Gute Nacht Merlin - Protokoll eines Trauerjahres - Page 19

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von Cleo Cleo

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an diesem verhängnisvollen 31. Oktober 2016. Die Polizeibeamtin, die bei der Notfallseelsorge in Gütersloh mitarbeitet, hat für sie recherchiert...
Seit geraumer Zeit geht sie alle 14 Tage zu einer Psychologin in die Ambulanz der LWL- Klinik. Sie will ihre Trauer in den Griff bekommen. Aber immer wieder taucht in ihr der Gedanke auf: „Habe ich denn das Recht, glücklich zu sein? Hat mein Leben überhaupt noch einen Sinn - jetzt, wo ER nicht mehr da ist?“ Sie liest die Mails der Anfangszeit, wie sie um ihn und sein Vertrauen gerungen hat – und wie sehr doch schon in den ersten Jahren diese unglaubliche Nähe und dieses Vertrauen da war... und fragt sich, ob sie seine Söhne mit ihrem Wissen um sie konfrontieren soll....
08. Mai 2017
Als sie vor dem Haus ankommt, sieht sie vor der Tür einen Berg Sperrmüll : Hausrat und Möbel, die die Erben offensichtlich nicht für gut genug erachteten. Dazwischen ein Hörbuch, das sie IHM vor Jahren besprochen und geschenkt hatte. Mit einer persönlichen Widmung... Sie steckt es ein – ebenso wie einige Gläser, die sie in Zukunft zuhause benutzen wird und ein kleines rotes Windlicht mit einer schönen Bronzeumhüllung. Eine Nachbarin spricht sie an . Das Haus sei verkauft, berichtet die Frau. „Es sind nette Leute... es bleibt in der Nachbarschaft gewissermaßen. Ein Freund der Familie hat es gekauft...“ Sie wechselt noch einige Worte mit dieser Frau , geht mit ihr in den Garten und pflanzt in einem unbeobachteten Augenblick einen winzigen Ginkgo ein, den sie von zu hause mitgenommen hat.
Sie hatte ihn IHM zum Geburtstag schenken wollen, mit der Bitte, ihm in Garten seines Hauses eine Heimat zu geben. Jetzt hofft sie, dass die neuen Eigentümer das winzige Bäumchen in Ruhe wachsen lassen...
Das Grab sieht jetzt ein bisschen besser aus als vor einem Vierteljahr... immerhin ein hübsches Gesteck, der Beginn einer Efeuumrandung und in der Mitte eine große Schale.. Sie denkt, dass alles darauf hindeutet, dass dieses Grab in Zukunft wohl nur selten besucht werden wird. Wahrscheinlich das nächste Mal Ende Oktober nach dem Jahresseelenamt.
Sie zündet die mitgebrachte Kerze an und borgt sich vom Nachbargrab eine Grablaterne aus, die dort nur lose in den Boden gesteckt ist. Auch dieses Grab wirkt sehr steril, wird offensichtlich ebenfalls selten besucht...
Sie holt die Gartengeräte aus dem Rucksack: einen Spaten mit einem kurzen Stiel und eine kleine Hacke -und versucht, die Urne auszugraben. Aber nach kurzer Zeit kapituliert sie vor dem zähen und harten Lehmboden.. Müde und frustriert gibt sie auf, räumt ihre Habseligkeiten zusammen und geht zur Bushaltestelle.
Was bleibt von einem Menschen, wenn er stirbt? - fragt sie sich auf dem Weg in die Stadt. Eine Menge Trödel und ein leeres Haus... und vielleicht noch ein paar Menschen, die hin und wieder an ihn denken, wenn er von jemandem geliebt wurde. Wenn er von niemandem geliebt wurde – NICHTS...
Bevor sie zum Bahnhof geht, macht sie noch Zwischenstation bei einem Blumenladen, um ein Gesteck zu bestellen. Es soll am 21. Mai, SEINEM Geburtstag, das Grab schmücken. Auf dem Weg zur größten Gärtnerei vor Ort - augenscheinlich der Branchenführer – kommt sie an einem kleinen Blumengeschäft vorüber und beschließt spontan, hier ihre Bestellung aufzugeben. Sie kommt mit der Inhaberin, einer freundlichen älteren Dame, ins Gespräch. Die Frau erinnert sich noch sehr gut an den Unfall. Sie hat sogar die Todesanzeige mit dem schönen lächelnden Paar abgeheftet.
„Ich bin öfters auf dem Friedhof in Ampen. Meine Eltern liegen dort. Ich gehe alle vierzehn Tage dort hin. Ich kann das Gesteck auch am 21. Mai dort niederlegen. Ist zwar Sonntag, aber ich bin sowieso dort.“ Und sie werde ein Foto von dem Grab machen und ihr schicken, verspricht sie.
So wird dann also am 21. Mai ein Blumenherz mit gelben, weißen und blauen Blumen SEIN Grab schmücken. Und auf der dunkelblauen Schleife wird ein Zitat aus Friedrich Schillers „Nänie“ stehen: „Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich, denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.“ und der Zusatz : „Immer Deine Cleo“....
Mehr kann sie im Augenblick nicht tun, denkt sie, während sie zum Bahnhof geht.
Diese Pilgerreise nach Ampen hat sie tief traurig gemacht.
Aber was hatte sie denn erwartet? Ein Haus, in das vielleicht einer der Söhne einzieht und es liebevoll bewahrt? Ein Grab, das voller Liebe geschmückt wird ?
Immerhin hat man ihre Frühlingsblumen stehen lassen. Sie konnten ausblühen und ihren Samen verstreuen – und vielleicht kommen sie ja im nächsten Frühjahr wieder... ein schwacher Trost... aber WER wird noch in einem Jahr an IHN denken, wenn nicht SIE? WER wird um IHN trauern, wenn nicht SIE?
09. Mai 2017
Sie nutzt die Abwesenheit ihres Mannes zu einer Fahrt nach Köln. Sie ist mit einer Frau verabredet, die von dem berühmten Medium Paul Meek ausgebildet wurde. Merlin hatte ihr einmal ein Buch von Paul Meek geschenkt. Er war selbst davon überzeugt, dass es so etwas wie ein Weiterleben nach dem Tode gibt.
Sie trifft das Medium in einem bürgerlichen Wohnviertel eines Kölner Vororts. Sie sitzen gemeinsam in der Küche – ihr gegenüber eine warmherzig wirkende Frau, die in in ihrem Alter sein könnte - machen Smalltalk... die Frau fragt nichts.
Nach einer Weile setzt sie sich ihr gegenüber, nimmt ihre Hände, sagt: „Wollen mal sehen, wer da ist...“ und schließt die Augen. Sie tut es ihr gleich... spürt ein leises Kältegefühl – nicht unangenehm .., das von einem Gefühl großer Ruhe und Gelassenheit abgelöst wird.
„Ich sehe zwei Personen...“ sagt das Medium in diesem Augenblick... „eine tritt jetzt ein bisschen in den Hintergrund... die andere... etwas älter... leicht untersetzt... freundlich-zugewandt – ich möchte fast sagen: gemütlich... er ist ein bisschen traurig, weil er so plötzlich hat gehen müssen, nichts hat regeln können... es muss im Herbst gewesen sein... ich sehe so etwas wie dunkle Jahreszeit..“ SIE stellt Fragen: was genau passiert ist an diesem Tag? - Er sei auf dem Weg zu etwas gewesen, was er gerne tut.... habe sich angeregt mit seiner Frau unterhalten...

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Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden

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