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die erste Stiege. Er hielt inne und wandte sich noch einmal um, als müsse er etwas erklären.
„Herr Rungbert ist sehr schwach und manchmal schwindet ihm der Geist. Doch hoffe ich, dass er nun bei klarem Verstand ist“, sagte er.
„So lasst uns hinauf“, entgegnete Johannes Brack.
Niels roch den Brand der Fackeln und dazwischen den süßlich warmen Geruch der Pelze. Ihn, der das freie Atmen gewohnt war, bedrückte dieses Gefühl der Enge. Sein Vater aber schien darin aufzuleben. Sein Schritt war fest und entschlossen geworden. Er zögerte keinen Augenblick. Selbst das Knarren der Dielen schien ihm nicht fremd. Schon als Kind war er daran gewöhnt. Für Niels war dies eine neue Welt und nun, nachdem er sie betreten hatte, war er nicht sicher, ob er sie mochte.
Oben im Stockwerk führte ein schmaler Gang quer durch das Haus. Eine Vielzahl von Türen reihte sich dort aneinander. Hier befanden sich die Zimmer der Bewohner. Selbst die Angestellten mochten ihre Lagerstatt dort finden. Am Ende des Ganges blieb Nurmi stehen und öffnete die letzte Tür, so behutsam er es vermochte. Wie in der Halle des Untergeschosses hatte der Hausherr auch in diesem Gang auf jegliches Schmuckwerk verzichtet, dass er eher an einen Tunnelgang erinnerte. In diesem Haus beherrschten Pelze die Gedanken, dass Verzierungen als Ablenkung vom Wesentlichen vermutet werden konnten. Rungbert schien sich nichts daraus zu machen, seinen Wohlstand vorzuzeigen; doch als Nurmi die Hand auf den Türknauf legte, bemerkte Nurmi, dass dieser aus feinstem Silber geschmiedet worden war. Auch er trug zierliche Ornamente edelster Handwerkskunst.
„Sieh, Vater“, sagte Niels und deutete auf den Knauf. Johannes Brack sah kaum hin.
„Sie wurden von Jan Lusing angefertigt. Er war der Schwager deines Großvaters und Kunstschmied“, entgegnete er knapp und drängte weiter.
Nurmi aber war stehen geblieben und lauschte einen Augenblick in das Zimmer. Als er nichts vernahm, trat er ein.
Im Raum war es noch finsterer als zuvor in der Halle. Die Fensterläden waren verschlossen. Kaum ein Lichtstrahl vermochte hereinzudringen. Auch die Fackel an der Wand brannte nicht, dass die Gestalt auf der Lagerstatt nur schwer zu erkennen war. Nurmi trat zu dem Fenster hinüber und öffnete einen der Läden, dass zumindest ein schmaler Schein der Sonne in das Zimmer zu strömen vermochte.
„Seht, wen ich euch gebracht habe“, sagte Nurmi, und in seiner Stimme klang ein Hauch von Fröhlichkeit.
Die Gestalt auf dem Lager stöhnte, doch regte sie sich kaum. Immerhin schlug sie die Augen auf und stierte auf die Eingetretenen.
„Euer Bruder Johannes ist's. So lange Jahre war er fort“, sagte Nurmi, nicht sicher, ob der Kranke die Besucher zu erkennen vermochte.
Der Name löste eine Regung in der Gestalt aus. Sie stöhnte erneut auf und wandte sich nun mehr den Eingetretenen zu. Im fahlen Licht, welches durch das Fenster hereinströmte, sah Niels das Gesicht eines Mannes, der am Rande des Todes wandelte. Die Wangen wirkten ausgezehrt und eingefallen. Am Hals zeichneten sich die Adern scharf ab, dass sie herauszuspringen drohten. Bislang hatte Niels geglaubt, sein Vater wäre ein alter Mann. Doch der Anblick des jüngeren Bruders ließ Johannes Brack so vital wie ehedem erscheinen.
„Johannes“, murmelte der Kranke auf seinem Lager, dass die Besucher kaum ihre Stimme vernehmen konnten.
„Ich bin es“, bestätigte der Bruder und trat einen Schritt näher heran. „Und das ist Niels, dein Neffe.“
Er wies auf seinen Begleiter, der sich nicht entscheiden konnte, ob er es dem Vater gleichtun sollte. So blieb er stehen und starrte zu der Gestalt auf dem Lager hinüber. Es war nicht genau zu erkennen, ob Rungbert sich freute. Doch sagte er:
„Verzeih mir.“
„Lass die Vergangenheit ruhen“, entgegnete Johannes und setzte sich neben seinen Bruder auf das Lager. „Noch gar zu viel haben wir zu besprechen.“
Mit diesen Worten wandte er sich um und zeigte seinem Sohn und Nurmi an, dass sie ihn nun mit seinem Bruder allein lassen sollten.
„Kommt“, sagte der Diener und fasste den Jüngling unter den Ellenbogen. „Ihr müsst hungrig sein. Wir haben reichlich Speise und Trank für euch.“
Er führte Niels hinaus. Unten in der Küche, hatte Semi, die Magd, zwei Kelche mit Getränken gefüllt. Niels fiel auf, dass sie ebenfalls aus feinstem Metall bestanden und mit kostbaren Edelsteinen verziert worden waren.
„Ich zeige euch das Speisezimmer. Dort mögt ihr euch niedersetzen und warten, bis Semi euch das Essen bringt“, erklärte Nurmi.
„Die Küche genügt mir vollständig“, entgegnete Niels entschieden.
Der Greis und die Magd schienen überrascht, doch machten sie ihm bereitwillig Platz. Die Ausstattung der Küche war so funktionell, wie sie in solch einem Haus sein musste. In der Ecke sah Niels eine Feuerstelle, über der ein Rauchfang auf das Dach hinaus führte. Die Töpfe hingen an einem Gestänge und links davon lag Gemüse und Getreide in einem Haufen zusammen. In der Mitte des Raumes aber ruhte ein mächtiger Eichentisch, der normalerweise für die Zubereitung der Speisen benutzt wurde, nun jedoch Niels zur Einnahme seiner Mahlzeit diente.
„Ich lasse euch jetzt allein. Es gibt noch viel zu tun“, sagte Nurmi und wandte sich um.
„Seid ihr beiden die einzigen Bediensteten im Hause?“ fragte Niels. „Bislang habe ich niemand weiteren gesehen.“
„Da der Herr krank ist, sind die meisten mit dem Handel beschäftigt. Gerade gestern brach ein Trupp auf, um zwei Wagenladungen Pelze nach Fulda zu bringen. Sie reisen mit anderen Händlern der Stadt, doch der Weg ist gefahrvoll, dass man viele Männer haben und gut bewaffnet sein muss. So sind Semi und ich derzeit die Einzigen, welche das Haus hüten und den Herrn pflegen.“
Der Greis schlurfte hinaus, und die Magd stellte Niels den Kelch auf den Tisch. Als er einen Schluck nahm, bemerkte er den angenehm süßlichen Geschmack des Weines. In allen Gegenden, die er bislang kennengelernt hatte, war er bitter, und manchmal hatte er ihn gar stehen lassen, da er ungenießbar gewesen war.
„Schmeckt euch der Wein?“ fragte Semi.
„Sehr lieblich, dass ich mich beinahe daran gewöhnen könnte“, entgegnete Niels.
„Er kommt aus der Gegend von Pavia. Man sagt, dass dort die Reben besonders gut wachsen.“
Niels lächelte in den Kelch. Dieser Wein war das Beste, was er bislang in diesem düsteren Haus erfahren hatte. Und auch die Magd gefiel ihm. Sie war jung, doch nicht schüchtern, dass es fast