Gute Nacht Merlin - Protokoll eines Trauerjahres - Page 18

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von Cleo Cleo

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selbst angesichts des Todes noch all diese kleinbürgerlichen Vorurteile gelten müssen... ist denn die Liebe nicht allumfassend? Und habe ich denn Deiner Kleinen Königin etwas genommen? Liebes Licht auf meinem Wege - Du bist in meinen Gedanken und wirst immer dort sein - auch wenn irgendwann die letzte Träne um Dich geweint wurde...
Ich liebe Dich... Deine Cleo“

März 2017
Sie beginnt an einem Epitaph für Merlin zu arbeiten. Zunächst entstehen drei Bilder, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ihrer Freundschaft symbolisieren sollen. Das erste Bild zeigt sie beide in einem imaginären Raum als Liebespaar – hinter einem Vorhang aus Worten aus dem Hohen Lied und umschlossen von den Blumen, die ihr Arbeitszimmer schmückten, als er das letzte Mal bei ihr war. Das dritte Bild zeigt IHN mit riesigen Flügeln in einem Gewand aus Licht - der Seelenführer der er jetzt ist. Das zweite Bild beschreibt das Unfallgeschehen: sie verwendet Bilder der Kreuzung von Google Earth, markiert die Unglücksstelle mit einem roten Kreuz, und verteilt darum herum Röntgenbilder auf denen gebrochene Halswirbelsäulen zu sehen sind, die zerrissene Traueranzeige mit dem Porträt der Beiden, Zeitungsartikel vom Unfallgesehen und die Fotos vom Unfallort, die sie aus dem Internet auf die Festplatte ihres PC geladen hatte. Sie hat sich gefürchtet vor diesem Bild ,hat lange gezögert, es in Angriff zu nehmen - jetzt ist sie überrascht,wie leicht es ihr fällt, mit den Bildern des Autowracks zu arbeiten. Als das Bild fertig ist, ist sie endlich in der Lage, diese Fotos von der Festplatte zu löschen. Die Bilder werden bei einer Sammelausstellung ihrer Künstlerinnen-Vereinigung im Rathaus von Werther gezeigt. Sie hat Mario zur Vernissage eingeladen – ohne Resonanz.
23. März 2017
Sie begleitet ihren Mann nach Hannover zur CeBIT. Während er sich auf dem Messegelände umschaut, wandert sie ziellos durch die Innenstadt. Eigentlich wollte sie in irgendein Museum - aber jetzt fehlt ihr die Lust dazu.
Schließlich landet sie in der Marktkirche. Ein Schild im Seitenschiff weist darauf hin,
dass man hier reden kann - wenn man mag. Ein freundlicher älterer Herr sitzt dort und scheint auf Gesprächspartner zu warten. Sie spricht ihn an -und erzählt dann von dem, was sie umtreibt. Dass sie seit dem Tode von Merlin manchmal das Gefühl hat, ein Widergänger zu sein:
“Ich denke manchmal, dass ich AUCH am 31. Oktober gestorben bin, ich hab es nur nicht gemerkt. Eigentlich sitzt jetzt ein Gespenst vor Ihnen...” -
Sie erzählt diesem Mann von ihren Gewissensbissen – Sie fürchtet, durch ihre Offenheit das Bild zerstört zu haben, dass seine Söhne von Merlin hatten Vielleicht hat er nach seinem Tod die Liebe seiner Söhne verloren – durch ihr Verschulden? . “Wie alt sind die Söhne?”- fragt ihr Gegenüber.. Als sie ihm sagt, dass sie bereits erwachsen seien - der älteste über 40 - meint er: “DANN müssen Sie sich keine Gewissensbisse machen. Und ich glaube auch, dass der Älteste seinen Vater irgendwann verstehen wird... nicht heute und nicht morgen - aber in einigen Jahren. Lassen Sie ihm Zeit...” Sie verlässt die Kirche ein klein wenig getröstet. Zündet vorher noch eine Kerze an und schreibt in das Fürbittenbuch: “Bittet für Cleo, die verwaiste Geliebte...”

Brief an einen Verstorbenen
“24. April 2017
„Mein geliebtes Herz... ich habe Dir so lange nicht geschrieben. Aber glaub mir - ich habe Dich nicht vergessen und das weißt Du auch. Ich war zwischenzeitlich auf Reisen mit meinem Löwenmann - über Ostern in der Rheinpfalz. Dort haben wir einen alten Studienkollegen von ihm besucht, der mittlerweile AUCH ein würdiger älterer Herr geworden ist – ohne die dichte , dumkle Wuschelkopfmähne die er früher hatte - . Er lebt heute wieder in seinem Elternhaus - hat irgendwann mit Mitte Vierzig die Erziehung seiner beiden Neffen übernehmen müssen, deren Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren - und dann war da auch noch eine Firma um die er sich kümmern musste. Jetzt wohnt er alleine mit seinem Hund , einer Voliere voller Rosenköpfchen-Papageien und vielen Hühnern in einem großen Haus mit einem großen Garten in dem er unter anderem sein eigenes Gemüse anbaut. Er habe nie wirklich um seine Schwester und ihren Mann trauern können, sagte er uns, als wir bei ihm waren. Es sei immer zu viel zu tun gewesen. Und da habe ich mich gefragt, was DAS wohl mit einem Menschen macht...und ob DEIN Mario auch JEMALS um DICH wird trauern können? Ich frage mich, ob ich ihm gegenüber zu offenherzig war - und ihn dadurch verprellt habe. Und JETZT bist Du wohlmöglich in seinen Augen nicht nur der Mensch, der das Leben seiner Mutter auf dem Gewissen hat - sondern sie obendrein auch noch jahrelang "betrogen" hat... und das deswegen, weil ich eine wahrscheinlich sehr konventionell gemeinte Äußerung von ihm falsch interpretiert habe... Das macht mir zu schaffen... auch wenn die Psychologin, bei der ich mittlerweile in Behandlung bin, der Meinung ist, dass er als erwachsener Mensch für sein Gefühlsleben selbst verantwortlich sei.
Lieber Freund und Merlin - ich arbeite an dem "Requiem"-Zyklus weiter... zwei Bilder sind schon fertig... Heute habe ich ein Bild gefunden, das Du mir geschickt hast, vier Tage vor Deinem Tod... in irgendeinem Park vor einem Baum mit herrlich buntem Herbstlaub... es wird in mein nächstes Bild einfließen. Liebes Licht auf meinem Wege - Du fehlst mir...
Alles Liebe Dir, wo immer Du auch sein magst
- Deine Cleo“

02. Mai 2017
Sie hat in den vergangenen 14 Tagen unter Hochdruck gearbeitet – jetzt sind vier weitere Bilder des „Requiem-Zyklus“ fertig. Seit dem heutigen Nachmittag hängen sie in der neu erbauten gerontopsychiatrischen Tagesklinik des LWL in Gütersloh – wieder in einer Sammelausstellung von Künstler-Kolleginnen. Am Abend hat sie in ihren Aufzeichnungen gestöbert und alte Mails gelesen aus der Anfangszeit ihrer Bekanntschaft mit Merlin. Sie hat gesehen, wie er ihr damals schon vertraute, als er ihr einen Brief an seinen jüngsten Sohn schickte... und ihr ist immer noch unbegreiflich, dass dieser wundervolle Mensch nicht mehr da ist.Und immer noch spukt in ihrem Kopf der Gedanke herum, seine Asche zu holen.... sie weiß jetzt, dass er TATSÄCHLICH hinterm Steuer gesessen hat

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Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden

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