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Auge behalten. Dann redeten sie über andere Dinge – er fragte sie nach ihrem beruflichen Werdegang und sie erzählte von ihrer Erwerbslosigkeit und der Schwierigkeit, als Künstlerin Fuß zu fassen. Er hörte aufmerksam zu - mit jenem freundlichen Interesse, das für ihn charakteristisch war und das mehr signalisierte als pure Höflichkeit . Irgendwann sagte sie spontan: „Ich fühle mich unglaublich wohl in Deiner Nähe – das könnte meinetwegen immer so weitergehen. Ich habe Vertrauen zu dir – obwohl wir uns doch kaum kennen...“ Das sei ein großes Kompliment , erwiderte er – sie plänkelten noch ein bisschen herum, wie sie es von ihren E-Mail-Wechseln gewohnt waren und dann sagte er mit einem spitzbübischen Lächeln: „Aber nicht verlieben....“ - und sie lachten beide... Sich verlieben... nein... das hatte sie nicht vor – sie hatte noch genug vom letzten Mal – von dieser aussichtslosen und deprimierenden Obsession für einen ehemaligen Arbeitskollegen, die sie abgewiesen hatte. „Nein danke – vom Verlieben habe ich die Nase voll...“ sagte sie ziemlich brüsk. „Habe ich dich gekränkt?“ fragte er jetzt leise und behutsam.... und da brach es aus ihr heraus... diese ständige Angst, abgewiesen zu werden, nicht gesehen zu werden... „Ich glaube, wir sollten irgendwohin gehen wo es ein bisschen ruhiger ist.“ sagte er, als sie kurz Luft holte. „Hier hören mir zu viele Leute zu...“ Sie verließen das Restaurant und sie lotste ihn an einen ruhigen Platz im Grünen. Dort setzten sie das Gespräch fort – und in ihr wuchs der Wunsch nach mehr... sie spürte, dass sie ihn WOLLTE – diesen „Mann auf den Zweiten Blick“. War es seine Art, zuzuhören – ohne Kommentare und Ratschläge von sich zu geben? War es sein Lächeln... oder die zärtliche Berührung, als er ihr irgendwann über das Gesicht strich? Sie erwiderte seine Zärtlichkeit und wurde dabei ein bisschen massiver, als „man“ es von einer „anständigen Frau“ erwartet.
Er reagierte mit einer Mischung aus gespieltem Schockiert-Sein, Neugierde und Amüsement und wehrte behutsam ab . Später gestand er ihr, dass er sofort fasziniert gewesen sei von ihrer offensiven und herausfordernden Art.
Das hatte ihn zunächst am meisten gereizt – ihre unverholene sexuelle Freizügigkeit. Anscheinend war sie in seinen Augen die leibhaftige Verkörperung all der Männerphantasien, in denen die sexuell aktive und herausfordernde Frau eine Rolle spielt...
Wenige Wochen später begegnete sie ihm wieder - bei einer Veranstaltung über Unternehmensethik. Sie entdeckte seinen Namen auf der Teilnehmerliste und suchte den Saal nach ihm ab – fand ihn schließlich im intensiven Gespräch mit einem der Referenten. In der Pause sprach sie ihn an – und wie selbstverständlich stieg sie später zu ihm ins Auto. „Schön, dass ich dich wiedersehe...ich glaube, ich mag dich...“, sagte sie zu ihm. Er lachte, legte den Arm um sie und gab ihr einen Kuss. Es war ein kleiner Überfall – aber seine zupackende Art gefiel ihr. Sie war daran gewöhnt, selber die Initiative zu ergreifen und Zärtlichkeiten einzufordern – dass jemand sie küsste, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, hatte sie noch nie erlebt. Zwischen ihnen beiden knisterte es, sie merkte, dass er genau so viel Lust auf sie hatte, wie sie auf ihn... schließlich landeten sie in einem Motel in der Nähe der Autobahnauffahrt Rheda-Wiedenbrück. Er war behutsam, zärtlich, verspielt – und gleichzeitig fordernd … „Sehe ich dich wieder?“ frage sie, als er sie später in der Gütersloher Innenstadt absetzte. Er lächelte und antwortete :“Vielleicht...:“ Später schrieb er :
„Schön war, wie wir mit einander kuschelten. Das Gefühl, dir Behütung geben zu können hat mich sehr glücklich gemacht. ….“
Das Wort „Behütung“ rührte sie – sprach eine nie eingestandene Sehnsucht in ihr an....sie gab dieser Sehnsucht nach und hielt die Verbindung....
Kurz darauf besuchte er sie, als sie einige Tage Strohwitwe war. Er kam – ganz der seriöse Besucher - mit einem Blumenstrauß. Sie hatte im Wohnzimmer den Teetisch gedeckt – irgendwann kniete sie sich neben seinen Stuhl, legte die Arme um ihn und küsste ihn – und plötzlich lagen sie eng in einander verschlungen auf dem Teppich.
Danach schämte er sich zunächst für den „Überfall“ – aber als sie ihm sagte, wie sehr sie es genossen hatte, schrieb er ihr: „So wie Du für mich, muß Cleopatra für Caesar gewesen sein....“. Von da an nannte er sie „Cleo“ und sie ihn „Caesar Imperator“. Später, als sie seine spirituelle Ader entdeckte, kam der Name „Merlin“ dazu..
Irgendwann entdeckte sie in einem Antiquariat eine illustrierte Ausgabe von Johann Wolfgang von Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. Dieses Gedicht hatte sie schon immer geliebt – sie kaufte das Buch und schickte es ihm in die Firma. Das kleine Geschenk wurde prägend für die Privatsprache die sie für einander erfanden, denn Goethe nennt den eigenwilligen Kleinen Kollegen des Mannes, der sich ja nicht immer so verhält wie sein Eigentümer es erwartet „Meister Iste“. Diese Bezeichnung übernahm ER, kürzte den Namen mit M.I. ab – und immer wenn er Sehnsucht nach ihr hatte, schrieb er „M.I. will zu Muschi“.
Sie sahen einander selten und schrieben sich oft. Und diese Mails wurden im Laufe der Zeit inniger und zärtlicher. Was zunächst nur ein erotisches Herumgeplänkel voller witziger Anspielungen gewesen war, gewann schnell an Tiefe, wurde geprägt von ihrer Sehnsucht nach Geborgenheit und von seiner Sehnsucht nach Verstanden-Werden.
Der Sommer 2004 war sonnig und warm und sie war viel unterwegs. Einerseits weil sie versuchte, sich mit einer ausgefallenen Geschäftsidee selbständig zu machen – andererseits weil sie anfing, ihre sexuelle Anziehungskraft auszuloten. An vier Vormittagen in der Woche fuhr sie nach Bielefeld und setzte sich im Dachgeschoss eines Einfamilienhauses vor die Webcam. Dieser Job gefiel ihr – auch wenn sie nur selten aufgerufen wurde. Sie genoss das Prickelnde der Situation, das gefahrlose Spielen mit den Unbekannten, die sie nie persönlich kennen lernen würde, das Begehren, das sie hervorrief.
Ab und zu verabredeten sie sich , wenn er Feierabend hatte und seine Zeit es zuließ – suchten sich einen unbeobachteten Platz und liebten sich im Freien – im Schutz hoher Bäume,
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Der Bilderzyklus von dem in diesen Aufzeichnungen die Rede ist, kann auf der Facebook-Seite "Eros und Thanatos - Liebe und Tod" eingesehen werden