Geschichten meines Großvaters: Schwestern

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von Peter K.

Eines Tages kam ich empört zu meinem Großvater, weil ein Mörder vom Gericht freigesprochen wurde, obwohl klar war, dass nur der Angeklagte der Mörder sein konnte.
"Das ist keine Gerechtigkeit, das darf nicht geschehen," sprach ich mit der zweifelsfreien Überzeugung der Jugend.
"Du hast recht", sagte er, "das ist keine Gerechtigkeit, das ist Recht" und er erklärte mir den Unterschied.
"Recht und Gerechtigkeit sind zwei Schwestern. Die eine, sie trägt den Namen Gerechtigkeit, ist eine verführerische Schönheit. Das begehrenswerteste Weib, was Du Dir vorstellen kannst. Einmal mit ihr zu schlafen, ist das größte Glück. Keine Frau kommt ihr gleich. Bist Du aber in ihre Fänge geraten, dann steigt der Preis für die Erfüllung Deiner Sehnsucht. Erst verlangt sie, dass Du auf die Knie gehen musst, später musst Du Dich erst geißeln, bevor Du sie küssen darfst. Sie verlangt immer mehr, erst dann, so sagt sie, kann sie Dich erhören. Also beugst Du Dich, immer tiefer, bis Du im Staube kriechst und leidest wie ein Hund, denn das höchste Glück für Dich ist ein Kuss von ihr. Sie gibt ihn dir jedoch nicht. Irgendwann wendet sie sich dem nächsten zu und verspricht sich jenem.
Die andere Schwester, sie heißt Recht, ist nicht hässlich, aber auch nicht attraktiv. Sie ist zänkisch, aber eine gute Mutter für Deine Kinder. Mit ihr zu schlafen, hilft Dir, dass Du nicht jede Nacht wie ein Hund um die Häuser streunen musst, aber es ist nicht das höchste Glück. Sie kocht für Dich, wenn Du hungrig bist und sie setzt Dich vor die Tür, weil Du ein falsches Wort gesagt hast.
Insgesamt kannst Du sie ertragen, auch wenn sie manchmal unerträglich ist.
Recht ist eine langweilige Hausfrau, mit ihr kommst Du sicher nicht ins Paradies.
Gerechtigkeit dagegen ist eine launische Dirne, mit ihr kommst Du aber ganz sicher in die Hölle.

(c) Peter K.

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