Gute Nacht Merlin - Protokoll eines Trauerjahres - Page 16

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von Cleo Cleo

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auch so sein sollen. ? Da kommt aus dem Nichts eine wildfremde Person, behauptet, Ihren Vater zu kennen und bittet um Zuwendung. Und das in DIESER Situation...wohlmöglich hat sie auch noch finanzielle Forderungen?
Es ist durchaus nachvollziehbar, dass Sie sich so jemanden auf Distanz halten wollen. Und mit Gefühlen soll man sparsam umgehen. Sonst steht man irgendwann mit leeren Händen da.
Und damit komme ich zu dem dritten fundamentalen Irrtum:
3. Ich war so naiv, zu glauben, dass bestimmte Fähigkeiten wie Empathie, Großherzigkeit, Toleranz und Mitgefühl genauso vererbt werden können wie materieller Besitz. Das ist natürlich falsch. Wahrscheinlich braucht man einen langen Lebensweg und viel Lebenserfahrung, um diese Tugenden zu entwickeln und sie auch "Fremden" zuteil werden zu lassen. Normalerweise sind Gefühlsregungen dieser Art dem engsten Familien- ,Freundes - und Bekanntenkreis vorbehalten. Um dieses Umfeld zieht man dann eine Mauer und wer außen vor ist, hat Pech gehabt
Eigentlich hätte mir das alles schon nach dem Sechswochen-Seelenamt klar gewesen sein müssen. Denn die Abfuhr. die Sie und Ihr Bruder Sascha mir dort erteilt hatten, war deutlich genug.
Aber danach war ich nur traurig. So wie jemand traurig ist, der vor einem schönen Garten steht und sich danach sehnt, eingelassen zu werden. Und ich habe lange darauf gehofft, dass die Gartenpforte DOCH noch aufgeht.
Jetzt hoffe ich es nicht mehr, denn ich habe das Grab Ihrer Eltern gesehen.
Gräber sind sehr aussagekräftig. Manche strahlen Frieden, Trost und Wärme aus. Man merkt ihnen an, dass dort ab und zu Menschen hinkommen, um mit dem Verstorbenen Zweisprache zu halten - auch wenn sie natürlich genau wissen, dass der Verstorbene nicht "da" ist . Und auch als Unbeteiligter kann man dieses liebende Gedenken genau spüren.
Am Grab Ihrer Eltern habe ich nichts dergleichen gefunden. Nur Leere, Kälte und Sterilität. Genau wie beim Haus in der Möhnestrasse. Dieses Haus hat keine Seele mehr. Es ist nur noch eine leere und leblose Hülle.
Seitdem ich das alles gesehen habe, frage ich mich: " War die glückliche Familie, die hier gelebt haben soll, nur eine Fiktion? Hat das Familienidyll, das mir Ihr Vater so oft in den leuchtendsten Farben geschildert hat, jemals existiert?"
Ich will damit nicht behaupten, dass Ihr Vater mich belogen hat. Aber vielleicht hat er seine Familie so stilisiert, um sich vor der Kälte die er dort gespürt hat, zu schützen?
So lange er der tatkräftige Machertyp war, der hart arbeitete, viel Geld verdiente und seiner Familie ein sorgenfreies und komfortabeles Leben ermöglichte, war ja alles in Ordnung. Aber als er anfing , zu zweifeln, Fragen zu stellen und seine spirituelle Ader zu entwickeln. ... fing da die Idylle an , rissig zu werden. ?
Vielleicht begann er zu frieren und die Wärme, die er brauchte , anderswo zu suchen....?
Ich habe an Ihrem Vater Facetten gesehen, die Sie und Ihre Familie vielleicht nie gekannt haben.
Und vielleicht habe ich hinter die wohlgeordnete Fassade geschaut.
Nicht zu seinen Lebzeiten - sondern als ich das Grab Ihrer Eltern sah.
Das wollte ich Ihnen sagen
Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand bei den Erbauseinandersetzungen und hoffe, dass Sie und Ihre Brüder sich nicht allzu sehr zerstreiten.
Und sollten Sie bei der Haushaltsauflösung auf Dinge stoßen, mit denen Sie nichts anfangen können - ich denke an das Meditationsbänkchen und die Bücher mit spirituellem Inhalt- bevor diese Dinge im Container oder auf dem Flohmarkt landen, überlassen Sie sie bitte mir.
Sie können sie auch gerne einem Spediteur anvertrauen, die Transportkosten übernehme natürlich ich.Den Reisewecker mit der Gravur , den ich Ihrem Vater vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt habe, wird mit Sicherheit jemand von Ihnen brauchen können.....“

Briefe an einen Verstorbenen

“20. Februar 2017
Liebes Herz und Licht auf meinem Wege... in der vergangenen Woche habe ich Dein Grab besucht. Es war notwendig - denn ich hatte irgendwie immer das Gefühl, es sei alles nur ein böser Traum. Aber es ist bitter-bitter-böse Wirklichkeit... Der schöne weiße Marmorstein... Dein Name in edlen Buchstaben eingemeißelt - Geburts- und SterbeJAHR - wie bei Deiner kleinen Königin.
Als sollte niemand wissen, dass Ihr gemeinsam gestorben seid. Und das alles war so leblos und steril... ich habe ein paar Frühlingsblumen eingepflanzt. Hoffentlich können sie in Ruhe zu Ende blühen... Und dann war ich noch bei Deinem Haus. Es war so leer und tot mit seinen zugenagelten Fenstern ... ich konnte unangefochten in den Garten gehen... ach Merlin... dieses Haus hat keine Seele mehr - es ist nur noch eine tote und leere Hülle... Und ich habe daran denken müssen, dass ja auf dem schönen großen Bild, das bei Euch im Flur hängt,und das Deine Familie darstellt, sich die Menschen nicht anschauen... sie schauen an einander vorbei... Hast Du vielleicht DOCH gefroren in dieser Familie? War Deine schöne kleine Königin vielleicht DOCH kalt? Ach Merlin, ich wollte, es wäre nicht so... Und ich wollte, Dein Mario würde sich einmal bei mir melden... Ich wollte Deine Asche mitnehmen - aber es war zu schwer für mich - ich konnte die Erde nicht aufgraben.. ich habe ein wenig Erde von Deinem Grab mitgenommen - und eine Glaskugel aus Deinem Garten... aber das weißt Du ja... MERLIN, LIEBER.. Du fehlst mir so...”

24. Februar 2017
“Geliebter Freund und Herr ... Donnerstag vor einer Woche war ich an Deinem Grab. Ich habe danach viel geweint und ich war bitter gegen Deine Söhne - vor allem gegen Mario. Ich habe einen bösen Brief geschrieben - habe ihn aber nicht abgeschickt. Mittlerweile habe ich viel nachgedacht - und ich glaube, ich weiß jetzt, was ich alles falsch gemacht habe.
1. ich habe den Kontakt zu Mario von Anfang an viel zu sehr emotional überfrachtet. Und habe nicht bedacht, dass ein Übermaß an Gefühl abschreckend und obsessiv wirkt.
2. Ich habe zu sehr von mir auf andere geschlossen. Du hast mir so viel Liebes von Deinem Mario erzählt - und da habe ich Vertrauen zu ihm gefasst und geglaubt, das müsse auf Gegenseitigkeit beruhen. Aber das ist natürlich nicht so.
3. Ich habe zu schnell und zu abrupt mit offenen Karten gespielt. Ich habe gedacht: warum soll ich nicht offen sein? Die einzige Person, die sich darüber

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Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden

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