Gute Nacht Merlin - Protokoll eines Trauerjahres - Page 12

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von Cleo Cleo

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Augenblick... das wäre schön...
Für immer Deine Cleo”
1.Dezember 2016
Sie unterhält sich nach einer Sitzung des Kulturausschusses mit einem Ratskollegen. Norbert M. hat vor gut zwei Jahren seine Frau an den Krebs verloren. Er sagt ihr auf den Kopf zu:” So wie DU drauf bist, war dieser Mann nicht nur Dein Bester Freund - er war mehr - das merke ich doch...” und dass er immer noch unter dem Alleinsein leidet. Aber er rät ihr auch „das Grübeln zu lassen...“
Dezember 2016, Januar 2017
In den zwei Monaten, die der Beisetzung folgen , lebt sie wie unter einer Glasglocke. Ihre Gedanken kreisen in einer Trauerspirale, sie versucht, die genauen Umstände des Unfalls und die Ursachen herauszubekommen, aber sie rennt überall gegen eine Wand aus Schweigen.
Irgendwann verabredet sie sich mit ihren Reiki-Meister, der auch eine Ausbildung als Schamane hat – in der vagen Hoffnung, über ihn vielleicht einen Kontakt auf die andere Seite zu bekommen.
Vor dem Treffen irrt sie ziellos durch dunkle Straßen, weil sie viel zu früh ist , sitzt eine ganze Weile auf der leeren Terrasse eines Restaurants... denkt an Merlin, an seinen schönen Körper, ihre Liebesumarmungen und fühlt sich tod -elend. „Er ist tot... mein geliebter, schöner, stolzer Kater ist tot...“ denkt sie immer wieder. Auf ihrem Smartphone bewahrt sie eine Fotografie auf, die er ihr vom Weihnachtsfest 2015 geschickt hatte. Er hatte damals seinem ältesten Sohn einen Billiardtisch geschenkt und seine Frau hatte ihn und seine Söhne fotografiert, als sie das Geschenk einweihten. Auf dem Bild sitzt er lässig auf der Kante des Billiardtisches, das Queue in der Hand, und visiert die Weiße Kugel an. Sie ist immer noch hingerissen von der Eleganz seiner Haltung.und der Geschmeidigkeit seiner Bewegung.
„Du kannst die Zeit nicht anhalten – sie geht weiter – auch in deinem Arbeitszimmer. Also zieh das Ührchen ruhig wieder auf...und du brauchst Dein Arbeitszimmer auch nicht umzuräumen, das wäre nur eine Übersprunghandlung, das würde dir nicht helfen. Lass es ruhig so wie es ist, “ sagt ihr Reiki-Meister, als sie sich später - ein wenig getröstet - von ihm verabschiedet.
An einem Nachmittag im Dezember findet in der Gütersloher Apostelkirche das „Lichterfest“ des örtlichen Hospizvereins statt. Sie geht hin, mit der vagen Hoffnung auf Trost. Aber sie bekommt kaum etwas mit von den Liedern und Texten bei dieser Feier. Zusammen mit den anderen Teilnehmern – alles Menschen die im Laufe dieses Jahres einen Angehörigen an den Tod verloren haben - geht sie ins Freie und stellt zu Füßen des Weihnachtsbaumes, der auf dem Kirchplatz steht, eine brennende Kerze auf. Als aber die Festversammlung das irische Segenslied anstimmt, das sie früher so geliebt hat:
„Möge die Straße uns zusammenführen...“ ist es vorbei mit ihrer Fassung, sie setzt sich abseits auf eine Bank und weint .
Genau DIESES Lied ist auch während der Trauerfeier gesungen worden...
Danach gehen alle wieder zurück in die Kirche -zu dem obligatorischen Zusammensein bei Tee und Keksen. Sie hält es nicht aus unter all diesen wohlsituierten Bürgern – sie will noch einmal nach draußen -zu den Lichtern. Aber die Kerzen sind bereits alle entfernt... abgeräumt... „mein Gott, wie kleinkariert..:“ denkt sie – und hat genug von diesem Verein.

Die Vorweihnachtszeit durchlebt sie in einem Zustand von Geistesabwesenheit. Irgendwann schreibt sie auf Anraten der Sterbeamme, die sie durch das Internet kennengelernt hat, die Hinterbliebenen an und bittet um ein Erinnerungsstück aus seinem Nachlass. Sie kann Mario nicht direkt anschreiben, denn die Bestatterin kennt nur die Adresse seines jüngsten Bruders, weil der sich um die Formalitäten für die Beisetzung gekümmert hat – und sie gibt diese Adresse nur äußerst widerwillig heraus:.Also schreibt sie an Sascha:
„...Frau S. hat mir Ihre Adresse gegeben. Ich hoffe, Sie sind ihr nicht böse. Aber ich wusste nicht mehr weiter – und da habe ich sie um Rat gebeten.
Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern. Ich war bei der Beisetzung Ihrer Eltern diejenige , die als Letzte ans offene Grab trat. Alle anderen waren schon fortgegangen und wir standen allein auf dem Friedhof – aber Sie waren nicht wirklich allein, denn ihre Familie war bei Ihnen. Ich bin Ihrem großen Bruder Mario sehr dankbar , dass er mich angerufen hat, um mir den Tod Ihrer Eltern mitzuteilen - und dass ich so die Möglichkeit hatte, sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten.
Aber nun zu dem eigentlichen Anlass meines Briefes:
Ich habe eine Bitte an Sie und Ihren Bruder: im Nachlass Ihres Vaters befindet sich ein Meditationstuch – das „Rad von Bruder Klaus“. Ich habe es ihm im vergangenen Jahr zu Weihnachten geschenkt, als er mir bei einem Rückführungstermin sagte, dass er mit Ende des Jahres die Tätigkeit in seiner alten Firma endgültig aufgeben werde. (Vielleicht gibt es noch das Begleitschreiben dazu. )
„Dann hast Du ja endlich ein bisschen mehr Zeit zum Meditieren“ habe ich damals gesagt. Und ihm dann dieses christliche Mandala geschenkt. Damals habe ich mich sehr gefreut bei dem Gedanken, dass jetzt etwas in seinem Besitz ist, das ihm hilft, sich zu fokussieren – aber auch ein klein wenig an mich zu denken, wenn er es anschaut...Es wäre schön, wenn Sie es mir zurückgeben könnten – natürlich immer unter der Voraussetzung, dass niemand von Ihnen es haben will – einfach nur deswegen, weil es etwas aus dem persönlichen Besitz Ihres Vaters ist.

Es fällt mir schwer, an diesem Brief weiter zu schreiben.
Wenn ich ein konventionell denkender Mensch wäre, wäre es einfach für mich, weil ich mich in irgendwelche Floskeln retten könnte:
„Ihr Vater war der beste Freund, den ich jemals hatte und sein Tod geht mir sehr nahe.“ oder so ähnlich...
Aber ich BIN kein konventionell denkender Mensch – und besonders dann, wenn ich traurig bin, pfeife ich auf die Konventionen und schreibe so, wie es mir ums Herz ist. Und ich BIN traurig...
Ihr Vater Klaus W., der weise Merlin, ist mein bester Freund. Er ist nach meinem Mann der wichtigste Mensch in meinem Leben , ich habe ihn sehr lieb und ich vermisse ihn.

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Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden

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