Story XIII: Luzifers Schatten und Dackelsches Fußabdruck - Page 6

Bild von Q.A. Juyub
Bibliothek

Seiten

reißen und zu misshandeln. Dabei verletzte sich der Angegriffene ziemlich schwer, sodass zum Wohle von Patienten und Personal der geschäftstüchtige Chefarzt für eine längere Zeit ausfiel. Hiobsknecht Senior wiederum wurde von dem inzwischen von dem durch Dr. Nightingale, die kurz nach dem Beginn des Angriffs unwillig den Raum betrat, verständigten Sicherheitsdienst in seinen ehrerhaltenden Absichten gehemmt und der Polizei übergeben. Da der rasende Willi sich an einem Angehörigen der Oberschicht vergriffen hatte, verstand im folgenden Prozess der zuständige Richter keinen Spaß und verurteilte den Delinquenten zu einer langjährigen Haftstrafe. Für Mutter und Sohn bedeutete dies, wir ihr euch denken könnt, einen außerordentlichen Glücksfall. Krimhilde entdeckte in den langen Jahren ehemännlicher Abwesenheit ihr unterdrücktes Selbst und begab sich nach später Erkenntnis, kurz vor der Entlassung des zärtlichen Partners, in ein Frauenhaus. Claudios Behandlung wurde von Dr. Nightingale fortgesetzt, der es tatsächlich gelang, die nicht imaginären Störungen des Patienten einzudämmen und ihn schließlich in eine betreute Wohngemeinschaft zu vermitteln. Leider zahlte sich das ehrliche Engagement der Ärztin hinsichtlich ihrer weiteren Karriere in der knappenschrecker Anstalt nicht für sie aus, da Dr. Pillemann wegen des geschäftsschädigen Verhaltens seiner Untergebenen für deren Entlassung sorgte; aber dank ihrer Kompetenz fand Dr. Nightingale eine zwar schlechter bezahlte, aber weit angenehmere Anstellung.
Wieder gewinnt Dackelsche, aber Luzifer gibt trotzdem nicht auf.
*
Das Jahr 2007: Der Orkan Kyrill mischte Europa auf, das Wort Klimakastrophe wurde denn auch zum Wort des Jahres gekürt, in den USA, Frankreich und Deutschland regierten Administrationen, die man nach heutigen Maßstäben wohl weit in die rechte Ecke stellen würde – viel später vollzog dann aus machterhaltungstechnischen Gründen eine Regierungschefin eine geradezu biblische Verwandlung hinsichtlich ihrer politischen Ansichten – und Claudio Hiobsknecht saß am einem Frühsommertag dieses denkwürdigen Jahres knochentrocken in der Küche seiner WG und grübelte in gewohnter Entschlusslosigkeit. Seit seinem misslichen Gastspiel in der Psychiatrie und der letztlich glücklichen Wendung der Geschehnisse waren ganze Ozeane den Rhein heruntergeflossen. Seine persönliche Situation hatte sich insoweit verbessert, dass unser gebeutelter Held nun Mitglied einer stinknormalen Wohngemeinschaft war und eine ebenso banale, prekäre Existenz als Dauerkunde der ARGE führte. Momentan beschäftigte sein demütiger Geist mit dem gefühlt 1000-sten Weiterbildungsangebot, das aus einem zweimonatigen Kurs zum Fachgehilfen im Qualitätsmanagement bestand. Über die Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme ließ sich natürlich trefflich streiten, aber der weiterbildende Kooperationspartner jener wohlfeilen Agentur für Arbeitslosigkeit machte damit manch schönen Euro. Solch defaitistische Überlegungen vermochte der verinnerlichte, kleinbürgerliche Horizont unseres Denkers natürlich nicht zu erfassen, vielmehr bereitete es dem Knechtling äußerste Sorge, ob seine kognitiven Fähigkeiten überhaupt den ungeahnt geringen Anforderungen des Kurses gerecht werden würden. Von solch heroischen Überlegungen lenkte ihn die nun eintretende Mitbewohnerin Maria Johanna West ab, ein blondgelockter Männertraum, der unserem Claudio auf dem Weg zum Kühlschrank ein gutmütiges Lächeln schenkte.
‚Hallo Claudio, schön Dich zu sehen!‘
‚Ha-Ha-llo Mara, auch sch-sch-ön. Ähm, auch schön Dich zu sehen.‘
Wie ihr euch vermutlich vorstellen könnt, hinterließ die Eintretende bei dem unerfahrenen Claudio einen leicht irritierenden Eindruck. Maria -für Freunde einfach Mara- lächelte fein, öffnete das gemeinschaftliche Kühlgerät und entnahm das Produkt eines bekannten Milchproduzenten, der damals durch seine schwachsinnige Werbung und dem geschickteren Abkassieren staatlicher Subventionen einen gewissen Bekanntheitsgrad besaß. Lächelnd drehte sie sich zu ihrem jungfräulichen Bewunderer um und erblickte unangenehm berührt Thomas Cajetan, der abfällig grinsend und unentschlossen an der Küchentür stand.
Luzifer schlägt zu:
Die selbstbewusste Maria ging eigentlich dem ungeliebten Mitbewohner nicht aus dem Weg, zumal sie Cajetans laienpredigerhaftes und intolerantes Wesen eigentlich im wahrsten Sinne des Wortes danach schrie, gezügelt zu werden. Nur dieses Mal übermannte sie der Gedanke, dass es sich nicht lohnte, sich mit diesem Idioten auseinanderzusetzen. Außerdem war da noch in einer Stunde eine Verabredung mit ihrer Freundin Norma Jean in einem angesagten Szenelokal, die angenehme Stunden inniger Zweisamkeit und eine heiße Nacht versprach. Mit unbeweglichem Gesicht und Cajetan, der mit einem schmierigen Grinsen behände zur Seite trat, ignorierend, rauscht die schöne Maria von der Bühne.
‚Gut, dass die Kampflesbe abgehauen ist, nicht wahr Hiobsknecht?‘
Der Angesprochene lachte mit einfältiger Unterwürfigkeit.
‚A-Aber Tommi, Du und deine seltsamen Scherze! Komm doch kurz zu mir, ich habe da ein Problem.‘
Verliebtheit und mangelnde Erfahrungswerte trübten unglücklicherweise die Wahrnehmung unseres verhinderten Romeos, sodass die offen ausgelebte, sexuelle Orientierung seiner attraktiven Mitbewohnerin, dem naiven Galan nun völlig entging. Cajetan wiederum witterte Blut, nachdem sein verachteter, aber nützlicher Wohngenosse potentielle Probleme erwähnte, die vielleicht eine Möglichkeit für eine profitable Abzocke bot.
‚Ja, Claudio, mein Freund. Erzähle mal, für Dich habe ich doch immer ein offenes Ohr!‘
‚Tommi, die ARGE bietet mir eine freiwillige Fortbildung zum Fachgehilfen im Qualitätsmanagement an. Tommi, ich weiß nicht, ob ich das schaffen kann. Du weißt ja, dass ich nicht der Klügste bin und das hört sich schon sehr anspruchsvoll an.‘
Nun traf es sich, dass der eigennützige Ratgeber bereits an dieser Maßnahme im Rahmen seiner äußerst erfolgreichen Beschäftigungsvermeidungsstrategie teilgenommen hatte, aber den Kurs entgegen seiner Gewohnheiten wegen der wenigen und dazu noch äußerst stupiden Lerninhalten abbrach.
‚Da haste echt recht, mein guter Claudio. Ich habe nämlich mal selber an dem Lehrgang teilgenommen und der ist echt heftig! Nicht für ungut, alter Kumpel, aber Dir wird es wohl an der nötigen Intelligenz mangeln. Du hast zwar ein gutes Herz, aber der Hellste bist Du wohl wirklich nicht; lass es besser!‘
‚Meinst Du wirklich?‘
‚Claro, was nützt es Dir, wenn Du schon wieder versagst. Aber ich hätte da vielleicht etwas für Dich! Ich könnte Dir vielleicht ein Job als Helfer auf dem Bau besorgen, ich kenne da zufällig den Unterpolier. Du müsstest mir aber erst einmal 100 Euro für meine Auslagen geben.‘
‚Danke Tommi!‘
(…)
Und wenn er nicht in die Zwischenzeit gestorben ist, lebt unser Held weiterhin als Ausbeutungsobjekt großer und kleiner Sozialbetrüger in hoffnungsloser Beschäftigungslosigkeit.
Dackelsche kontert:
Cajetan erblickte Mara vor dem Kühlschrank stehend und verspürte ein ungewöhnlich starkes Unbehagen, dass seine normalen Angstgefühle gegen die ihm intellektuell überlegene Frau bei weitem überstieg. Normalerweise hätte er das Für und Wider hinsichtlich der Nützlichkeit einer Auseinandersetzung -nicht immer zog unser böswilliger Freund den Kürzeren- zumindest einen Augenblick abgewogen und sein schmieriges Verlegenheitsgrinsen aufgesetzt. Aber aus einem Impuls heraus drehte sich der charakterlich flexible WG-Angehörige um und suchte fluchtartig das Weite.

Lächelnd drehte das Objekt der vorhergehenden Panikattacke sich zu ihrem jungfräulichen Bewunderer um und bemerkte dessen angespannte Mimik.
‚Claudio ist irgendetwas, Du siehst so merkwürdig aus?‘
‚E-e-es i-ist nichts!‘
Maria kannte Meister Hiobsknecht gut genug, um zu wissen, dass sich hier irgendetwas im Gesträuch befand.
‚Na raus mit der Sprache und keine Angst, ich werde Dich schon nicht auslachen!‘
Unser blondes Gegengift lächelte Claudio auffordernd freundlich an und nahm ihm damit einen großen Teil seiner Unsicherheit.
‚Mara, die ARGE bietet mir eine freiwillige Fortbildung zum Fachgehilfen im Qualitätsmanagement an. Mara, ich weiß nicht, ob ich das schaffen kann. Du weißt ja, dass ich nicht der Klügste bin und das hört sich schon sehr anspruchsvoll an.‘
Die meisten Kerle waren für unsere unfreiwillige Schönheitskönigin in jeder Beziehung uninteressant, aber für diesen hilflosen, gealterten Jungen entwickelte sie fast mütterliche Gefühle; ihre Freundin Norma Jean siedelte Männer übrigens auf einer Evolutionsstufe zwischen Gorilla und Schimpansen an.
‚Ich will Dir mal was sagen, mein Lieber: Wer Dich für dumm hält, der hat selber nicht mehr alle Latten auf dem Zaun. Und außerdem bin ich überzeugt davon, dass Du den Lehrgang mit Bravour bestehen wirst! Wer sonst, wenn nicht Du!‘
Hiobsknechtens unscheinbares Gesicht erstrahlte förmlich so wie die Sonne an einem Hochsommertag. Verliebt betrachtete er seine Angebetete.
‚Liebe Mara, vielleicht könnten wir (…)‘
Das Objekt verborgener Begierden begriff sofort die unglückliche Wendung, die der Dialog zu nehmen drohte und trat sanft auf die Notbremse; außerdem war ja da noch das Date mit Norma Jean.
‚Sorry, wenn ich Dich unterbreche, aber muss allmählich los. Ich habe da nämlich noch eine ganz dringende Verabredung mit meinem Steuerberater. Sei mir nicht böse Claudio und versprich mir, dass Du an dem Kurs zum Steuerfachgehilfen teilnimmst! Und tschüß!‘
‚Danke Mara!‘
(…)
Voilá, die Kurzversion:
Natürlich bestand Claudio seinen durch Niveaulosigkeit bestechenden Kurs und fand durch glückliche Umstände einen mit Mindestlohn bezahlten Job bei einer Zeitarbeitsfirma, die aber für ihren Leiharbeitnehmer mächtig Kohle abstaubte. Aus nachvollziehbaren Gründen verließ Mara einige Wochen nach dem Gespräch die WG, während Tommi einige Tage später wegen kleinerer Deals mit weißem Pulver seine Zelte in der JVA aufschlug. Unser Held beendete seine Karriere als Mitbewohner und mietete eine kleine, überteuerte Wohnung in einem heruntergekommenen Viertel der Stadt an. Beruflich setzte man ihn als Qualitätskontrolleur ein, wobei man aus Kostengründen über die eigentlich notwendigen Qualifikationen hinwegsah. Und schon sind wir bei der Ursache des ganzen Theaters: Im Jahr 2015 nahm Claudio Hiobsknecht als kurzfristig einspringender, vermieteter Qualitäter bei einem Dryrun (‚Trockenlauf‘= nicht formal vor dem eigentlichen Abnahmetest) bei einem bekannten Softwarehersteller teil, bei dem es Radarzieldarstellung ging. Im Rahmen dieses Testes monierte der fachlich unbedarfte, aber dafür umso engagiertere ‚Qualitöter‘ in seiner übertrieben pedantischen Art eine nebensächliche Kleinigkeit die Anzeige einer Primärradarziels betreffend und brach den Test völlig in ungerechtfertigter Prozesshörigkeit ab. Der zuständige Entwickler ‚beautifizierte‘ daraufhin eine von Millionen Zeilen Code, um beim zweitem Testtermin -ohne Claudio, der nun bei einem Hersteller von Eierlöffeln wirkte- erfolgreicher zu sein. Teile dieses Codes wanderten in der einen oder anderen Form in immer fortschrittlichere Systeme, um in verwandelter Form in die Billionen Codezeilen Dackelsches zu wandern. Wäre es Luzifer gelungen, Hiobsknecht auszuschalten und somit die eine Zeile Code in ihrer ursprünglichen Form zu bewahren, wäre eventuell eine kleine Sicherheitslücke in Dackelsches Abwehr entstanden.
Für Luzifer übersteigt der Aufwand den potentiellen Nutzen und Dackelsche gewinnt das Spiel endgültig.

Pünktlich zum Juni und zu eurem Vergnügen. Eigentlich keine richtige SF, aber hoffentlich trotzdem unterhaltsam.
Cheerio
Euer
Q.A:

Veröffentlicht / Quelle: 
Nonsense 2_D

Seiten

Interne Verweise

Kommentare

01. Jun 2019

Lange Texte haben's schwer -
Hier lohnt das Lesen freilich sehr!

LG Axel

02. Jun 2019

Du bist ein Wortmagier. Sei nicht zu stolz drauf, sonst öffnen sich die Portale
und deine Ungeister kommen dich besuchen.
HG. Olaf
Lucifer würde ohnehin sagen: Du gleichst dem Geist, den du begreifst. Nicht mir !!!

03. Jun 2019

Hoffen wir, dass meine Magie kein fauler Zauber eines Lehrlings ist und man die Geister auch wieder loswird.
LG
QA

Seiten