Gefährlicher Sommer (Teil 7) - Page 4

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Kröger heute Abend reagieren würde. Bekäme er wie Knut einen Tobsuchtsanfall? Als ich mich auf jene Stun­den, in denen sich Knut unangemessen abreagierte, zu­rückbesann, wurde mir ziemlich flau im Magen. Letztes Jahr gab es nämlich zwei Übeltäterinnen, wie Dir hoffentlich noch im Gedächnis geblieben ist, liebe Christine, nämlich wir beide; aber nur eine Übeltäterin wurde hart bestraft – näm­lich ich. Erinnere dich bitte:
Knut kam hunde­müde vom Feld, verschmähte Lenis liebevoll zubereitetes Abendbrot, und wollte nichts anderes als schlafen, selbstverständlich in seinem Pyjama. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sein Gezeter bis in Tante Agnes' Haus gedrungen wäre. Frau Brandner und Leni la­gen bereits in ihren Betten. Im Gutshaus war es totenstill. Draußen hatte sich der Däm­mer eingenistet und die Landschaft in ein mausgraues Seidentuch ge­hüllt. Heimlich wie ein Räuber in der Nacht war er in den Park eingedrungen, in die kleinen Lauben, die mit üppigem Rankengestrüpp umgeben waren und in die mit Schlehdorn­sträuchern zugewachsenen Pfade. Durch die Zweige der hohen Tannen am Waldsaum rie­selte das silberne Licht des Mondes herab, der die Abendwolken be­zwungen hatte, und von den Häusern des tannenumsäumten Dorfes funkelten die ersten Lichter herüber. Der Duft der Linden im Park strömte durch das offene Fenster meiner Kammer und ver­strömte sein süß duftendes Parfüm.
Ein riesiger Falter war vom Schein der Nachtischlampe herbeigelockt worden und durch das offene Fenster geflogen. Er taumelte von Wand zu Wand und schlug je­des Mal auf wie diese leichten bunten Stoffbälle vom Jahrmarkt. Auf der wei­ßen Zimmerdeckte geisterte sein Schatten umher.
Ich stand einsam am Fenster, auf dessen äußerem Sims ein paar Efeuranken wuchsen, wartete auf Knuts Heimkehr, und sah auf Tante Agnes' Grundstück hinab, über dem die gigantischen Schatten der Dämmerung lagen. Das Abend­rot war längst verblasst und über den Bäumen hauste schon fast tiefe Dunkel­heit. Die grüne Regenrinne lag halb hinter den üppigen Weinranken verborgen, die mitt­lerweile um das ganze Häuschen herum sprossen und die winzigen Risse im Mau­erwerk verbargen, als wollten sie das kleine Backsteingebäude vor dem Einsturz bewahren. Längs des Jägerzauns, der das Grundstück zum Park abgrenzte, wuchsen eine Reihe gelber Windröschen, die sich sogar noch in der Dämmerung von dem dunklen Grün der mächtigen Tannen abhoben. Die kleine Hintertür im Garten stand weit ge­öffnet, als erwartete Tante Agnes, die sicher schon selig schlummerte, einen späten Gast. Ein seichter Wind war aufgekommen, und Leos schneeweiße Windeln flatterten auf der Wäsche­leine wie Friedensfahnen hin und her. Die Türme der großen Ritterburg, die wir mit ihm gebaut hatten, ragten stolz aus dem Sandkasten empor. Kleine bunte Eimer, Schaufeln und Backformen la­gen verstreut neben dem imposanten Bauwerk und schimmerten im Dämmerlicht wie die Lichtsignale der Feuerfliegen. Leos win­zige Sanda­len und Tante Agnes' riesige alte Holzpanti­nen standen in aller Eintracht nebenein­ander unter der Sitzbank vor dem Haus, und eine gewisse Christine Lakoda lag vermutlich in einem der hinteren Zimmer des ein wenig windschiefen, dem un­widerstehlichen Mohn der benachbarten Felder zugeneigten Gebäudes und schlief tief und fest, ohne sich das geringste Gewissen zu machen.
Der Tag war schwül gewesen, und ich befürchte­te, dass ein schweres Gewit­ter herauf­ziehen könnte. In diesem Augenblick ertönte das Geräusch eilen­der, polternder Schritte, und im nächsten Moment fing Knut auch schon an zu brüllen. Blitz und Donner hätten mich nicht heftiger erschrecken können. Ein schweres Dröhnen erfüllte das stattliche Haus. Es hörte sich schauderhaft an. So wütend hatte ich Knut noch nie erlebt.
Zwischen seinen wilden Flüchen wurden etliche Türen zugeknallt. Die Wän­de des alten Gemäuers erbebten fast so stark wie ich.
Sooo viele Zimmer gibt es doch gar nicht im ersten Stock, war mein letzter Gedanke, bevor das Ge­räusch schwerer Schritte vor meiner Kammer verebbte. Ich hechtete zur Tür, drehte in Windeseile und mit zitternden Händen den Schlüssel herum, sprang mit einem riesigen Satz ins Bett und zog mir die Decke weit über den Kopf. Ich bekam gerade noch mit, dass jemand wie ein Berserker an der Messing­klinke meiner Tür rüttelte.

Nachdem Knut sich beruhigt und offenbar gewillt schien, seine Rache zu vertagen, lag ich noch lan­ge wach und lauschte mit offenen Augen auf die Geräusche der Nacht. Ich war weit davon entfernt, in einen angenehmen Schlummer zu fallen. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sich tief in mein Bewusstsein eingegraben, und ich ver­nahm mit Entsetzen den ersten Hahnenschrei, bevor ich – endlich – ins Tal der wilden Träume fiel. Hoffentlich verpasse ich Omas Frühstück nicht, war mein letzter Gedan­ke.

Mich weckte damals am nächsten Morgen ein warmer Sonnenstrahl, der schräg durch das hohe Fenster fiel und keck um meine Nase strich. Obgleich ich ahnte, dass mir an diesem Tag nichts Gutes bevorstand und auf das Schlimmste gefasst war, stand ich so­fort auf, trödelte jedoch nach der Morgen­wäsche noch lange im Zimmer herum.
Als ich die Treppe hinuntergeschlichen war und mich an der Küche vorbeidrücken wollte, tauchte Leni im Tür­rahmen auf.
„Stehenbleiben! Auf der Stelle!“, befahl sie mit barscher Stimme.
Ich kuschte wie ein braver Hund.
„Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht?“, schrie Leni zor­nig und schaute demonstrativ zum ersten Stock, wo Frau Brand­ners Wohnzimmer lag, empor. „Spielt man hart arbei­tenden Menschen solch däm­lichen Streiche?
Ist das bei euch in der Stadt so Sitte, Katja?“
Dann zog sie mich in die Küche, schloss die Tür und fing an zu lachen. Tränen über Tränen rannen über ihre faltigen Wangen. Immer neue Aus­brüche schüttelten ihren rundlichen kleinen Körper. Mir war überhaupt nicht zum Lachen zumute. Ich fand un­seren Streich mit einem Mal gar nicht mehr komisch, liebe Christine, zu­mal alle Anzeichen dafür sprachen, dass ich die Suppe auslöffeln sollte, ich ganz allein, obgleich die Idee mit dem Schlafan­zug eigentlich von dir kam. Selbstverständlich habe ich dich nicht verpetzt und alle Schuld auf mich genommen.
Endlich kam Leni zur Vernunft und fand ihre Sprache wieder. Sie war völlig atemlos vor lauter Lachen (wie kann man sich derart verausgaben ...), während ich mit todernstem Gesicht vor ihr stand. Mein Sinn für diese Art von Humor schien mir in jenem Moment völlig abhanden ge­kommen zu sein.
„Die Gnädigste“, begann Leni, weiß Bescheid. Sie nahm erneut die Zimmer­decke ins Visier, als habe die Gutsherrin Augen und Ohren wie ein Luchs

Die Armleuchteralgen (Charophyceae oder Charales), die ganz am Schluss dieses Kapitels auftreten, sind eine weltweit verbreitete, phylogenetisch urtümliche Organismengruppe von Wasser„pflanzen“. Armleuchteralgen werden zwar manchmal zu den Grünalgen gezählt, haben mit diesen aber nur die Assimilationspigmente und Reservestoffe gemein. Ihr Habitus ähnelt eher höheren Blütenpflanzen (vor allem dem Hornblatt, Ceratophyllum). Mit ihrem Aufbau und ihren Fortpflanzungsorganen stehen Armleuchteralgen im System der heutigen Lebewesen als eine isolierte Gruppe. Phylogenetisch betrachtet gelten sie als Schwestertaxon der Pflanzen. Der wissenschaftliche Name wurde vom lateinischen chara (= eine bestimmte Knollenfrucht von bitterem Geschmack) abgeleitet. Diesen hat Carl von Linné im Jahr 1763 geprägt. Ihren deutschen Namen verdanken sie der Anordnung der Quirläste und der darauf sitzenden Gametangien; diese erinnert an einen vielarmigen Kerzenleuchter (aus Wikipedia).

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Kommentare

07. Aug 2017

Stets bleibt der Leser voll dabei -
Quasi vom ersten Hahnenschrei!
(Das Schlamm-Bad gefiel Krause gut -
Bei Wasser kriegt sie ständig Wut ...)

LG Axel

07. Aug 2017

Dank, Axel, dir, für deinen Kommentar,
die krause Bertha auch im Schlammbad war?
Das ging ihr wohl gerade nur bis an die Knie.
Versinken im Morast hingegen wird die Krause nie.

LG Annelie

07. Aug 2017

Dieser Hahnengesang!!! ... und auch sonst, vor allem die Collage, du hast Talent und eine blühende Phantasie, Annelie.

Liebe Grüße - Marie

07. Aug 2017

Liebe Marie, ich gebe zu, dass ich mir einiges "aus den Fingern gesogen" habe. Aber Leni darfst du dir genauso vorstellen, wie ich sie geschildert habe - im übrigen auch dieses Jagdzimmer, und die Hosenbeine und Ärmel eines gutverwalterlichen Schlafanzugs haben Christine und ich tatsächlich einmal zugenäht. Allerdings fiel die Rache nicht ganz so fies aus. Danke dir ganz herzlich fürs Lesen.

Liebe Grüße und einen wunderschönen Tag,
dort, wo du gerade weilst,

LG Annelie

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