In Betrachtung der Geschenke des Schicksals

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von Alf Glocker

Herr Vorragend und Herr Lich gründen eine Firma mit beschränkter Bodenhaftung. Beschränkte Haftung ist gerade sehr beliebt. Ihr Verstand ist erstklassig – um nicht erstklässlerisch zu sagen. Eigentlich soll ihre Firma eine Wertvorstellungs-AG werden, so ähnlich wie die der Panzerknacker, nur nicht ganz so auffällig. Deshalb brauchen sie einen Briefkasten. Der Weihnachtsmann braucht ja schließlich auch einen für seine Wunschzettel, die dann von den Zwergen und den Englein bearbeitet werden, damit alle Kinder ihre Geschenke bekommen.

Die Menschheit zu beschenken, ist doch jedermanns aller-allervorderster Wunsch – und weil jeder zur Menschheit gehört, beschenkt man sich ja auch selbst damit. Das ist, möchte man meinen, eine unbezahlbare Einsicht … aber man muss natürlich auch gut drauf sein. Nicht jeder hat das Talent zum Heiligen. Die meisten können eben nicht auf vorhandene Lügensysteme zurückgreifen, sondern sie müssen sich selbst etwas einfallen lassen. Hauptsache, der Mensch glaubt an was. Der große Reibach lockt alle Sterblichen, so sie, vom Glück verfolgt, glücklich sind.

Ob im Himmel oder schon auf Erden, darauf kommt es doch gar nicht an: Ein einziger genossener Augenblick ist mehr wert als 100 Jahre Trübsal blasen. Es gibt doch so viele Instrumente – es muss nicht immer die olle Trübsal sein. Wir klammern uns liebend gerne an Illusionen. Vergessen wir dabei, die nachweislich größte von ihnen zu zelebrieren? Ja, das wirkliche Leben hat was! JETZT aus dem Vollen schöpfen, JETZT das Erreichte effizient für das eigene Wohl einsetzen. Das ist viel mehr als dem Geschwätz von Rattenfängern zu vertrauen … oder?

Weit gefehlt – fragen wir die Ratten. Ratten wollen nach einer Pfeife tanzen! Sie sind zum Tode betrübt, wenn sie nicht hinter einem Heilsverkünder herrennen können … seien seine Töne auch noch so falsch. „Er hat es doch gut gemeint“, sagen sie – und „wer soll seinen Job denn sonst übernehmen, wenn er weg ist?!“ Woraus die Ratten ihre Hoffnung schöpfen? Na, die Rattenfänger haben ihnen vorher erzählt, worauf sie vertrauen dürfen und sollen und deshalb hören und erhören sie auch die Sirenen vielerlei Art, damit sie sich nicht aus eigenem Antrieb ins Unglück stürzen müssen. Sie glauben lieber an das Gute!

Das Gute ist ein Geschenk! Der Weihnachtsmann bringt es, sobald man ihm einen Wunschzettel schreibt, denn er hat eine Briefkastenfirma. Sein wahrer Firmensitz aber ist nirgendwo – nicht am Nordpol und nicht im Bermuda-Dreieck, natürlich auch in keinem Viereck, Fünfeck, oder Sexeck. Aber irgendwer schafft die Geschenke schon heran … und wenn der Papa grade arbeitslos und die Mutter besoffen ist, dann haben zumindest für eine gewisse Zeit die lieben Augen der Kinderchen geglänzt. Und das sieht die Welt doch so gerne: glänzende Kinderaugen!

Gründen Sie, lieber Leser, doch auch eine Firma! Das ist ganz einfach. Versprechen Sie irgendwem, Sie würden ihm seine Wünsche erfüllen – dem Arbeitgeber z.B. Drehen Sie den Spieß einmal um und sorgen Sie dafür, daß seine Wünsche ausnahmsweise einmal nicht erfüllt werden konnten. Vielleicht ist ja Ihre Privatbörse gecrasht, oder Sie haben den geistigen Bankrott angemeldet – damit wären Sie immer noch ehrlicher als die derzeitige Regierung (man suche sich ein Jahrzehnt und ein Land aus) und loben Sie sich selbst. Auch damit liegen Sie richtig! Denn Sie werden zwischendurch seine leuchtenden Kinderaugen bemerkt haben. Das ist doch wunderschön! Was wollen wir denn noch mehr?!

Tun wir Gutes! Lernen wir, auf Gedeih und Verderb, mit dem Glück umzugehen. Stellen wir uns vor, wir hätten ideale Umstände, und schon haben wir sie. Dazu brauchen wir keine Millionen, nur leuchtende Kinderaugen. Sagen wir, wir besäßen alle einen Briefkasten, wo jeder seine Wünsche hinschicken kann. Wir werden sie ausnahmslos vertrauensvoll behandeln, keinen vergessen und mit jedem Bittsteller fühlen, denn Mitfühlen ist unser größtes Talent! Nachdem wir aber, aus Personalmangel – wir sind ja immer nur eine Person – nicht allen Bitten nachgehen können (genau genommen nicht einer einzigen), müssen die meisten, bis alle Briefe, eben unbeantwortet bleiben …

Ganz so, wie früher all unsere Briefe unbeantwortet geblieben sind, wenn wir es gewagt hatten, ohne glänzende Kinderaugen, sondern mit klarem Blick für die wahren Verhältnisse, berechtigte Forderungen zu stellen, Wünsche zu äußern, die womöglich zu erfüllen gewesen wären, wenn die Verantwortlichen uns nicht intellektuell weit überlegen gewesen wären. Die haben damals einfach unseren guten Glauben und die Bereitschaft vermisst, auch falsche Rattenfängertöne von ausgemachten Pfeifen schön und vertrauenerweckend zu finden. Nun sind wir endlich klüger: Emanzipiert gründen wir alle einträgliche Firmen, mit Sitz am Nordpol, oder im Bermuda-Dreieck, und warten dort mit glänzenden Augen auf die uns zustehenden Geschenke des Schicksals!

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