Gute Nacht Merlin - Protokoll eines Trauerjahres - Page 4

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von Cleo Cleo

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verborgen im Unterholz oder vom hoch stehenden Mais im Maisfeld - manchmal auch irgendwo auf einer einsamen Wiese... das behielten sie bei bis zum Schluss - wann immer ihre Zeit und das Wetter es erlaubten .
Zuletzt war es ein ganz bestimmter Ort in einem lichten Kiefernwald, nicht weit von ihrem Haus. Oft sagte sie zu ihm: „Wenn ich nicht mindestens einmal mit Dir unter den Bäumen liegen konnte, war der Sommer für mich kein Sommer...“ . Sie liebte das Gefühl des lauen Windes auf ihrer nackten Haut und den Anblick seines Gesichts, auf das die durch die Zweige flirrenden Sonnenstrahlen ihre Lichter warfen. Seine gebräunte Haut, denn er war im Sommer viel im Freien .. für sie war es , als umarme sie den Sommer schlechthin. Nach einem solchen verstohlenen Treffen bekam sie noch im Juli dieses ersten Jahres eine Mail:
“Guten Morgen, Du liebe Freundin - glücklich bin ich, in Dir einen solchen Menschen gefunden zu haben.... danke das es Dich gibt, danke das ich Dir begegnen durfte. Unser anschließendes Telefongespräch war ein wunderbarer Abschluss, mit soviel Tiefgründigkeit, Harmonie, Übereinstimmung, größer und schöner kann es nicht sein. Nachdenken muss ich bereits, bin ich noch frei, hab ich meine Freiheit bereits verloren,....Dennoch gibst Du Freiheit, sowohl in Gedanken als auch in der Bewegung. Keine Forderung, nur Wünsche....warte, es wird geschehen so es sein soll, aber bin ich dann noch frei????? Was aber ist frei? Nur die Gedanken, die Bewegung, ich lass es geschehen und bin dennoch gefangen in Gedanken und Gefühlen......
Ave Dir Königin des freien Gedankens”

Die Freiheit.... zunächst war es für sie ja nicht schwer gewesen, ihn an der langen Leine zu führen, denn es war nur ein spielerisches Sich-Ausprobieren für sie. Sie wollte sich selbst bestätigen, sich von der lähmenden Obsession für diesen Arbeitskollegen kurieren, der sie abgewiesen hatte. Irgendwann im Frühherbst bekam sie eine SMS:
“Ich wollte, wir lägen jetzt in einander verschlungen unter einem Baum. Die letzten Sonnenstrahlen streicheln uns und wir trinken einander....”

Sie lächelte, als sie das las.... es war schön, dass er sie SO sehr wollte...
Aber als er ihr kurz darauf schrieb.
„Liebe im landläufigen Sinne kann ich Dir nicht geben. Aber Zuneigung, Respekt, Deine Seele....“

da begann sie ihm zu verfallen. Und das Spiel hörte auf, ein Spiel zu sein.
Ihre Seele... niemand sonst hatte danach gefragt.
Und so ließ sie sich ein auf diesen „Mann auf den Zweiten Blick“ er fing an, sie zu bezaubern. Da war etwas... sie konnte es nicht benennen – aber es machte sie neugierig, zog sie immer mehr in seinen Bann...
Sie hatte keine Fragen gestellt, aber angefangen zu recherchieren, sobald sie seinen Namen wusste. Dadurch verlor für sie beide diese Beziehung ihre Unverbindlichkeit und vielleicht auch einen Teil ihrer Unbeschwertheit – aber sie gewann an Tiefe, weil sie jetzt mehr von einander wussten . Dass sie recherchierte, erfüllte ihn zunächst mit Unbehagen –aber bald spürte er, dass er ihr vertrauen konnte. Und so begann er, von sich zu erzählen. Von seiner Familie, von seiner Arbeit, von dem was ihn bewegte: vor allem von seinem sich langsam heraus kristallisierenden Hang zum Spirituellen, der bei seiner Frau auf Unverständnis stieß ...
Sie fand das spannend, denn sie suchte selber nach einem Halt in ihrem Leben -und so konnte sie es durchaus nachvollziehen, dass er anfing, sich Fragen zu stellen, die über das Alltägliche hinausgehen...
Es ist verständlich, dass ein Mensch, der sich selbst als erfolgreich betrachtet, an einem bestimmten Punkt seines Lebens fragt: „War das jetzt alles?“ und: „Was kommt danach?“ . Jeder Mensch, der den Zenith seines Lebens überschritten hat, fängt irgendwann an, sich diese Fragen zu stellen, sofern er nicht in der Tretmühle des bloßen Überleben-Müssens feststeckt. Irgendwann kommen wir zu der Erkenntnis, dass unsere Lebenszeit nicht unbegrenzt ist – dass wir endlich sind. Und dann werden wir nachdenklich, versuchen vielleicht auch, Versäumtes nachzuholen, obwohl das gar nicht geht. Manche Menschen bezeichnen diesen Zustand als „Midlife-Crisis“. Aber das ist es nicht, sondern es ist eine der großen Chancen , die wir im Leben haben- dass wir :zu einem Zeitpunkt, an dem das äußere Leben zu einem Haltepunkt gekommen ist, weil die berufliche Entwicklung stagniert, das Haus abbezahlt und die Kinder erwachsen sind– die Möglichkeit bekommen, uns auf uns selbst zu besinnen.
Sie selber sah sich zwar als einen Menschen, der auch in seinen mittleren Jahren immer noch unterwegs war– aber er weckte ihr Interesse für die Fragen, die ihn bewegten.
Also begann sie, ihrerseits Fragen zu stellen, die Bücher zu lesen, die er ihr schenkte und mit ihm darüber zu reden. Das alles wurde zu einem immer fester werdenden Band zwischen ihnen, das schließlich über das spielerisch-erotische weit hinausging...
Nach und nach kam ihr Zusammensein in geordnete Bahnen – weiterhin telefonierten und schrieben sie häufig und sahen einander selten. Höhepunkt jeden Jahres war die EINE gemeinsame Nacht, wenn er zu einer Weiterbildung seiner Berufsvereinigung fuhr.
Dann besuchte sie ihn in seinem Tagungshotel, sie aßen gemeinsam zu Abend und sie blieb über Nacht – lange Nächte mit intensiven Gesprächen, viel Zärtlichkeit und wenig Schlaf. Als sie sich das erste Mal in dieser Weise verabredeten, wurden sie beide irgendwann in der Nacht gleichzeitig wach und liebten sich noch einmal im Dunkeln. „Was tust du mit mir?“ flüsterte er, als er in sie eintauchte. Später sagte er, in dieser Nacht habe er ihr „wahres Selbst“ gesehen:
„Ich habe Dich einen Augenblick lang so gesehen, wie Du mit 80 Jahren aussehen wirst. Und Du wirst keine Fratze haben, sondern ein hübsches Gesicht. Und wenn es anders wäre, könnte ich gar nicht mir Dir verkehren.“

Jedes Mal fieberte sie diesen Treffen entgegen, voller Angst, dass etwas in letzter Minute den Termin verhindern könnte. Sie kam immer am späten Nachmittag in das Hotel, ließ sich von ihm den Zimmerschlüssel geben und erwartete ihn in der Wärme und Verschwiegenheit des Hotelzimmers. Der Abschied am nächsten Morgen fiel ihr jedes Mal sehr schwer und sie versuchte ihn hinauszuzögern, so lange es irgend ging.

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Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden

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