Das Volk der Fugoten - eine Erzählung - Page 14

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von Volker Schlepütz

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Blickkontakt zu einem anderen Fugoten und auch das Fingerspiel unterblieb. Sie waren sich darüber im Klaren, dass sie auf keinen weiteren Fugoten verzichten konnten, deswegen ließen sie die Demütigungen über sich ergehen. Dann aber brach Hugo Blumenthal vor Erschöpfung zusammen. Er war im Zelt 3 registriert und war ein Mineraloge. Er kannte sich mit seltenen Erden aus und war für die Regierung im ersten Ressourcenkrieg dafür zuständig, seltene Erden für Kriegszwecke nutzbar zu machen. Sofort stürmte ein Mann mit schwarzem Anzug auf den Platz und lief zu dem im Matsch liegenden Fugoten hin.
Aufstehen, sofort aufstehen, habe ich gesagt. Doch Hugo war zu schwach, er versuchte, seinen Körper auf die Knie zu stemmen, doch seine Füße rutschten immer im glitschigen Schlamm weg. Schon fing der Mann im schwarzen Anzug an zu lachen. Wie eine Schildkröte auf dem Rücken siehst du aus, du lausiger Schneemann, warte ich helfe dir. Dann zog er aus einem Halfter, der in dem Hosengürtel eingenäht war, einen Prügelstab hervor und schlug im mehrfach auf die Füße.
Diese Füße hier sollen nicht ausrutschen, hast du verstanden, Schneemännlein, diese Füße nicht.
Und wieder schleuderte er den Stock auf die Knöchel, dass sie blau anliefen. Aber es half nichts, Hugo spürte zwar keinen Schmerz, aber der Boden war einfach zu glitschig. Immer wieder viel er in den Matsch zurück. Dann steckte der Mann im schwarzen Anzug den Knüppel wieder in den Halfter zurück und drückte sein Knie auf den Nacken, so dass Hugos Gesicht im Matsch versank, und er zu ersticken drohte. Nach zwei Minuten der Tortur sprang der achtjährige Victor in die Höhe und schrie:
Aufhören!, wenn dieser Mann stirbt, wird die Straße niemals fertig, denn er ist Tiefbauingenieur und hat Erfahrung damit, einen Straße durch den Wald zu treiben.
Wie durch Knopfdruck schnellte der Kopf des Mannes mit dem schwarzen Anzug zu dem Jungen.
Was hast du gesagt?? Blaffte er den Jungen Victor an. Tiefbauingenieur? Der Krüppel hier, der es nicht einmal schafft, aus dem Matsch aufzustehen, soll derjenige sein, von dem es abhängt, ob die Straße zügig fertig wird? Dieser Wurm hier wird überhaupt keine Straße mehr bauen, mein Junge, jetzt erst recht nicht mehr.
Doch Victor setzte nach: Du schwarzer Mann kannst uns gerne alle töten, denn du bist böse, so böse, wie der Satan in Person. Du wirst in der Hölle landen, das ist dir sicher. Töte nur alle und ihr werden sehen, was ihr davon habt. Wir sind das ausgewählte Volk, ob es dir passt oder nicht, Schwarzer Mann.
Plötzlich ließ der Mann im schwarzen Anzug von Hugo ab, der nach Luft röchelnd sein Gesicht aus dem Schlamm zog und versuchte, den Matsch auszuspeien. Er war sichtlich beeindruckt von dem mutigen Knaben.
Komm mal her Junge, wie heißt Du?
Viktor und wie heißt Du, schwarzer Mann?
Du machst mir Spaß, wirklich, mein Junge. Habt ihr gehört, ihr Schneemänner? Sein Name ist Viktor, Viktor, der Sieger, der hat Mut. Nicht so wie ihr, ihr steht da rum und seht zu, wie euer Schneemanngenosse hier zu Tode gewürgt wird. Ihr seid Feiglinge, aber Victor, der macht mir Spaß, komm mit, Viktor, wir werden dir ein paar Früchte und einen Saft geben, damit du zu Kräften kommst.
Dann fasste er ihn am Arm und schleppte ihn ins Verwaltungsgebäude. Victor schrie und versuchte sich zu befreien, doch er hatte keine Chance gegen die Übermacht des schwarzen Hünen.
Hugo würgte noch eine Weile und spie dabei immer wieder kleine Schlammbrocken aus der Lunge, bis er erschöpft im Schlamm liegenblieb. Immer noch rührte sich keiner der anderen Fugoten. Nach einer Weile kam auch Victor wieder aus dem Verwaltungsgebäude zurück und reihte sich wieder unter sein Volk. Endlich hörte auch der Regen auf. Die Männer mit den schwarzen Anzügen kamen aus dem Verwaltungsgebäude und warfen den Fugoten Handtücher zu, mit denen sie sich trockenreiben konnten. Das war wohl die humanste Geste der Schwarzmänner, die ihnen an diesem Tag zu Teil wurde. Sie wurden nun in vier Gruppen eingeteilt, denn der Bau der Straße sollte so schnell wie möglich erfolgen. Die Regierung hatte dazu keine konkreten Vorgaben gemacht, sondern den Männern vor Ort sollte eine effiziente Arbeitseinteilung vornehmen. So hatten die Anzugmänner beschlossen, die noch verbliebenen 176 Fugoten in zwei Kolonnen zu je 88 Arbeiter einzuteilen, die jeweils zwölf Stunden am Bau der Straße arbeiten sollten. Dabei sollten Frauen, Männer und Kinder gleichmäßig auf die Kolonnen verteilt werden. Dazu hatten sie während es Regens im Verwaltungsgebäude aus der Registratur Listen angefertigt. Sie riefen nun nacheinander die Fugoten auf und teilten sie in zwei Kolonnen ein. In jeder Kolonne befanden sich zwischen 20 und 24 Kinder, 40 Männer und 16 bis 20 Frauen. Jedem Fugten in der Kolonne war eine Aufgabe zugeteilt worden. So sollte pro Tag eine fünf Meter breite und 50 Meter lange Schneise durch den Wald geschlagen werden. Die Arbeitsschritte waren sorgfältig geplant. Zunächst sollten die Bäume gefällt werden, die sich innerhalb der 250 Quadratmeter befanden. Das waren im Durchschnitt bei der Dichte des Waldes zehn Bäume. Die Männer mussten die Bäume fällen und den Stamm auf 10 Meter Länge zuschneiden. Diese bildeten dann die äußeren Begrenzungen der Straße. Die Frauen und Kinder hatten die Aufgabe, die gefällten Bäume von Ästen zu befreien, so dass der Baumstamm frei von Geäst war. Waren die Baumstämme verlegt, musste die Fläche zwischen den Baumstämmen mit Sand und Schotter aufgefüllt werden. Dazu kamen jede Woche Lastwagen aus dem Steinbruch, wo Häftlinge aus dem ganzen Land Steine zerschlugen, und luden den Schotter ab. Die Steine mussten in kleine Haufen verteilt werden. Mit Schaufeln sollten sie groß verteilt werden. Am Ende stand die körperlich schwerste Arbeit an. Ein vier Meter langer Stahl-T-Träger sollte auf längs zur Schneise gelegten Eisenträgern entlanggezogen werden, um eine ebene Schotterfläche zu schaffen. Die Teerung der Straße bildete dann den Abschluss der Arbeit an der Straße. Aber bis dahin war es noch ein langer Weg. Insgesamt sollte auf diese Weise die Straße zunächst bis zum Munitionslager geschlagen werden. Vom aktuellen Standort aus waren bis dorthin noch einhundert Kilometer Straße zu verlegen. Die Bauzeit würde also noch mehr als anderthalb

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