Gute Nacht Merlin - Protokoll eines Trauerjahres - Page 2

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von Cleo Cleo

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die alle nicht mehr in Soest wohnen, dass ihre Eltern tot sind .
Wie konnte es zu diesem Unfall kommen? An dieser Kreuzung, die zumindest von der einen Seite her so gut eingesehen werden kann, dass jeder Wagen schon von weitem zu sehen ist? Das Unfallgutachten der Staatsanwaltschaft wird erst gegen Ende des folgenden Jahres veröffentlicht. Aber auch dieses Gutachten gibt keine wirkliche Antwort .Der Citroen war technisch einwandfrei und es gab keine Bremsspuren am Unfallort . Offensichtlich sei Klaus W. ,der Fahrer des Wagens, ohne auf den Verkehr zu achten in die Kreuzung eingefahren, heißt es. . Die Rede ist von einem „verhängnisvollen Fahrfehler“. Er habe das Stoppschild ignoriert . Die Staatsanwaltschaft „schließt gesundheitliche Probleme nicht aus“ – andererseits soll es aber im Obduktionsbericht keinerlei Hinweise auf gesundheitliche Probleme gegeben haben– weder auf einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt am Steuer, noch auf reaktionshemmende Medikamente….
Noch während die beiden Toten obduziert werden, tritt im Hause des ältesten Sohnes in Münster der Familienrat zusammen.
Keine Zeit zum Trauern. Formalitäten erledigen, Trauerfeier und Beisetzung vorbereiten, Freunde und Bekannte der Toten informieren, Haushalt auflösen...
Die Eltern – insbesondere der Vater - hatten einen großen Bekanntenkreis – und von den meisten kennen seine Kinder noch nicht einmal die Namen.

04. November 2016, mittags....
Mario, der älteste Sohn, sieht die Unterlagen seiner Eltern durch. Neben ihm auf dem Schreibtisch liegt das Smartphone seines Vaters, das wie durch ein Wunder den Crash unbeschädigt überstanden hat. Einige Male in den vergangenen Tagen hat es SMS empfangen. Der Absender ist immer der gleiche. Einmal ist von einer Veranstaltung in Münster die Rede, einmal von einem Bild, das die Person seinem Vater schenken will... wer mag das sein? Mario wählt die Nummer an - legt aber unmittelbar nach dem ersten Klingeln wieder auf. Erst einmal die Menschen benachrichtigen, von denen er wenigstens die Namen kennt, weil sie im Telefonverzeichnis seines Vaters stehen....Er seufzt und greift zum Telefon...

Erster Teil: Rückblende
07. Juni 2004 - ER an SIE – SMS:
„Ich laufe seit Stunden mit einem Phantasiegedanken mit Degen durch die Gegend. Hätte lieber von Dir küssen lassen...“ und später: „Da sitze ich nun im Sonnenschein und freue mich, dass ich Dir begegnet bin...“

Der erste Eindruck war enttäuschend.
In dem Gütersloher Restaurant, in dem sie sich verabredet hatten, wartete ein distinguierter Herr mittleren Alters – mittelgroß, mittlere Figur, Brille, rotblondes, stark gelichtetes Haar und irgendein Gesicht.
Sie war ernüchtert, denn sie hatte mehr erwartet. „Nichts Aufregendes“ , dachte sie, als sie ihm zur Begrüßung die Hand reichte . „Aber vielleicht ist ja ein Engagement drin...“
Er hatte sie um das Treffen gebeten, weil er jemanden für das Sommerfest seines Tennisclubs suchte. Sie trat gelegentlich als Kabarettistin und Diseuse auf und einer seiner Arbeitskollegen hatte sie bei einer Gewerkschaftsveranstaltung erlebt und ihm von ihr erzählt. Dabei stellte sich heraus, dass er sie bereits kannte, wenn auch aus einem ganz anderen Zusammenhang: Sie war ihm in einer Social Community aufgefallen. Einige Formulierungen in ihrem Profiltext hatten ihn neugierig gemacht und er hatte sie angeschrieben. Der witzige und leichtfüßige Email-Wechsel, der sich dann entwickelte , hatte ihre Phantasie gereizt – aber jetzt, bei ihrem ersten Treffen, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass DIESER gesetzte Herr tatsächlich der Verfasser dieser Mails gewesen sein sollte. Nun gut, dachte sie... dann wird es wohl bei dem geschäftlichen Kontakt bleiben - .Aber dann kam alles ganz anders – denn er lächelte. Und damit knipste er in ihrer Seele das Licht an – nur durch dieses Lächeln. ..Alles um sie herum wirkte plötzlich viel heller und wärmer -. Eigentlich wusste sie doch gar nichts von diesem Mann, kannte nur seine Mails – aber plötzlich erschien er ihr so vertraut, als ob sie einander schon seit Urzeiten kennen würden. Und so nahm diese Begegnung eine Wendung, die sie wohl beide nicht erwartet hatten:
Aus dem Engagement wurde nichts – aber es begann eine innige und zärtliche Freundschaft, die mehr als zwölf Jahre hielt – bis sie durch seinem tödichen Unfall ein jähes und brutales Ende fand.
Als sie von seinem Tod erfuhr, war es, als zöge ihr jemand den Boden unter den Füßen weg. Um einen Halt zu finden, begann sie, Tagebuch zu führen und ihre Erinnerungen an ihn aufzuschreiben.„ Wie hat es damals angefangen? Wie kam es, dass ich mich in ihn verliebte habe und irgendwann begann, ihn zu lieben?“
„Ich bin ein Mann auf den Zweiten Blick“, hatte er einmal lachend gesagt, als sie ihn fragte, wie er sich selber beschreiben würde. Ein Mann auf den Zweiten Blick.... das stimmte aufs Haar. Aber was machte ihn so faszinierend? War es sein Charme? War es seine freundliche Zugewandheit, mit der er seinem Gegenüber das Gefühl gab, wichtig und einmalig zu sein ? „Er war ein Seelenfänger...“ sagte ihr später eine Frau, die ihn schon seit Jahrzehnten kannte.. „Wenn er mit jemandem zusammenarbeiten wollte, konnte er die betreffende Person um den Kleinen Finger wickeln.“ Manche Leute nennen so etwas „Charisma“ - aber es war wohl mehr als das: Dieser Mann liebte das Leben – und er strahlte eine fröhliche Menschenliebe aus, die ihn auch in scheinbar unleidlichen Zeitgenossen etwas Positives finden ließ . Oder war es seine Religiösität? So etwas wie praktizierte christliche Nächstenliebe? Als sie sich schon etwas länger kannten, erzählte er ihr einmal, er sei in seiner Jugend Ministrant gewesen und habe ursprünglich Priester werden wollen. Aber der Gedanke an den Zölibat habe ihn abgeschreckt.
In ihrem ersten Gespräch spielte das alles natürlich noch keine Rolle. Sie war in seiner Gegenwart sehr schnell aufgetaut, hatte Vertrauen zu ihm gefasst und natürlich versucht, zu glänzen – hatte ihre Kenntnisse über Cabaret und Satire hervorgeholt und ihm ein verlockendes Programm vorgestellt, zu dem er eigentlich nur noch „ja“ sagen musste – und das Engagement wäre perfekt gewesen.
Er nahm die Unterlagen, die sie mitgebracht hatte, an sich und sagte, er müsse zunächst einmal mit seinen Vorstandskollegen darüber sprechen – aber er werde sie auf jeden Fall im

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Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden

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