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Ilse S. – genau so alt wie sie selber, seit Jahrzehnten mit Merlin und seiner Frau befreundet und wahrscheinlich auch an IHM nicht nur platonisch interessiert (aber ohne Erfolg). Sie musste ein bisschen im Internet recherchieren und in ihrem Gedächtnis kramen – aber dann hat sie die Telefonnummer. Sie ruft an. Und TATSÄCHLICH: Ilse S-hat Merlins spirituelle Bibliothek geerbt.
Aber als sie Ilse S. nach einem bestimmten Buch fragt, kommt wie aus der Pistole geschossen die Antwort: nein – dieses Buch sei nicht dabei gewesen. Und dann: „schade, dass Sie nicht eher angerufen haben – ich habe viele von den Büchern verschenkt. Und die, die ich jetzt noch habe, möchte ich auch gerne behalten.” -
(Sie ist davon überzeugt, dass diese Frau ihr gegenüber nicht ehrlich ist. Denn warum wusste sie sofort , um welches Buch es sich handelt? NATÜRLICH war es dabei und NATÜRLICH will sie es behalten.) Im übrigen signalisiert Ilse S. - wohl aus Neugierde - ein gewisses Interesse an einem persönlichen Kontakt – das werde allerdings noch eine Weile dauern, denn jetzt habe sie die Handwerker, dann gehe sie mit ihrem Mann auf dem Jakobsweg und dann... sie weiß es nicht mehr genau... auf alle Fälle werde es wohl dauern bis zum Herbst... mindestens. Das Verhalten eines Menschen der höflich sein will, denkt SIE. Immerhin: sie beschließt, der Frau über einen Kurier Blumen zu schicken und sich für das Gespräch zu bedanken
11. Juli 2017
In den vergangenen Wochen hat sie intensiv an der Erweiterung des Epitaph-Zyklus gearbeitet und schließlich noch eine Dokumentation darüber fertig gestellt. Merlin ist in allen Bildern gegenwärtig -und wenn sie an diesen Bildern arbeitete und auf das zurückgriff, was er ihr in den vergangenen zwölf Jahren geschickt hatte, war sie erstaunt, wie leidenschaftslos sie mit diesen Fotografien umgehen konnte. Immer wenn sie sein geliebtes Gesicht im Großformat auf dem Bildschirm hatte, und mit den Werkzeugen der Bildbearbeitung arbeitete, um dieses Gesicht in einen anderen Kontext zu stellen – und sei es, dass sie ihm das Habit des Friedrich von Spee verlieh... war es ihr, als ob er ihr entglitte – zur Chiffre würde. Andererseits empfand sie die Arbeit an diesem Zyklus als große Erleichterung... und manchmal meinte sie auch, IHN hinter sich zu spüren... vor allem bei einem Bild, dem sie den Namen „Der Trauerkäfig“ gegeben hat. Ursprünglich wollte sie in diesem Bild ihre Sehnsucht nach IHM zum Ausdruck bringen. ER sollte mit einer einladenden Geste auf die Regenbogenbrücke weisen auf der sie sich selber als schattenhaft werdende Gestalt entschwinden sah. Doch im Laufe des Gestaltungsprozesses wandelte sich ohne ihr Zutun die Bedeutung des Bildes: und so ist aus der zärtlichen Geste des „komm mit“ ein liebevolles „noch nicht“ geworden. Und ein goldener Löwe, der für ihren Mann steht, versucht, ihren Trauerkäfig aufzubrechen...Hat ihr der Merlin über die Schulter geschaut, als sie dieses Bild gestaltete?
Jetzt macht sich in ihr ein Gefühl von Leere breit... und sie fragt sich, ob er TATSÄCHLICH noch da ist... sie würde sich gerne vergewissern – ihn fragen... aber sie weiß, dass das SO nicht möglich ist....
01. August 2017
Sie hatte ein zweistündiges intensives Gespräch mit Ilse S... aber sie ist jetzt genauso weit wie vorher. Sie hatte sich Klärung erhofft – aber jetzt fragt sie sich, ob sie dieser Frau wirklich vertrauen kann... Immerhin weiß sie jetzt mehr über das Unfallgeschehen.
“Klaus war ein hundsmiserabler Autofahrer” - meinte ihre Gesprächspartnerin.
“Immer viel zu schnell und viel zu unkonzentriert. Wenn wir zu viert unterwegs waren, habe ich immer darauf bestanden, dass mein Mann am Steuer sitzt. “ Und dass sie und ihr Mann noch mit dem Ersthelfer gesprochen hätten. Dem seien sie später am Unfallort begegnet und er habe ihnen erzählt: “Den Klaus hat man erst gar nicht gesehen - der hatte unter dem Körper von Mona gelegen. Der Wagen hatte sich ja überschlagen - und der Mann hat noch ihre Hand gehalten bis der Rettungswagen kam. Sie hätte auch noch etwas sagen wollen - aber dann sei sie gestorben...”
Dann erzählt Ilse S. viel von der jahrzehntelangen Freundschaft der beiden Familien W. und S.– vom ersten Kennenlernen durch den Elternkreis im Kindergarten bis hin zum Tanzkreis – und dass sie den Merlin seinerzeit auf die spirituelle Schiene gestellt habe – aber dann seinen Weg der Rückführung nicht habe mitgehen wollen.
Schliesslich zeigt Ilse S. Ihr einen Brief, den sie bisher niemandem gezeigt habe mit der Bemerkung: „diesen Brief kennt nicht einmal mein Mann“. Der Brief schließt mit dem Satz: „Wir lieben einander , aber wir begehren uns nicht.“ und darauf ist diese Frau mächtig stolz...
SIE weiß, unter welchen Umständen dieser Brief entstanden ist. Es war während eines Seminars in dem es um das Thema „Tod und Sterben“ ging. Die Teilnehmer sollten unter anderem einen Abschiedsbrief an eine ihnen nahestehende Person schreiben, die aber KEIN Familienmitglied sein sollte. Er sagte ihr später, dass er lieber an SIE hätte schreiben wollen - „aber das wäre ja nicht möglich gewesen...“ Sie weiß, wie sehr der Merlin sie begehrt hat – bis zuletzt... aber das kann sie DIESER Frau unmöglich sagen.
.Das Bild, das in ihrem Arbeitszimmer steht,ein Selfie, das er an sie schickte mit dem Vermerk: „ So sehe ich aus, wenn ich mit Dir telefoniere“ empfindet ihre Gesprächspartnerin als „angespannt“ und “abweisend”. „So lange sie DIESES Bild bei sich haben, werden Sie keinen Frieden finden...“
Sie ist zwiegespalten... EINERSEITS honoriert sie es, dass Ilse S. sich auf den Weg gemacht hat, um sie zu treffen und dass sie sich zwei Stunden Zeit genommen hat für ein Gespräch... ANDERERSEITS widerstrebt ihr das Wohltemperierte, Selbstzufriedene und Saturierte das diese Frau ausstrahlt... dieses Leben, in dem alles seinen Platz hat – auch die Trauer wird sorgfältig eingehegt und gebändigt... sie erkennt durchaus an, dass Ilse S. ihr gegenüber die besten Absichten hegen mag – aber etwas in ihr sträubt sich nach wie vor...
Ilse S. hat sie besucht, hat mit ihr gesprochen, hat ihr zwei Bücher spirituellen Inhalts mitgebracht - eins
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Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden