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sie konnten keine großen Sprünge machen, aber es langte gelegentlich für das eine oder andere kleine Extra – kam zu Beginn des Jahres 2006 der Rückschlag: ein „aufrechter Bürger“ fühlte sich bemüßigt, an zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens anonyme Briefe zu verschicken. Vier Zeilen – triefend von Selbstgerechtigkeit und sabberndem Voyeurismus – in denen er hämisch grinsend auf ihre Homepage im Internet und auf ihren Nebenerwerb hinwies.
Diese Briefe gingen unter anderem an die Bürgermeisterin ihres Wohnortes, an den Vorsitzenden des Presbyteriums, in dem sie damals Mitglied war, und an alle drei Tageszeitungen.
Zwei der Lokalblättchen versenkten das Pamphlet kommentarlos in der Runden Ablage – aber die auflagenstarke dritte Zeitung nahm sich ausführlich dieses Themas an und schleifte SIE durch mehrere Ausgaben.
Eine Kollegin des Journallistenverbandes, wo sie damals im Regionalvorstand saß, sagte damals in einem persönlichen Gespräch: „Na und? Die waren doch froh, dass sie AUCH mal mit einem Skandal aufwarten können.“ Das hinderte diese Kollegin dann aber nicht daran, ihren Ausschluss aus dem Vorstand zu betreiben.
In den Zeitungsartikeln wurde zwar nirgends ihr Name genannt – aber in einem wurde ein Foto aus dem Internet mit dem sie geworben hatte, veröffentlicht – und zwar ohne dass ihr Gesicht unkenntlich gemacht wurde – und so konnte jeder, der sie kannte, sie mühelos identifizieren.
Von einem Tag zum anderen wurde sie zur Unperson, ihr Freundes- und Bekanntenkreis schrumpfte rapide und sie verlor auf einen Schlag sämtliche Ehrenämter.
Als sie Anzeige gegen Unbekannt erstattete, verschlimmerte sich die Situation noch: die Staatsanwältin in Bielefeld nahm an, das SIE diese Briefe selbst geschrieben habe -und ihr Anwalt riet ihr, sie bei diesem Glauben zu belassen und einer Geldstrafe zuzustimmen, um einem Gerichtsverfahren aus dem Wege zu gehen.
Die finanziellen Auswirkungen dieses Desasters hielten gut zwei Jahre an. Zwei Jahre, in denen sie Ihre Schulden ratenweise abstotterte - von ihrem Callcentergehalt und dem, was ihr Nebenerwerb einbrachte...
Der Kollateralschaden dieser öffentlichen Stigmatisierung blieb auch danach bestehen: sie wurde nie mehr als Rezitatorin engagiert und auch aus der Amateurtheatertruppe, in der sie erfolgreich mehrere Inszenierungen mitgestaltet hatte, flog sie hinaus – mit einer dermaßen verfemten Person wollte niemand seine Veranstaltungen besudeln.
Als das Kesseltreiben gegen sie seinen Höhepunkt erreichte, schickte ER ihr eine SMS:
„Was immer Du denkst oder tust – wahre Deine Würde und achte auf die Reinheit Deines Selbst.“
Sie druckte diese SMS in der schönsten Schrift die sie finden konnte auf ein Blatt teures Papier, illustrierte es mit dem Bild seines Seelenbaumes, das er ihr einmal von einer Reise geschickt hatte, rahmte das Blatt ein und hängte es in ihr Arbeitszimmer.
In den folgenden Jahren erinnerte sie sich immer wieder an diese Maxime und oft bewahrte sie diese Mahnung davor, sich allzu sehr in irgendwelchen Fehden zu verzetteln, die doch letzten Endes ohne Bedeutung waren.
Im November dieses Katastrophenjahres musste ihr Mann plötzlich ins Krankenhaus. Diagnose: Darmkrebs Stufe 3. Er bekam zunächst Chemotherapie – die Operation sollte zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.
Noch heute fragt sie sich, ob es zwischen der Hetzkampagne gegen sie und der Erkrankung ihres Mannes einen Zusammenhang gibt. Er hatte ihr treu zur Seite gestanden, als die Attacken gegen sie immer brutaler wurden, hatte ihr den Rücken gestärkt, ihr Mut gemacht. - aber dabei auch vieles in sich hineingefressen. Sie hatte als ehemalige Journalistin das Ganze zunächst einmal nicht so wichtig genommen, sondern darauf vertraut, dass nach geraumer Zeit das Thema von allein aus den Schlagzeilen verschwinden würde – was ja auch der Fall war. Er hingegen hatte sich das alles sehr zu Herzen genommen – war DAS der Grund für seine Erkankung?
Kurz nachdem ihr Mann seine Diagnose bekommen hatte - noch in der Vorweihnachtszeit - bekam ihr Schwiegervater einen Herzinfarkt .
ihr Mann besuchte ihn regelmäßig im Krankenhaus – seine eigene Operation stellte er zurück, weil er hoffte, dass sein Vater sich noch einmal erholen werde.
Der alte Herr starb im März des folgenden Jahres – er hat niemals von der schweren Krankheit seines Sohnes erfahren. Kurz nach seiner Beerdigung wurde ihr Mann operiert – danach lag er tagelang schwach und unter großen Schmerzen zuhause .
Er wehrte jeden ihrer Versuche, ihm zu helfen, ab, behielt alles für sich. - und sie litt unter seiner Zurückweisung.
Sie wusste damals nicht, dass die Krankenkasse zwar die Krebsmedikamente für die
Chemotherapie, nicht aber die schmerzstillenden Mittel bezahlte. DIE hätte er selbst bezahlen müssen – aber DAFÜR hatten sie kein Geld – und er verschwieg ihr seine Schmerzen und igelte sich ein.
In dieser Zeit schrieb ihr der Merlin, um ihr Mut zu machen:
“Wenn Dein Mann es will und Du ihm deutlich Deine Liebe gezeigt hast, wird er wissen wofür er ab morgen leben, ja auch überleben will. Sag ihm das und zeige es IHM. Dir die Kraft des Kriegers des Lichts, die Kraft der Liebe einer starken Frau.....“
Auch DAS verfestigte und intensivierte ihre Freundschaft – er, der Merlin, wurde zum Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens...
Als die Partei, in der sie und ihr Mann seit einigen Jahren Mitglied waren, ihr die Gelegenheit gab, für den Stadtrat zu kandidieren, fragte sie ihn, den Merlin, um Rat.
„So lange Du zu dir selber stehst und dich nicht verbiegen lässt, kann dir niemand schaden“,
war seine Antwort. Und daran hielt sie sich.
Als er in Rente ging, aber noch immer zweimal in der Woche in seine alte Firma fuhr, um sich um die finanziellen Angelegenheiten seiner Seniorchefs zu kümmern , verschoben sich die Gewichte:
Zu Beginn war es ja so gewesen , dass sie ihm huldigte, ihm hingerissene Mails und SMS schrieb und seinen schönen alterslosen Körper pries - .nun war er es, der um sie warb – der ihr sehnsüchtige SMS schickte, der ihr sagte, wie sehr er sie begehre, der sie regelmäßig besuchte für eine gestohlene Stunde voller Zärtlichkeit und tief schürfender Gespräche.
Am leidenschaftlichsten wurde er drei Wochen vor seinem gewaltsamen Tod, als er mit seinem ältesten Sohn in Spanien wanderte. In der ersten Woche war er allein unterwegs und sie telefonierten fast jeden Abend miteinander,
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Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden