Die einzigen, die wirklich
mit den Schwalben fliegen können
und nackt durch eiskalte Flüsse waten,
oder spüren wie ein Liebesgedicht
von Shakespeare ein Lebewesen erschüttern
kann - das sind die Ärmsten der Armen.
Deshalb sollte die Poesie im Endeffekt
lediglich für die ärmste Arbeiterklasse
reserviert werden,
für die, die gezwungen werden, Nomaden
und Obdachlose in ihrem eigenen Land zu sein,
für die, die gepeitscht werden, einen letzten
Halt im tiefsten Elend zu finden.
Poesie, als der erste und letzte Aufruhrfunke.
Wie viele Filme über die neue
Arbeiterarmut, die die Westwelt heimsucht,
müssen noch gemacht werden und
Preise erhalten, bis wir begreifen,
dass alles sich darum handelt,
was man in den Filmen nie sieht:
Die Gesichter der Allerreichsten,
der Milliardäre, der Kapitalbesitzer,
der ganz und gar verlogenen, politischen Eliten:
Die Gesichter von denen,
die nie mit den Schwalben fliegen.
Ich reiste einmal mit Joe Hill
durch das heimgesuchte Amerika,
vor einem Jahrhundert,
mit bums und tramps und hobos
und dieser verzweifelten Freiheit,
mit der sie sich berauschten.
Sie verloren Beine, Arme und Finger
bei ihren Versuchen, sich auf den Güterzug
zu werfen, diese Nomaden ohne Arbeit,
und sie träumten an den Lagerfeuern
von einer neuen, befreiten Welt.
Die Armut der amerikanischen Arbeiterklasse
ist die schlimmste von allen, deshalb, weil
Amerika das reichste Land der Welt ist.
Deshalb meine ich, dass dieser Film
Politiker und andere Menschen braucht,
die auf jede Filmszene zeigen
und diese einfachen Worte rufen:
"Die Reichen brauchen nicht das, was sie haben,
und die Armen haben nicht das, was sie brauchen."
Deshalb ist dieser Film nur ein halber,
und er muss
wunderbar halb sein,
so wie das Erwachen immer auch
den langen, träumerischen Schlaf in sich hat.
Er fordert ein:
"Klagt nicht, organisiert!"
Er fordert ein:
"Klagt und aborganisiert die Macht!"
Er fordert eine Überzeugung,
die schnurstracks aus dem
Flug mit den Schwalben wächst und aus
der eisigen Nacktheit
in einem sonnenglitzernden Fluss.
© Willi Grigor, 2021, Übersetzung des Gedichts "DIKT OM FILMEN NOMADLAND" des schwedischen Poeten Göran Greider.
Joe Hill (geb. 1879 in Schweden, gest. 1915 in Salt Lake City) war ein US-amerikanischer Wanderarbeiter (Hobo), Arbeiterführer, Gewerkschaftsaktivist, Sänger und Liedermacher.
Bei den Filmfestspielen von Venedig, Toronto und Venedig 2020 gewann Nomadland den Hauptpreis. Im Rahmen der Oscarverleihung 2021 erhielt der Film in sechs Kategorien Auszeichnungen. Und seitdem über 200 weitere auf der ganzen Welt.
Kommentare
"Humaner" gibt man heut sich zwar:
Doch scheint es so - wie's immer war ...
LG Axel
Was der Dichter sagen will:
Wehrt euch, Arme, seid nicht still!
LG
Willi