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er selbst einen Hauch der Züge im Gesicht trug. Waren sie einander so nah, dass ihn ebenfalls die Sucht befallen konnte, welche den Onkel einsam auf seiner Lagerstatt sterben ließ? Hatte Johannes Brack vielleicht doch Recht, dass es sein Schicksal sein mochte? Niels graute es vor dem Gedanken. Sein Leben lag noch vor ihm, ihn sollten dereinst Menschen betrauern und ihm Glück auf seiner weiten Reise wünschen. Niemals konnte das Gold es ihm ersetzen.
„Es ist genug“, sagte er nach einer Weile und sah zu dem Priester hinüber. „Mein Vater ist bei der Innung. Wenn er heimkehrt, bespricht er mit euch das Begräbnis.“
„Der Leib Rungberts wird bestattet, die Seele aber ist schon weit hinauf auf der Leiter des Lichts gestiegen“, entgegnete der Priester salbungsvoll.
Niels erwiderte nichts darauf. Er wandte sich um und verließ das Zimmer, welches er nie wieder zu betreten gedachte.
6
Der Regen war stärker geworden und Wind kam auf, dass bald ein Sturm folgen mochte. Niels kämpfte sich gegen die Gewalt der Natur nur langsam vor. Als er den Markt schließlich erreichte, wartete Johannes Brack in der Verkaufshalle bereits auf seinen Sohn.
„Wo bist du gewesen?“ rief er Niels ungeduldig entgegen, der ihm durch die Verkaufshalle entgegenkam.
„Der Oheim ist gestorben“, sagte der Sohn.
„So ist es geschehen. Möge seine Seele friedlich ruhen“, sprach Johannes Brack und senkte das Haupt. Doch nur für einen Augenblick. Dann sprach er weiter.
„Nun sind wir es, die sich um den Handel kümmern müssen. Wo auch immer du dich aufhieltest, als die Nachricht dich erreichte. Du warst jedenfalls nicht hier an unserem Stand.“
„Ich war unten am Hafen“, entgegnete der Jüngling.
„Hier warten die Geschäfte und du gehst Vergnügungen nach“, tadelte ihn der Vater. Doch Niels ging nicht darauf ein.
„Ich vernahm dort bedrohliche Geschichten.“
Daraufhin berichtete er von seinem Zusammentreffen mit dem Seemann und dessen Erzählung von der Wasserfrau, die der Stadt angeblich erschienen war.
„Ich habe davon gehört“, bestätigte Johannes Brack. „In der Innung wurde darüber gesprochen.“
„So ist es wahr?“ fragte Niels.
„Natürlich“, entgegnete der Vater. „Alle Bewohner haben es ja gesehen. Es wurde viel darüber diskutiert. Doch ist auch dies nichts weiter als Aberglaube der Furcht. Wasserfrauen sind bekannt dafür, dass sie den Menschen wohlgesonnen sind. Sie schützen uns vor den Gefahren und verheißen kein Übel.“
„Was soll es dann bedeuten?“ fragte Niels.
„Zweifellos war es eine Warnung, um uns beizustehen. Der Rat kam überein, dass die einzige Gefahr, welche Vineta sich ständig ausgesetzt sieht, die Schweden sind. Von je her trachten sie danach, uns die Schätze zu rauben. Seit einigen Wochen geht bereits das Gerücht, dass die Schweden einen Überall planen. Daraufhin schickte die Innung einige Spione nach Gothland, um in Erfahrung zu bringen, was sie vorhaben mögen.“
„Und was geschah danach?“ wollte Niels wissen.
„Gerade heute zur frühen Stunde kam ein Bote zurück und berichtete, dass zwei Dutzend Schiffe den Hafen verlassen haben. Zweifellos segeln sie hierher nach Vineta, um uns anzugreifen.“
„So zieht Gefahr herauf“, nickte Niels.
„Dies war es, worüber wir heute Morgen in der Innung beraten haben. Es handelt sich um eine ernsthafte Bedrohung.“
Johannes Brack schwieg und sah hinaus in den Regen, der inzwischen dichter geworden war. Niels aber, in seinem jugendlichen Überschwang, rief:
„So lasst uns etwas tun!“
Der Händler wandte seinen Kopf dem jungen Mann zu und lächelte.
„Ich sehe, dass du mein Sohn bist. Nichts anderes habe ich von dir erwartet. Von der Landseite aus ist Vineta nicht einzunehmen. Doch vierundzwanzig Schiffen, welche über das Meer kommen, können wir uns nicht erwehren. Dafür sind wir derzeit zu schwach. Der größte Teil unserer Flotte ist unterwegs, um Handel zu treiben. Die einzige Hoffnung trägt der Sturm, welcher auf der See wohl toben mag und die Schweden zur Umkehr zwingen könnte. Doch befürchte ich, dass diese erfahrenen Seeleute sich nicht so leicht von ihren Vorhaben abbringen lassen.“
„So lasst uns Hilfe holen“, schlug Niels vor.
„Auch darüber sprachen wir im Rat. In Loddin gibt es genug Männer, dass wir die Stadt verteidigen könnten. Wir müssen jemanden dorthin schicken, dass sie spätestens in zwei Tagen hier sind.“
„Ich will es tun!“ rief Niels erneut.
Die Aussicht auf das freie Land und ein Abenteuer berauschte ihn.
„Glaubst du, Loddin rechtzeitig erreichen zu können?“ fragte Johannes Brack. „Und willst du es tatsächlich wagen? Ich muss gestehen, dass auch mir der Gedanke bereits gekommen ist und ich es der Innung vorschlug. Du bist von meinem Blut. Nichts kann dir einen besseren Ruf in Vineta einbringen als dieser Ritt zur Rettung.“
„So gebt mir ein Pferd und noch in dieser Stunde will ich aufbrechen!“ entgegnete Niels eifrig.
„Melchior Thesis besitzt das beste Tier der Stadt und erklärte sich bereit, es dem Mann zur Verfügung zu stellen, der diesen Ritt wagen will.“
„So hat er ihn gefunden. Führt mich zu seinen Ställen, Vater, und die Rettung ist gewiss.“
Johannes Brack stand seinem Sohn gegenüber und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Ich bin sehr stolz auf dich und gebe dir meinen Segen für dieses Wagnis, dass du für Vineta eingehen willst. Ich bin sicher, dass wir mit dieser Hilfe der Gefahr begegnen können. Wenn du heimkehrst, werden wir die Geschäfte übernehmen und ausdehnen, was deine kühnsten Vorstellungen übertreffen mag.“
Doch Niels schüttelte den Kopf.
„Die Schweden sind's, gegen die wir uns erwehren müssen. Doch dann bitte ich euch, lasst uns diesen Ort verlassen. Im Golde finden wir nicht unser Glück. Den Menschen sollten unsere Gedanken gelten“, sagte er.
„Welch Torheit höre ich aus deinem Mund!“ rief der Vater erschrocken aus. „Natürlich sind es die Menschen, um die wir uns kümmern. Die Welt dreht sich um das Geschäft, und willst du einst eine Dame freien, so wirst du spüren, wie schwer es ist, ihr alles geben zu können, was sie verdient. Doch lass uns darüber nach deiner erfolgreichen Rückkehr sprechen. Eile nun, mein Sohn, und reite flugs nach Loddin, dass die Hilfe früher als die Schiffe der Schweden kommen mag. In Gedanken bin ich bei dir.“
Johannes Brack beugte sich zu seinem Sohn hinüber und nahm ihn Arm.
„Verzeiht mir, Vater“, flüsterte Niels. Der Alte aber reagierte nicht darauf, ließ den Sohn los und stieß ihn in Richtung des Ausgangs. Kaum trat Niels wieder auf den offenen Marktplatz hinaus, peitschte ihm der Regen ins