Seiten
Medaillion mit seiner DNA abgelegt. Könnte es sein, dass diese Ilse S. doch recht hatte, fragt sie sich...- als der Merlin noch lebte, hat sie sich immer davor gehütet , zu klammern und zu lasten. Und er hat ihre Haltung damit honoriert, dass er in einem Brief schrieb, wie sehr er es schätzt, dass sie ihm die Freiheit gibt... vielleicht ist das ja immer noch so???
16. November 2017
Heute hat sie sein Porträt, das sie seit einem Jahr begleitet, von seinem ursprünglichen Platz im Arbeitszimmer an einen anderen Ort gestellt. Um ihm deutlich zu machen, dass sie ihn loslässt... Ob er es versteht? Sie will nicht , dass er ihr entgleitet... aber gäbe es einen wirklichen Grund, mit ihm anders umzugehen als zu Lebzeiten? Vielleicht muss sie ihn ja immer noch an der langen Leine führen, um ihn halten zu können...? Sie muss selber ein bisschen lächeln, als ihr dieser Gedanke kommt....
21. November 2017
Besuch bei ihrem Hausarzt , der sie seit mehr als zwanzig Jahren kennt. Ihre Blutwerte sind eine Katastrophe. Er legt ihr nahe, etwas mehr für ihre Gesundheit zu tun: „Ich möchte, dass Sie noch zwanzig Jahre leben. Der Welt würde etwas fehlen ohne Sie...“
Ein etwas stacheliges Kompliment... (NOCH zwanzig Jahre...will sie das überhaupt? )
26. November 2017
Sie besucht gemeinsam mit ihrem Mann ein SM-Treffen im Ruhrgebiet. Der Verein „SMART Rhein-Ruhr“ hat dort für einen Abend ein schönes großes Domina-Studio angemietet. Im August waren sie schon einmal dort - zu einem Workshop zum Thema „Demütigung“. Jetzt gibt es noch einmal eine Gesprächsrunde dazu. Ein kleiner Kreis, nur drei Paare. Sie erinnert sich unvermittelt an eine SMS, die SIE im zweiten Jahr ihrer Freundschaft von IHM bekommen hatte: „Eigentlich bin ich Dein oberster Diener...“ Sie weiß noch , wie es war, als sie diese SMS bekam: sie war mit ihrem Mann nach Berlin gefahren. Es war im Sommer 2005 – sie hatten diese Kleine Flucht mit einem Minimal-Budget finanziert ... es war war sonnig und warm – und als sie eines Abends durch Kreuzberg bummelten, erreichte sie diese SMS...
Die Gesprächsrunde um sie herum versinkt einen Augenblick wie hinter einer Nebelwand. Sie erinnert sich daran, wie bedingungslos sie ihm vertraut hat, wie rückhaltlos ihre Hingabe war – und sie muss einen Augenblick die Augen schließen, weil ihr die Tränen kommen. Niemand bemerkt es.
In den folgenden Tagen ist sie bedrückt. Sie denkt an den Rat ihrer Heilpraktikerin – wird sie ihn jetzt ganz verlieren, weil man ihr auch noch die Trauer nimmt? Sie liest in den alten Mails aus dem ersten Jahr ihrer Freundschaft. Erinnert sich, dass er sich mal als der „Spieler ihrer Lust“ bezeichnet hatte – und die Traurigkeit schlägt wieder über ihr zusammen... sie vermisst ihn mehr denn je.
24. Dezember 2017
In diesem Jahr geht sie nicht in Gütersloh zur Kirche - zum ersten mal seit Jahren... Ihre Freundin Cornelia hat sie in den Nachbarort eingeladen - zur “Happy Night”: eine fröhliche Weihnachtsparty mit Jazzkonzert, Gospelchor und einer Geburtstagstorte um Mitternacht. Es tue ihr gut, wenn sie an diesem Abend an einem Ort sei, wo es hell und laut und fröhlich zugehe, hatte sie gemeint.
Irgendwann hat sie draußen im Garten in der äußerten Ecke eine dicke Kerze angezündet - die wird wahrscheinlich brennen bis ins Neue Jahr.
Am Vormittag bekam sie eine MMS von der Blumenfrau aus Soest: ein Foto von Merlins Grab mit dem Gesteck, das SIE zu Weihnachten bestellt hat. Gut sichtbar die blaue Schleife mit der Aufschrift : “Wo ist Weihnachten? -Immer in unseren Herzen..” (ein Zitat aus der Adventsgeschichte, die sie im Vorjahr für Merlins Enkeltochter Laura geschrieben hatte) und auf der anderen Seite IHR Motto: “Amor in aeternitas, quia fortis est ut mors”. Neben dem Gesteck steht auf einer Steinplatte die bronzene Grableuchte, die SIE im Frühsommer gekauft hat . Und in der Grablaterne leuchtet eine rote Kerze...wahrscheinlich auch von der Blumenfrau.... Ob seine Familie das veranlasst hat? Sie fragt nicht danach. Vielleicht ist es auch nicht so wichtig.
SIE weiß: dass sie in Zukunft mindestens dreimal im Jahr dafür sorgen wird, dass auf diesem Grab frische Blumen liegen - vielleicht auch viermal im Jahr - wenn man den Tag ihrer ersten Begegnung mitzählt. Vielleicht wird sie auch in Zukunft der Stachel im Fleisch seiner Hinterbliebenen sein... vielleicht werden die es aber auch gar nicht merken, weil sie nie das Grab besuchen. Aber das ist nicht wichtig...
Epilog
(irgendwann in ferner Zukunft)
Sie steht am Fenster und schaut hinaus in die Nacht. Seit dem 04, November 2016 herrscht in ihrer Seele ein vages Dämmerlicht, das sich nur hin und wieder aufhellt – kleine Lichter, die leise aufflackern und irgendwann wieder erlöschen:
Reisen und gemeinsame politische Aktionen mit ihrem Mann, kreative Arbeit, mit der sie versucht, das Geschehene zu bewältigen, Gespräche mit ihrer Freundin Cornelia, die ihr immer wieder den Kopf zurecht rückt, oder mit ihrem Lieblingspfarrer Stefan S.
Kleine Lichtinseln....
Sie gewöhnt sich daran, dass sie sich NICHT gewöhnt.
Ein Gedicht von Ricarda Huch - sie hat es in eines der letzten Bilder des „Epitaph-Zyklus“ eingearbeitet – ist zu ihrem Lebensmotto geworden:
„Nicht alle Schmerzen sind heilbar - manche schleichen sich tiefer ins Herz hinein -
und während Tage und Jahre verstreichen werden sie zu Stein.
Du lachst und sprichst , wie wenn nichts wäre - sie scheinen geronnen zu Schaum.
Aber du fühlst ihre lastende Schwere bis in den Traum.
Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle - die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in deinem Herzen ist eine Stelle - die blüht nicht mehr.“
Seit Juni 2017 erinnert sie die Triskele auf ihrem linken Unterarm unauslöschlich an die Zeit mit Merlin. Das Motto „Amor in aeterum, quia fortis est ut mors“ kennzeichnet seitdem JEDE ihrer Blumenspenden auf SEINEM Grab.
Seit ihrem Gespräch mit dem Medium ist sie etwas ruhiger – aber der Schmerz bleibt. Sie fragt sich, ob sie die Möglichkeit hat, zu ihm Kontakt aufzunehmen – auch ohne die Hilfe eines Mediums... ob sie die Begabung hätte...?
Sie schaut nach oben. Der Himmel ist klar und voller Sterne.
Merlin sagte ihr einmal : „Wenn ich den Sternenhimmel sehe, bekomme ich Heimweh...“
Ob er jetzt „zuhause“ ist – wo immer das auch sein mag?
„Gute Nacht, Merlin...“ flüstert sie . Und ihr ist, als ob eine zärtliche Stimme ihr antworte: „Gute Nacht Cleo – und träum was Hübsches...“
Postskriptum
"Ich würde Jahrtausende die Sterne durchwandern - in alle Formen mich kleiden , in alle Sprachen des Lebens - um Dir einmal wieder zu begegnen." (Rainer Maria Rilke"
Dein Leben endete jäh und brutal am 31. Oktober 2016 um 11.50 auf der B516 zwischen Werl und Ense. Deine geliebte Mona durfte mit Dir gehen - und ich habe sie dafür beneidet. Ich danke Dir für die Zeit, die wir einander schenken durften. Immer Deine Cleo
Ich sehne mir ein Loch ins Herz..."
DAS sollte zum Jahrestag im „Soester Anzeiger“ stehen. Aber eine Woche vor der Drucklegung rief mich die Leiterin der Anzeigenabteilung an, und bat mich, den Text zu ändern. Er „beschmutze das Andenken des Verstorbenen“. Ich habe ihr den Gefallen getan – genau wie ich der Bestatterin in Soest den Gefallen getan habe, nicht weiter zu insistieren, als sie meine Bilder als „pietätlos“ brandmarkte. Wenn man mit den Bürgern einer katholischen Kleinstadt Geschäfte machen will, muss man eben vielerlei Rücksichten nehmen – auch im 21. Jahrhundert. Offensichtlich bleibt dabei dann manches auf der Strecke – vor allem die Wahrhaftigkeit und die Authentizität - aber das geht mich alles nichts an.....
formell abgeschlossen im Mai MMXVIII – in memoriam Klaus W. alias Merlin
Seiten
Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden