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in Gottes Hand“. Und dann war ich immer getröstet und beruhigt,..
Der Theologe Eugen Drewermann hat mal irgendwo gesagt, es gäbe Menschen, durch die das Licht Gottes hindurchscheint wie durch ein farbiges Kirchenfenster. Und alle, die mit diesen Menschen in Berührung kämen, hätten Teil an diesem Licht.
Sehen Sie – so war Ihr Vater für mich. Ein Mensch mit einer leuchtenden
und reinen Seele. Wenn er einen Raum betrat, wurde es gleich ein bisschen heller und
wärmer dort.
Ich bin froh und glücklich und dankbar, dass er mir über einige Jahre ein liebevoller und
treuer Begleiter war ...
Ich weiß, dass mein Freund Klaus W..- der Merlin, wie ich ihn nannte - keine Angst
vor dem Tod hatte. Da würde man doch nur, so sagte er immer, einen alten klapperigen
Wagen umtauschen in ein schönes neues Modell, das gleich an der nächsten Ecke auf
seinen neuen Besitzer warte. Und als Rückführungstherapeut war er ja auch der
felsenfesten Überzeugung, dass wir uns alle unser Leben so aussuchen, wie es eben ist.
Unser Leben – und unseren Tod...
Aber musste es denn dann ausgerechnet DIESER Tod sein? Dass seine von ihm so
geliebte Frau mit ihm gestorben ist, also bis zu seinem letzten Atemzug an seiner Seite
war – das kann man ja mit einigem guten Willen vielleicht auch als eine besondere Gnade
betrachten. Lieber Mario , als Sie mich anriefen, habe ich Ihnen ja am Telefon die
Geschichte von Philemon und Baucis erzählt. Und ich weiß ja doch, wie sehr Ihr Vater
seine Kleine Königin, seine Mona geliebt hat...
Aber SO zu gehen – so plötzlich und ohne Abschied? Und auf eine SO brutale Weise? Hat er das wirklich SO gewollt? Sollte das wohlmöglich ein Tribut sein an die Mächte des
Schicksals, die ihn doch so reich beschenkt und gesegnet hatten? Er hat sich so lange wir
uns kannten immer als einen glücklichen Menschen bezeichnet...
„Wenn Du alt bist, wirst Du sein wie ein großer alter und starker Baum“, habe ich
manchmal zu ihm gesagt. „Und Deine Familie wird sich um Dich versammeln und Deinen
Schutz und Deinen Schatten suchen.“ Und dann hat er immer mit seinem wundervollen
und ansteckenden Lächeln, das Sie, lieber Mario , von ihm geerbt haben,
geantwortet: „Und ganz oben im Geäst nistet dann ein kleiner dicker Spatz. Und der bist
Du....“
Jetzt ist dieser starke Baum gefällt worden – jäh und heftig wie von einem Blitzschlag.
Und wir, die wir zurückbleiben, können nichts weiter tun, als um ihn trauern – tief traurig,
aber auch voller Dankbarkeit, ihn gekannt zu haben...“
Sie ist wie betäubt in diesen Tagen . In einem ersten Schockzustand schickt sie weiter SMS an sein Smartphone : “ES TUT WEH... ES TUT WEH....” Sie lebt wie in Trance... geht ihren Verpflichtungen nach, nimmt an Rats- und Ausschusssitzungen teil als ob nichts wäre - wundert sich darüber, dass ihre SMS anscheinend immer noch empfangen und offensichtlich auch gelesen werden.... Das sonnige Herbstwetter, das immer noch anhält, ist ihr unerträglich. Die kleine Stiluhr in ihrem Arbeitszimmer zieht sie nicht mehr auf. Sie stellt sie auf den Zeitpunkt SEINES Todes: 11.50. - Die große Kristallvase entfernt sie aus dem Raum - sie kann sich nicht vorstellen, jemals wieder Blumen zu kaufen ...
Ein Jahr später nimmt sie diese Vase mit zur Evangelischen Bildungsstätte Kloster Loccum ,als sie dort zu einem Seminar fährt, und deponiert sie unauffällig in einem Nebenraum der Hauskapelle. Vielleicht wird diese Kristallvase gelegentlich, gefüllt mit frischen Blumen, dort auf dem Altar stehen.
Sie sichtet die Geschenke, die sie von Merlin bekommen hat – und entschließt sich, ihren wertvollsten Besitz weiterzugeben an zwei Menschen, die er besonders liebt: den großen Anhänger aus Bergkristall, den er ihr vor einigen Jahren zum Geburtstag geschenkt hat , und den sie täglich trug, soll ab jetzt seine Enkelin Laura tragen. Und das Mala aus Bergkristall, das sie seit sieben Jahren begleitet hat und das sie auf alle ihre Reisen mitnahm, schickt sie an seine Schwiegertochter Melina. Sie packt diese Gegenstände sorgfältig ein, versieht sie mit kurzen Begleitschreiben und bittet die Bestatterin, sie an die Angehörigen weiterzugeben. Mario schickt sie das Manuskript einer Geschichte, die sie schon vor vielen Jahren angefangen – aber erst jetzt zu Ende geschrieben hat. Der plötzliche Tod des Merlin hat ihr auch den Schluss dieser Geschichte diktiert...
Später fragt sie sich, ob es so klug war, diese kostbaren Gegenstände aus der Hand zu geben -und noch dazu in dieser Form. Wäre es nicht besser gewesen, sie hätte sie den Hinterbliebenen direkt überreicht -und sei es am Offenen Grab? Vielleicht hätte sie ja dort die Weichen stellen können für eine wirkliche Begegnung....?
11. November 2016 , mittags....
Sie und ihr Mann sitzen gemeinsam in der voll besetzten Heilig-Kreuz Kirche in Soest. Sie schaut regungslos nach vorne... auf die beiden Urnen die vor dem Altar stehen, auf das Porträt der Verunglückten –... ein schönes Paar, das Harmonie und Lebensfreude ausstrahlt... und auf das Meer von Kerzen, die von den Trauergästen angezündet worden sind. Es war ihr nicht möglich, ihn noch einmal zu sehen – die Bestatterin hatte es ihr verwehrt :“ Ich bin sonst immer sehr dafür, dass die Hinterbliebenen noch einmal Abschied nehmen – aber in DIESEM Fall habe ich sogar den engsten Familienangehörigen davon abgeraten. Behalten Sie ihn lieber so im Gedächtnis, wie er war, als Sie ihn zuletzt lebend gesehen haben – das ist besser. Die Beiden sind ja obendrein auch noch obduziert worden...“ Seitdem plagen sie Phantasien ,in denen die schlimmsten körperlichen Verletzungen vorkommen , vor ihrem inneren Auge sieht sie seinen geliebten schönen Körper grauenhaft entstellt und sie quält sich mit dem Gedanken, ob er sehr gelitten hat – sie schaut sich geradezu zwanghaft im Internet Videos von schweren Verkehrsunfällen an, speichert die Fotos, die von der Unfallstelle in Soest veröffentlicht wurden, auf der Festplatte ihres PCs.
(Erst als sie Monate später mit ihrer Freundin Cornelia, einer Arzttochter, darüber spricht,und die ihr sagt, dass in solchen Augenblicken der Schock jegliches Schmerzempfinden überdeckt und er wahrscheinlich sehr schnell das Bewusstsein verloren hat, hören diese Gedanken auf, sie zu quälen...)
Sie nimmt wie durch einen Nebel die Hinterbliebenen in der ersten Reihe wahr...die vier erwachsenen Söhne, die sie alle mit Namen kennt, obwohl sie sie
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Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden