten von Azur,
und welche Erdensprache sollt' ich wählen,
wenn nicht Musik, zu folgen unsrer Spur.
Die Meerfrau sprach: »Bevor wir uns vermählen,
denn wir vermählen uns mit Menschen nur,
die wir zu unsrer Wonne Kraft erhoben,
mußt du, als ihr Gefäß, dich erst erproben.«

Und unter Küsten, drauf die Griechenstädte
erglänzten, rauschten selig wir dahin.
O Syrakus, wer dich geahnet hätte!
Dich nur zu ahnen, fehlt uns heut der Sinn.
Wir wogten unter dir im Flutenbette,
die Arme ring' ich staunend zu dir hin,
du Götterstadt: denn sel'ge Götter thronen
seh' ich in dir, fast mehr, als Menschen wohnen.

O Griechen, wieviel wundervolle Künste
in Erz und Marmor übte eure Hand!
Der Schönheit Glanz besiegte Fieberdünste.
Ihr teiltet mit den Himmlischen das Land.
Auf jeder Münze, die der Prägstock münzte,
der Gott, die Göttin ihren Spiegel fand.
Und hatte wer ein Weizenbrot zu zahlen,
die Gottheit blitzte auf mit sel'gen Strahlen.

Nun aber unaufhaltsam überfangen
ward meine Brust von einem jähen Gram.
Und auch der Meerfrau tiefe Seufzer drangen
zu mir. Was war's, was uns die Freude nahm?
Des Krieges Fackeln, der Medusa Schlangen,
sie wüteten auch hier, und ohne Scham
zerstampfte Menschenfuß in blindem Wüten
des Menschengeistes allerschönste Blüten.

Und Lasten schleppten nordwärts Räuberkiele
von erznen Göttern: den Olymp verstaut
im Schiffsraum und geschleppt nach jenem Ziele,
das sich um sieben Hügel auferbaut.
Zum Meeresgrunde freilich sanken viele,
und wer vom Borde träumend niederschaut,
dem wird es silbern aus dem Grunde blinken,
gestürzter Götter stillvergeßnes Winken.

Auch uns geschah's. Die Meerfrau tauchte nieder,
wo, fast verschüttet von dem Tiefensand,
Pindar-besungnen Siegers Silberglieder
aufglänzten, Silberstirn und Silberhand.
Sie kehrte kreischend aus der Tiefe wieder
und beide wir zurück zu Leukes Strand.
Denn ängstlich kreisten um uns Marys Tauben,
die Mutter schien an meine Flucht zu glauben.

Zurück, zurück an deine sichren Borde,
Leuke, Sireneneiland, Capri du!
Schon hauchen außerirdische Akkorde
uns von den steilen Küsten selig zu.
Und von Kentauren eine kleine Horde
sprengt an, bis wo wir landen, da im Nu.
Sie wechseln miteinander Griechenlaute
und mit der Nixe, die mein Rößlein kraute.

Hinweg der Spuk. Mein Bruder war gekommen,
ich nenn' ihn Hypatos. Er trat heran,
und beide wurden wir emporgenommen,
wo tiefe Stille goldne Fäden spann.
Die Hitze machte alles rings verschwommen,
Zikadenlaute schrillten dann und wann.
Es war dem Ohr dasselbige Geflimme
wie Licht dem Auge: gleichsam Lichtes Stimme.

Und weit und weit rings dehnte fort das Blaue
sich doppelt, so in Tiefen wie in Höhn.
Mein Bruder sprach: »Wohin ich immer schaue,
in uns und um uns, hier ist alles schön.«
Ein Diamantblitz kam von seiner Braue.
Und zweier Flügel brausendes Getön
schoß her, umkreiste uns mit feinem Singen,
mit einem Band uns gleichsam zu umschlingen.

Kein Zweifel, wer den Boten uns gesendet,
den dreimal-heil'gen, friedevollen Geist.
Wir wissen, was die Gnadenmutter spendet,
die ja die Mutter aller Gnaden heißt.
Auf ewig ist der Bruderzwist beendet.
Hypatos sprach: »Ich weiß, was du nicht weißt.
Du saßest auf der Insel Herrscherthrone
als erster Grieche einst, du bist Telone.

Wie hast du jetzt den Weg zurückgefunden
und mich, zugleich mit dir, ins Licht gebracht?«
Ich sprach: »Es brachen süße Liebeswunden
auf vor Laurinens Abendrosenpracht.
Da hab' ich einen Nachen losgebunden,
den Zauber trägt und Zauber überdacht,
und konnte dich hierher, von Marys Gnaden
ein Herrscher, ebenfalls zu Gaste laden.«

Im Mittag feilten immer noch die Grillen
auf unsrer nackten Felsenhöhe Glut.
Er sprach: »Sie singen hier um unsretwillen,
wie wir einst Menschen, Blut von unserm Blut.
Eh Musen waren, fühlten sie entquillen
sich selbst Gesang, und der Begeistrung Flut
entstieg so unaufhaltsam ihren Kehlen,
drin zu verbluten schienen ihre Seelen.

Da war kein Halt, kein Halten. Jedes Schweigen
war ein Verlust an seligstem Genuß.
Sie aßen, tranken nicht, um nur zu geigen
So starben sie bei sel'gem Überfluß.
Doch merkten sie es nicht, und das war eigen.
Und fortzusingen ohne Überdruß
gab ihnen Zeus mit seiner Allmacht Winke,
auf daß auch er an Tönen satt sich trinke.«

»So macht uns guten Leumund, heiße Seelen«,
sprach ich, »bei den Erlauchten, bei den Neun!«
Drauf Hypatos: »Es sollte wohl nicht fehlen,
wir haben, wie ich meine, nichts zu scheun.
Was sollten wir Begeisterten verhehlen,
was, hier auf Leukes Felsen, wohl bereun?
Im Dienst der Musen geben wir den Grillen
nichts nach, die hier im heißen Mittag schrillen.«

Wer war der Jüngling, der mich nun begrüßte?
Schon sprach er: »Midas bin ich, Marys Sproß.«
Mir war, als ob ich eine andre wüßte,
die ebenfalls ihr Leben in ihn goß,
und gleich darauf, als ob mich jene küßte,
so daß ein Zittern in die Brust mir schoß,
als dränge hier aus einer andern Sphäre
ein neues Etwas, noch voll Erdenschwere.

»Ich bin dein Sohn«, spricht Midas, »und der großen
Allmutter, die aus Isis-Brüsten stillt
mit Mohnsaft dich und mich und die aus Schößen
des Lebens, immer lebend, überquillt.
Auch deine Seele möge nicht verstoßen,
was etwa drüben mehr als hüben gilt
und etwa noch nicht ganz von Schlacken frei ist,
wenn nur ein Körnlein attisch Salz dabei ist.

Ich sah das Licht von deinem Rosengarten,
und da ich blutsverwandt bin mit Laurin,
mit gleichen Rosengärten aufzuwarten
in Makedonien wohl fähig bin,
so gib mir Bürgerrecht im Offenbarten,
ich füge mich von Herzen deinem Sinn.
Nicht ärgre dich an meinen Eselsohren,
ich bin trotzdem ein König, hochgeboren.

Ich trage sie, weil ich verkehrt entschieden
den Sängerwettstreit Marsyas-Apoll,
und auch als Priester dessen, der, beschieden
von dir nach Leuke, nun erscheinen soll.«
Er nahte mit gesenkten Augenliden,
langsam und schwer, der Gott, des Weines voll.
Mit schwarzen Trauben tief das Haupt verhangen,
um die Gelenke klirrten goldne Spangen.

Wir bebten, ihn zu schaun. Im Schauen beben
fühlt' ich die Knie. Sein Blick war sel'ge Wut.
Auf nackte Schultern floß das Grün von Reben,
rot troff der Bartflaum ihm von Rebenflut.
Machtvolle Glieder pulsten warm von Leben.
Wie ward uns da so eigen fremd zumut,
als nun des Götterweichlings Fuß die Treppe
erstieg, als ob er eine Kugel schleppe.

Wie aber malen ihn, der, so athletisch
als aphrodisisch blühend, seinen Arm
emporhielt, mit der weichen Hand magnetisch
gefesselt an die Schale, sonnenwarm?
Wie schildern, was ihm nachdrang und frenetisch
tobte sein Lob: der Bakchen tollen Schwarm,
der, mit dem trunknen Gotte an der Spitze,
geboren schien aus Glanz der Mittagshitze?

O du, Dionysos, dich aufzusaugen,
du namenlosen Schicksals Träger, nie
satt werden sie, ermüden meine Augen!
Wie kam es doch, daß meine Seele schrie
und meine Wangen beizten salz'ge Laugen?
Und auch mein Bruder weinte: »Sieh, o sieh!
Der Wollust Herrscher und des Überflusses,
selbst übersättigt, Knecht nun des Genusses.«

Mit Inbrunst lächelnd und mit jenem Grinsen,
das bittre Ohnmacht geisterfahl bekennt,
schritt er. Die Linke hielt ein Büschel Binsen.
Wer ahnt die Lust, die Qual, die in ihm brennt?
Er trägt sie schweigend hin mit schielem Blinsen,
vereinsamt, von der Bakchen Schar getrennt.
Ihr Paukendonner klingt wie dumpfe Trauer
im Zug des Todes. Und mich fassen Schauer,

Was packt mich jäh und macht mein Herze stocken?
Mich trifft auf einmal ein vergeßner Laut.
Erzmünde hauchen durch des Gottes Locken.
Die Kathedrale, auf dem Fels erbaut,
die fast vergeßne, schwingt die mächt'gen Glocken.
Im Klange zuckt des Gottes weiße Haut.
Er blickt dorthin, von wo die Klänge fluten,
und seine Seite tropft, fängt an zu bluten.

Ein klagend Aufschaun scheinet uns zu gelten.
»Ihr wißt, die Kathedrale wartet mein.
Ich, eingekerkert in die Leidenswelten,
betrete nun dies heil'ge Grab von Stein.
Dies ist mein Los. Euch soll es nicht erkälten,
denn morgen werd' ich auferstanden sein.
Und werd' ich heute auch ans Kreuz geschlagen,
schon morgen muß ich selbst es wieder tragen.«

Wie kam es, daß ich jetzt es erst gewahrte,
des Zweigebornen buntes Luchsgespann?
Erknisternd in dem salbenduft'gen Barte,
besteigt's der Gott und zieht den Zügel an.
Die Tiere greinen, und auf einmal scharte
Bakchant, Satyr, Silen sich um und an
und nahm den Weg hinüber zu den Türmen
des Doms: sogleich begannen sie zu stürmen.

Und weit erschallt des Tales grüne Mulde:
»Lyaios, Bromios, Vater Eleleus!«
Und so, als ob der Gott nichts Stummes dulde,
schrie jedes Blatt: »Evoe, trunkner Zeus!
Kein Staubkorn, das dir nicht Verehrung schulde,
du Spender jenes seligen Gebräus,
das, Chaos schaffend und aus ihm erweckend
All-Licht, aufgärt, den Schwächling niederstreckend.

Du trägst ein schläfrig Meer in deinem Leibe,
Iakchos, aus dem sich tausendfach gebiert,
was irgend sich gebiert aus Mann und Weibe.
Wer drin nicht badet, Iakchos, der verliert,
was er besitzt. Der Zweigeborne schreibe,
von dir begeistert, welche Macht es ziert.
Wer offnen Auges sich hineinzutauchen
entschließt, er lernt sein innres Auge brauchen.

Er wird zum Seher.« – Bin ich's, der gemeinet
von diesen Rufern? Sei es, wie es sei.
Der meinen weißen Scheitel noch bescheinet,
Apoll, er hat erweckt mir dies Geschrei.
Und wenn es Wein ist, was die Traube weinet,
von Wein und Weinen weiß ich. Beiderlei
ist in dem Rausche, wenn der großen Leere
wir tief enttauchen in die bakch'schen Meere.

Und wenn sie wogen, wenn sie rollend schäumen,
Geysire schießen auf zum Himmelsrand.
Sie rauben, zischend, Paradieses Bäumen
die Frucht. Der Flut entdonnert Feuerbrand.
Furchtbarste Wahrheit glauben wir zu träumen.
Und trotzdem füllen Wunder unsre Hand,
die allersüßesten bei jedem Griffe,
und heiße Wollust trieft von jedem Riffe.

Soeben schwindet in des Münsters Höhle
das Luchsgespann, der Gott mitsamt dem Schwarm
und seinem rasend-trunkenen Gegröle.
Sogleich berührt mein Bruder meinen Arm.
»Er ist gesalbt mit einem andren Öle,
als der dort drinnen hängt in Not und Harm.
Was wird geschehn, wenn beide sich vermischen?
Schon ahn' ich Höllenbrand durchs Sparrwerk zischen.«

Ich dachte: Wenn wir davon etwas wüßten!
Schon hing ein Bote Marys mir am Mund,
und ich genoß Belehrung dieses Mysten:
»Medusas Blick versteinte diesen Bund.«
Ein Wunder zu erleben uns zu rüsten,
empfahl uns Mary. Ach, es ward uns kund,
mit einem Male, als den Dom zersprengte
ein Flügelroß und sich zum Lichte drängte.

Wie lange sahn wir Rosse nicht mehr fliegen
in unsrer ausgedörrten Menschenwelt!
Und dieses Roß, wer hätte es bestiegen
und wäre nicht im jähen Sturz zerschellt
wie Ikaros. Ich aber will's besiegen.
Wer ist der Reiter, der die Leier hält?
Ist es Apoll? Bin ich's? – Im Licht verwehen
wir schon, gleichviel, wer immer! und vergehen.

Veröffentlicht / Quelle: 
Die blaue Blume: Ein Märchen. Berlin: S. Fischer Verlag, 1927

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