Der Weihnachtsabend (auch eine Weihnachtsgeschichte) - Page 20

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von Charles Dickens

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thronen können, lauerten Teufel mit grimmigem, drohendem Blick. Keine Veränderung, keine Entwürdigung der Menschheit in allen Geheimnissen der Schöpfung hat so schreckliche und grauenerregende Ungeheuer aufzuweisen.

Scrooge fuhr entsetzt zurück. Da sie ihm der Geist auf diese Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne Kinder, aber die Worte erstickten sich selbst, um nicht Theil zu haben an einer so ungeheurn Lüge.

„Geist, sind das Deine Kinder?“ Scrooge konnte weiter nichts sagen.

[94] „Es sind des Menschen Kinder,“ sagte der Geist, auf sie herabschauend. „Und sie hängen sich an mich, vor mir ihre Väter anklagend. Dieses Mädchen ist die Unwissenheit. Dieser Knabe ist der Mangel. Nimm sie Beide wohl in Acht, aber vor Allem diesen Knaben, denn auf seiner Stirn seh’ ich geschrieben, was Verhängniß ist, wenn die Schrift nicht verlöscht wird. Leugnet es,“ rief der Geist, seine Hand nach der Stadt ausstreckend. „Verleumdet die, welche es Euch sagen! Gebt es zu um Eurer Parteizwecke willen und macht es noch schlimmer! Und erwartet das Ende!“

„Haben sie keine Stütze, keinen Zufluchtsort?“ rief Scrooge.

„Giebt es keine Gefängnisse?“ sagte der Geist, das letzte Mal seine eigenen Worte gegen ihn gebrauchend. „Giebt es keine Armenhäuser?“

Die Glocke schlug zwölf.

Scrooge sah sich nach dem Geiste um, aber er war verschwunden. Wie der letzte Schlag verklungen war, erinnerte er sich an die Vorhersagung des alten Jacob Marley und die Augen erhebend, sah er ein grauenerregendes, tief verhülltes Gespenst auf sich zukommen, wie ein Nebel auf dem Boden hinrollt.

[95]
Viertes Kapitel.
Der Letzte der drei Geister.

Die Erscheinung kam langsam, feierlich und schweigend auf ihn zu. Als sie näher gekommen war, fiel Scrooge auf die Kniee nieder, denn selbst die Luft, durch die sich der Geist bewegte, schien geheimnißvolles Grauen zu verbreiten.

Die Erscheinung war in einen schwarzen, weiten Mantel verhüllt, der nichts von ihr sichtbar ließ, als eine ausgestreckte Hand. Wenn diese nicht gewesen wäre, würde es schwer gewesen sein, die Gestalt von der Nacht zu trennen, welche sie umgab.

Als sie neben ihm stand, fühlte er, daß sie groß und stattlich war und daß ihre geheimnißvolle Gegenwart ihn mit einem feierlichen Grauen erfüllte. Er wußte weiter nichts, denn der Geist sprach und bewegte sich nicht.

„Ich stehe vor dem Geist der zukünftigen Weihnachten?“ fragte Scrooge.

Der Geist antwortete nicht, sondern wies mit der Hand auf die Erde.

„Du willst mir die Schatten der Dinge zeigen, welche nicht geschehen sind, aber geschehen werden,“ fuhr Scrooge fort. „Willst Du das, Geist?“

Der obere Theil der Verhüllung legte sich auf einen Augenblick in Falten, als ob der Geist sein Haupt [96] neige; dies war die einzige Antwort, welche Scrooge erhielt.

Obgleich so ziemlich an gespenstige Gesellschaft gewöhnt, fürchtete sich Scrooge vor der stummen Erscheinung doch so sehr, daß seine Kniee wankten und er kaum noch stehen konnte, als er sich bereit machte ihr zu folgen. Der Geist stand für einen Augenblick still, als bemerkte er seine Furcht und wolle ihm Zeit geben, sich zu erholen.

Aber Scrooge befand sich dadurch noch schlechter. Ein vages, unbestimmtes Grausen durchbebte ihn bei dem Gedanken, hinter diesem schwarzen Schleier hefteten sich gespenstige Augen fest auf ihn, während er, obgleich er seine Augen aufs Aeußerste anstrengte, doch nichts sehen konnte, als eine gespenstige Hand und eine große, schwarze Faltenmasse.

„Geist der Zukunft,“ rief er, „ich fürchte Dich mehr als die Geister, die ich schon gesehen habe. Aber da ich weiß, daß es Dein Zweck ist, mir Gutes zu thun, und da ich hoffe zu leben, um ein anderer Mensch zu werden, als ich früher war, bin ich bereit, Dich zu begleiten und thue es mit einem dankerfüllten Herzen. Willst Du nicht zu mir sprechen?“

Die Gestalt gab ihm keine Antwort. Die Hand wies gerade in die Ferne vor ihn.

„Führe mich,“ sagte Scrooge. „Führe mich, die Nacht schwindet schnell und die Zeit ist kostbar für mich. Führe mich, Geist.“

[97] Die Erscheinung bewegte sich von ihm weg, wie sie auf ihn zugekommen war. Scrooge folgte dem Schatten ihres Gewandes, welcher ihn erhob und von dannen trug.

Kaum war es, als ob sie in die City träten; denn die City schien mehr rings um sie in die Höhe zu wachsen und sie zu umstellen. Aber sie waren doch im Herzen derselben, auf der Börse unter den Kaufleuten, welche hin und her eilten, mit dem Gelde in ihren Taschen klimperten, in Gruppen mit einander sprachen, nach der Uhr blickten und gedankenvoll mit den großen, goldenen Siegeln daran spielten, wie Scrooge es oft gesehen hatte.

Der Geist blieb bei einer Gruppe Kaufleute stehen. Scrooge sah, daß die Hand der Erscheinung darauf hinwies, und so näherte er sich ihnen, um ihr Gespräch zu belauschen.

„Nein,“ sagte ein großer, dicker Mann mit einem ungeheuern Unterkinn, „ich weiß nicht viel davon zu sagen. Ich weiß nur, daß er todt ist.“

„Wann starb er?“ frug ein Anderer.

„Vorige Nacht, glaub’ ich.“

„Nun, wie geht das zu?“ fragte ein Dritter, eine große Prise aus einer sehr großen Dose nehmend. „Ich glaubte, er würde nie sterben.“

„Weiß Gott, wie es zugeht,“ sagte der Erste gähnend.

„Was hat er mit seinem Gelde angefangen?“ fragte ein Herr mit einem rothen Gesicht und einem Auswuchs an [98] der Nasenspitze, welcher wackelte, wie der Lappen eines Truthahns.

„Ich habe nichts davon gehört,“ sagte der Mann mit dem großen Unterkinn, abermals gähnend. „Hat es wahrscheinlich seiner Gilde hinterlassen. Mir hat er’s nicht vermacht. Das weiß ich.“

Dieser anmuthige Scherz wurde mit einem allgemeinen Gelächter empfangen.

„Es wird wohl ein sehr billiges Begräbniß werden,“ fuhr derselbe Sprecher fort; „denn so wahr ich lebe, ich kenne Niemanden, der mitgehen sollte. Wenn wir nun zusammenträten und freiwillig mitgingen?“

„Ich thue mit, wenn für ein Lunch gesorgt wird,“ bemerkte der Herr mit dem Auswuchse an der Nasenspitze. „Aber ich muß tractirt werden, wenn ich dabei sein soll.“

Ein neues Gelächter.

„Nun, da bin ich doch wohl der Uneigennützigste von Euch,“ sagte der erste Sprecher, „denn ich trage nie schwarze Handschuh und esse nie Lunch. Aber ich gehe mit, wenn sich noch Andere finden. Wenn ich mir’s recht überlege, war ich am Ende sein vertrautester Freund; denn wir blieben stehen und sprachen miteinander, wenn wir uns auf der Straße trafen. Guten Morgen, guten Morgen!“

Sprecher und Zuhörer gingen fort und mischten sich unter andere

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A Christmas Carol in Prose, Being a Ghost-Story of Christmas (wörtlich Ein Weihnachtslied in Prosa, oder Eine Geistergeschichte zum Christfest, deutsch meist Eine Weihnachtsgeschichte) ist eine der bekanntesten Erzählungen von Charles Dickens. Sie wurde im Dezember 1843 mit Illustrationen von John Leech erstmals veröffentlicht.

Veröffentlicht / Quelle: 
Der Weihnachtsabend. J. J. Weber, 1844
Prosa in Kategorie: 
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