Story XIII: Luzifers Schatten und Dackelsches Fußabdruck - Page 2

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werte Dame, mein Name ist Claudio Hiobsknecht, ich studiere dort Geschichtswissenschaften und bin im ersten Semester. Das ist vielleicht eine lange Fahrt, bis man bei der Universität ankommt.‘
Huch, damit habt ihr bestimmt nicht gerechnet! Ebenso überrascht und geradezu verdattert blickte die Fragestellerin den auskunftsfreudigen Knechtling an, da die von staatstragenden Medien indoktrinierte Inhaberin der Metzgerei ‚Wutzenglück‘ eher mit einer unwilligeren Reaktion ihres Sitznachbarn gerechnet und sich dementsprechend gefreut hatte, diesen ‚elenden Parasiten‘ in den Boden zu stampfen. Zu seinem außerordentlichen Unglück stammte unser Claudio aus einem kleinstbürgerlichen und absolut obrigkeitshörigen Elternhaus, in dem noch die dümmste Desinformation in den Nachrichten geschluckt wurde. Mit ihrer harten aber ungerechten Art gelang es den liebenden Erziehungsberechtigten nach gelegentlich prügelnden Zuwendungen, den Filius nahezu in einen ebenso braven wie perfekten Untertanen zu verwandeln, dessen Naivität und Arglosigkeit schon fast nobelpreisverdächtig war. Die Reaktion ihres Verwandten im Geiste brachte die erfahrene Schweineschlachterin allerdings nur kurz aus dem Konzept, da ihr medial verscheuklappter und vorurteilsbelasteter Kleingeist auch hier die rechte Lösung fand.
‚Bist wohl sonen Homo, woll? Ihr Perverse seid einfach ekelhaft, woll! Nee, nee, nee! Keine Moral, verkommene Bande, woll!‘
In der Dekade zuvor wäre in diesem Kontext noch eine Anspielung auf Hitler und dessen Verfahrensweise mit missliebigen Personen erfolgt, aber zur Zeit der Handlung begann man allmählich damit, Teile der Vergangenheit ernsthaft aufzuarbeiten, da die Granden in Politik und Wirtschaft, die sich als stramme Nazis während drittreichiger Zeiten kompromittiert hatten, allmählich anfingen auszusterben; selbst bei der gesteuerten Masse war verkappter Faschismus nicht mehr so richtig ‚en vogue‘. Umgebende und unfreiwillig zuhörende Teile der anwesenden Studentenschaft schwiegen größtenteils in unergründlicher Zivilfeigheit, während ein besonders lustiger Geselle anfing, eine primitive Zote über ‚Scheiß-Schwule‘ einem gleichgesinnten Kumpel zu erzählen. Da unser braver Kleinbürger homophober war, als ein Macho auf dem Transvestitenball, erfasste ihn natürlich das pure Entsetzen.
‚I-i-ich b-bin ni-ni-nicht homo-homosex-uel.‘
Wie immer, wenn Claudio einen gewissen Level der Erregung erreichte, begann die Stotterei, deren Wurzeln durch die liebevolle Behandlung seiner Eltern in der frühkindlichen Phase gelegt wurden. Zum Missvergnügen seiner Erzeuger war obendrein der undankbare Sohn mit einer leichten Verkrüppelung des linken Fußes geboren, sodass er zeitlebens leicht hinkte; trotz härtester Bestrafungen konnten die fürsorglichen Eltern seine ‚Marotten‘ dem undankbaren Stammhalter nicht abgewöhnen und schämten sich vor den Nachbarn für ihn. Obendrein entsprach sein von den Eltern verordnetes Outfit keinesfalls der momentanen Modediktat und sein äußeres Erscheinungsbild nicht gerade dem temporären Schönheitsideal der Konsumgesellschaft. Unglücklicherweise gehörte er auch nicht zu einer offiziell als diskriminiert erklärten sozialen Gruppe, die von einer bigotten Gesellschaft mit herablassendem Mitleid behandelt wurde und eine gewisse ‚Narrenfreiheit‘ genoss – obwohl Freunde: Ist das wirklich besser? So stellte unser Held für viele das perfekte ‚Opfer‘ dar und wurde auch dementsprechend oft von missvergnügten Zeitgenossen angemobbt. Versteht mich nicht falsch Leute, ich spreche hier von den 80-ern! Aber ich muss natürlich zugeben, dass wir heute zwar andere Scheiße haben, aber durchaus den gleichen, intoleranten Gestank; allerdings noch mit leicht irrem Einschlag. Sorry, ich habe es schon wieder getan; also weiter mit der Geschichte.
Der recht hilflose Verteidigungsversuch verursachte denn beim zotenerzählenden Joker einen mittleren, hämischen Lachanfall und ließ den restringierten Verstand der Metzgermeisterin in der nächsten Schublade herumwühlen.
‚Fährst wohl ohne Aufseher zur Beklopptenanstalt, woll? Eine Schande is dat, woll!‘
In ihrer herzlichen Art deutete die fahrende Schlächterin mit ihrer eigenen Subtilität an, dass unser Studiosus auf dem Wege zur nahe der Uni gelegenen, psychiatrischen Anstalt ‚Knappenschreck‘ sei, die auch des öfteren Nachschub aus den Reihen der Studierenden erhielt. Bevor der völlig konsternierte Studienanfänger nun die niveauvolle Konversation mit bewährter, erlernter Hilflosigkeit fortsetzen konnte, erreichte die wohlgefüllte Bahn die Station am Schlachthof. Dies veranlasste wiederum die hochzufriedene Fleischereiexpertin sich zu erheben und dampfwalzengleich den Weg aus dem Beförderungsmittel zu finden; zu Tode Gequetschte gab es dabei nicht, aber vermutlich einige Prellungen. Der geplagte Hiobsknecht erfuhr während der drei Stationen dauernden Restfahrt zur Universität nun die außerordentliche Wohltat, zwei Sitzplätze zur Verfügung zu haben, da sich nun niemand von der pseudo-toleranten Studentenschaft, trotz der offensichtlichen Platzprobleme, neben ihn setzen wollte. Viel nützte dies unserem braven Kleinbürger freilich nicht, da er aus Gewohnheit seine platzsparende Körperhaltung bis zur universitären Endstelle beibehielt. Eher unabsichtlich rational schloss sich der redegewandte Reisende nicht der finalen Stampede auf das Universitätsgelände an, sondern verließ als einer der letzten Passagiere das von seiner Bürde befreite straßenbahnartige Museumsstück.
Gleichermaßen wohl konditioniert durch sein autoritär autokratisches Elternhaus, dem wohlmeinenden Terror des Lehrkörpers sowie der Schülerschaft an der Geschwister-Coll-Hitmen-Gesamtschule und -fast hätte ich es vergessen- wenig verständnisvoller, bundesbewehrter Eisenfresser während seiner Militärzeit, schritt Mr. Homophobia voller Stolz mit eingezogenen Schultern und gesenktem Blick möglichst unauffällig durch seine Alma Mater, unterbewusst ständig mit verbalen oder physischen Attacken rechnend. Ziel dieser sozusagen leisetreterischen Aktion war das Gustav-Nachtigal-Gebäude -in neuerer Zeit ersetzten dann politische Horrorclowns den deutschen Afrikaforscher durch eine berüchtigte, farbige Sklavenhändlerin, weil diese schwarz und eine Frau war- in dem das integrierte Proseminar ‚Politik und Gesellschaft im frühmittelalterlichen England‘ stattfand. Mit souveränem und gnadenlosem Hochmut leitete Prof.-Dr. Seneca Guillot die Veranstaltungsreihe, dessen Doktorvater Sigismund von Falkenhayn seinerzeit für einen Großteil der erwähnten Suizide durch seine überaus humanen Unterrichtsmethoden sorgte. Ursprünglich ein glühender Verehrer von Che Guevara, erfolgte dann eine wundersame, Paulus gleiche und karrierefördernde Bekehrung Guillots durch den gar irdischen Einfluss seines streng nationalistischen Mentors zum ultrakonservativen Anhänger christlichen Parteien. Durch die Überzeugungskraft einer wohlgefüllten Brieftasche und weil es gerade chic war, gehörte der Hochschullehrer zur flexiblen, politischen Gefolgschaft einer liberalen Partei der Besserverdiener – mittlerweile hat der inzwischen emeritierte Gelehrte sein Plätzchen an der Sonne in den Reihen ökologischer Weltverbesserer gefunden und kämpft mit seinem Porsche gar heftig gegen den Klimawandel. Zum Leidwesen Claudios jedoch bestand eine der wenigen Konstanten in seines Lehrers windigem Weltbild, in der absoluten Verachtung vermeintlicher Kleinbürger, denn nichts hasst der intellektuelle Rassist mehr, als sein alter ego. So waren die Karten denkbar schlecht für unseren den Magisterabschluss anstrebenden Studenten gemischt, sodass ein Scheitern eigentlich vorprogrammiert erschien. Daher war es umso erstaunlicher, dass es dem personifizierten Feindbild wider professoralem Erwarten gelang, bei seiner ersten Hausarbeit mit leicht dem hinterhältigem Thema ‚Unerforschte, subkulturelle Entwicklungen in East Anglia zu Zeiten der

Pünktlich zum Juni und zu eurem Vergnügen. Eigentlich keine richtige SF, aber hoffentlich trotzdem unterhaltsam.
Cheerio
Euer
Q.A:

Veröffentlicht / Quelle: 
Nonsense 2_D

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Kommentare

01. Jun 2019

Lange Texte haben's schwer -
Hier lohnt das Lesen freilich sehr!

LG Axel

02. Jun 2019

Du bist ein Wortmagier. Sei nicht zu stolz drauf, sonst öffnen sich die Portale
und deine Ungeister kommen dich besuchen.
HG. Olaf
Lucifer würde ohnehin sagen: Du gleichst dem Geist, den du begreifst. Nicht mir !!!

03. Jun 2019

Hoffen wir, dass meine Magie kein fauler Zauber eines Lehrlings ist und man die Geister auch wieder loswird.
LG
QA

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