Stadt in Not - Page 2

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von Magnus Gosdek

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von mir ausgezahlt werden. Über Nacht wurde ich der Herr über dreißig Bedienstete, die bei mir arbeiteten und die Waren bis tief ins Land hinein verbrachten. Der Mutter oblag der Haushalt und auch sie befehligte ein Dutzend Mägde, welche uns das Haus sauber hielten. Es sah so aus, als hätte ich mein Glück gemacht.
Doch Rungbert neidete mir das Erbe. Er war durchdrungen von der Gier nach Gold und gab sich mit seinem Erbteil nicht zufrieden. Als angesehener Händler war ich Mitglied der Innung und hatte ein gewichtiges Wort in der Stadt zu führen. Rungbert aber säte Zwietracht unter den Männern. Er behauptete, ich würde die Innung um ihr Geld betrügen, und als eines Tages ein Sack ihres Goldes unter meiner Schlafstätte gefunden wurde, die abzuführen gewesen wäre, schien die Anklage erwiesen.
In einer Stadt, die nur auf dem Gelde baut, ist es das schlimmste Verbrechen. Mir blieb nichts anderes übrig, als in der Nacht zu fliehen und Rungbert das Erbe zu überlassen. Nun sind es bereits über zwanzig Jahre, dass ich durch das Land ziehe und doch sehnte sich mein Herz immer nach Vineta, der Stadt meiner Jugend.“
„Immerhin habt ihr die Mutter auf der Wanderschaft kennengelernt“, warf der Jüngling ein.
„Das ist richtig“, nickte der Alte und lächelte, als würde er in Erinnerungen schwelgen. „Sie war das Wunderbarste, was mir widerfahren konnte. Doch war ich inzwischen ein Soldat in Diensten des Kaiser Ottos, als ich sie traf. Sie schenkte mir ihr Herz und war mir eine treue Gefährtin, bis die Krankheit sie hinweg raffte. Nur du, mein lieber Sohn Niels, bist mir geblieben. Du bist groß und stark, dass es deiner Mutter eine Freude wäre, wenn sie dich nun sehen könnte.“
„Ach wäre sie doch nur bei uns“, sagte Niels mit Bedauern.
„Ich bin gewiss, dass sie es ist. Vom Himmel aus beobachtet sie dich und hält ihre schützende Hand über dich. Vergiss das niemals!“ entgegnete der Vater.
„Das werde ich nicht, geliebter Vater“, versprach der Sohn. „Doch sagt mir, warum es euch nun nach der Stadt drängt und ihr die beschwerliche Reise auf euch nehmt? Es ist schon so viel Zeit vergangen.“
Der Vater blickte in die Ferne hinüber zu dem Horizont, als würde er die Zinnen Vinetas dort erkennen, wenn er sich nur genug Mühe gab.
„So lange Zeit“, sinnierte er. „Mein Bruder mag mir alles genommen zu haben. Ich kann es ihm vergeben. Mein Sohn aber soll sein Anteil an dem Erbe erhalten.“
„Mich drängt es nicht nach Gold“, rief Niels vehement aus.
„Du kennst noch so wenig von der Welt, dass es dir als nichts erscheint. In späteren Jahren wirst du es zu schätzen wissen. Es steht dir zu.“
„Wenn ich glaube, was ihr mir über den Oheim berichtet habt, mag er es mir kaum geben“, warf der Sohn ein.
„Wir werden es sehen. Soviel ich gehört habe, hat er keine Nachkommen gezeugt. Die Familienbande sind stärker als alle Macht der Welt“, entgegnete der Vater.
„Das allein kann der Himmel entscheiden“, sagte Niels und zog den Alten am Arm. „Doch nun lasst uns den Weg fortsetzen, dass wir heute Abend eine angenehmere Lagerstatt finden mögen.“
„So Gott es will“, bestätigte der Vater, woraufhin die beiden den staubigen Weg von Loddin nach Vineta weiter beschritten.

2

Es dauerte bis zum späten Nachmittag, dass die beiden Wanderer die Anhöhe erreichten, von der aus sie hinunter in die Bucht sehen konnten. Vor ihnen lag eine Stadt am Meer, und mochte sie auch noch winzig wirken, so reckte sich ein Turm doch weit über den Dächern der Häuser hinaus, als rufe er die Wanderer zu sich.
„Vineta“, sagte der Alte und wies mit der Hand geradeaus.
Für Niels war das ein fremder Anblick. Noch nie hatte er eine solch große Stadt gesehen. Die Dächer glitzerten im Sonnenschein wie die verborgenen Geschmeide Aladdins, dass selbst der Vater zu zweifeln begann, ob die Schindeln in den vergangen Jahren nicht doch mit Gold überzogen worden waren. Es sah aus wie eine riesige Schatzkiste, aus deren geöffneten Deckeln die Smaragde und Edelsteine überquollen.
Im Hintergrund aber zog sich ein schmaler Streifen entlang, der sich wie ein träger Wurm am Rand der Welt entlangschlängelte. Das war das Meer, von dem Niels bereits gehört hatte, es jedoch noch niemals gesehen hatte.
„Es sieht aus wie in meinen Erinnerungen“, nickte der Vater vor sich hin.
„So lasst uns eilen! Es dauert nicht mehr lange, bis die Sonne untergeht“, sagte Niels und schritt den Hügel hinab.
Von Loddin her näherten sie sich der Stadt von der Südseite, direkt auf das große Stadttor zu. Es wuchs mächtig aus den Mauern heraus und war so hoch, dass zwei Männer aufeinander nicht an den oberen Rand gelangen konnten. Als die beiden Wanderer näher kamen, erkannte Niels, dass es tatsächlich aus Erz gegossen worden war. Die Künstler der Stadt hatten es mit feinen Ornamenten verziert, dass es wie die Pforte in eine andere Welt erschien.
Beide Flügeltüren standen offen. Ein Wächter hatte sich davor postiert. Er hielt seine Lanze fest umklammert und blickte den beiden Wanderern abwartend entgegen. Als sie ihn erreichten, löste sich eine Hand von der Lanze und streckte sich ihnen zum Zeichen des Haltens entgegen.
„Wer seid ihr?“ fragte er mit grollender Stimme.
„Wanderer aus Loddin“, entgegnete der Ältere und neigte den Kopf ein wenig zur Seite.
„Wie ich sehe, führt ihr keine Ware bei euch. Was begehrt ihr hier in der Stadt?“ fragte der Wächter weiter.
„Wir wollen meinen Bruder besuchen“, sprach der Ältere, der einen Augenblick zweifeln mochte, ob diese Offenbarung ratsam sein mochte.
„Wie heißt euer Bruder?“ blieb der Wächter unerbittlich.
„Lange schon war ich nicht mehr in Vineta. Solch Fragen war ich nie gewohnt. Stets war die Stadt Fremden gegenüber freundlich gesonnen. So sagt mir, was der Grund für eure Fragen ist“, entgegnete der Ältere, in der Hoffnung, den Namen seines Bruders verheimlichen zu können.
„Die Dänen und Schweden sind's, deren wir uns erwehren müssen. Ganz abgesehen von dem Gesindel, was sich auf dem Land herumtreibt und Einlass begehrt. So sagt mir, wie nennt sich euer Bruder“, entgegnete der Wächter ruhig, da ihm die Fremden nicht sonderlich bedrohlich erschienen.
„Rungbert Brack ist es“, sagte der Ältere, sich bewusst, dass dies die einzige Möglichkeit

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