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Weg vom Wohnzimmer zum Balkon fiel der riesige, schwarze Flügel ins Auge. Wir erfuhren, dass Garys Frau eine professionelle Pianistin ist und er selbst sein Geld damit verdient, reichen Leuten ihr Vermögen möglichst gewinnbringend anzulegen. Wenn es klappt verdiene er auch nicht schlecht. Es war noch ein anderes Ehepaar aus Sydney dabei.
Wir blieben nicht lange, wir fühlten uns dem Kreis nicht richtig zugehörig. Als wir uns verabschiedeten, steuerte ich auf die Treppe zu und nicht auf den Aufzug. Gullan stand noch drinnen und sprach mit Frau der Fra. Gary war mit uns den Aufzug nach oben gefahren und gab mir irgendwelche Anweisungen, damit wir unten durch die Sicherheitsabsperrung kommen. Ich verstand nicht alles und guckte wohl entsprechend. Da entschied er sich plötzlich für etwas anderes, holte mich wieder in die Wohnung und wir, einschl. Gullan, gingen einen langen Gang an verschiedenen Räumen vorbei bis er dann eine Tür öffnete. Diese führte in ein zweites Treppenhaus. Aus irgendeinem Grund sollten wir das benutzen. Vielleicht wollte er nur zeigen, dass seine Wohnung zwei Ausgänge zu verschiedenen Treppenhäusern hatte.
Wir gingen nach unten und als wir sahen, dass wir auf Höhe des Hinterhofes mit den Parkplätzen waren, gingen wir raus und die Tür schlägt hinter uns zu.
Wir schauten ein bisschen blöd, gingen nach vorne und fanden aber nur ein großes verschlossenes Eisentor vor der Ausfahrt. Die Tür unseres Treppenhauses konnte man von außen nicht öffnen, man brauchte einen Schlüssel. Wir waren gefangen, wie zwei Affen im Zoo.
Die Situation war absurd. Unser Gastgeber gab uns sicherlich gute Anweisung aber wir haben sie nicht ganz verstanden, aber auch nicht so genau zugehört; es kann ja nicht so schwer sein ein Haus zu verlassen! Wir standen ca. 15 Minuten da im Hinterhof, kein Mensch zu sehen, wir mussten lachen.
Da sahen wir ein Auto in den Hof des Nachbarhauses einfahren. Den müssen wir uns schnappen, der muss uns helfen! Eine schwarzhäutige Dame stieg aus und ging auf die Eingangstür des Hauses zu. Bevor sie eintreten konnte, rufen wir ihr durch den Drahtzaun zu. Sie schaute etwas misstrauisch, kam aber näher. Wir erklärten ihr unsere lächerliche Situation. Sie musste laut lachen und sagte “My God”. Sie holte ihren Mann, der noch am Auto war. Wir erzählten ihm die gleiche Geschichte. Wir baten ihn, bei Gary zu klingeln oder ihn zu rufen: er sitzt um die Ecke auf dem Balkon im 5. Stock. Ich machte ein paar Fotos mit Gullan und dem Afrikaner mit dem großen Eisengitter dazwischen.
Der tiefschwarze Afrikaner kam zurück und sagte, dass Herr H. runter kommt und uns befreit. Ich bedankte mich bei ihm und sagte: ”Sie haben unser Leben gerettet.” Er hatte eine schnelle Antwort parat: “Das ist mein Job, ich bin Arzt, Chirurg.”
Gary kam runter und lachte auch. Ich vergaß ihn zu fragen, was ich missverstanden habe. Er kommt ja im Mai zu uns und werde das dann nachholen.
Nach dieser wundersamen Rettung wanderten wir nach unten zum Strand wo an diesem Abend irgendein Lichterfest im Wasser stattfinden sollte. Die Leute strömten herbei und hatten Picknickkörbe und Wein mit, wie das hier so üblich ist. Es waren aber noch 2 Stunden bis dahin und wir beschlossen nach Hause zu gehen.
Fremantle
Fremantle liegt direkt an der Küste, nur ca 15 km von Perth entfernt. Es wurde 1830 von den Engländern gegründet, wie fast alle anderen Orte mit dem ersten Ziel, Strafgefangene von England in den neuen Kontinent zu verfrachten. Erst später kamen freie Siedler dazu und zusammen bauten sie bewohnbare Siedlungen.
Es begann 1788 als das allererste Schiff mit Strafgefangenen an der kleinen Bucht, wo heute die berühmte Oper in Sydney liegt, anlegte und die ersten Zelte aufgebaut wurden. Die ersten Jahrzehnte der Besiedelung waren unglaublich schwer für die Neuankömmlinge: Es gab ja nichts auf diesem unwirtlichen Land, und die kleinen Segelschiffe brachten viele Strafgefangene aber wenig Lebensmittel und Werkzeuge mit. Diese ersten Immigranten vollbrachten wahrlich eine große Leistung.
Von der Behandlung der eingeborenen Aborigines erfährt man nicht so viel. Aber es gibt genügend Bücher darüber für die Interessierten: Sie wurden verjagt, bei Widerstand in Gefängnisse gesperrt oder gleich erschossen. Eingeschleppte Krankheiten dezimierten ganze Stämme. Später wurden sie in Reservate gesteckt und bekamen etwas Geld für ihren Unterhalt, das in ihrer Kultur überhaupt nicht vorkam. Die meisten verkamen, da das alte Leben nicht mehr gelebt werden und das Leben der neuen Landbesitzer nicht einfach übernommen werden konnte. Eine Tragödie, die natürlich nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Seit Mitte 1960 gibt es allerdings ein Gesetz, das den Ureinwohnern ein gewisses Recht auf ihr angestammtes Land einräumt. So gehört der heiligste Ort vieler Aboriginis, der Uluru früher Ayers Rock, jetzt ihnen. Sie haben aber nicht das Recht die touristische Vermarktung zu beenden.
Am 13 Februar (der jetzt “Sorry Day” genannt wird) verfolgten wir im Fernsehen ein in der ganzen Welt beachtetes Ereignis: Bei einer feierlichen Veranstaltung und Anwesenheit vieler Stammesältesten bat die neue Regierung die Ureinwohner offiziell für die ungerechte Behandlung um Entschuldigung. Eine große Symbolhandlung, auf die betroffene Minderheiten in vielen anderen Ländern noch warten. Eine Symbolhandlung, die allerdings noch keinerlei Anrecht auf Wiedergutmachung beinhaltet.
(siehe hierzu das Gedicht "Australien")
Wir fuhren mit dem Zug nach Fremantle und waren einen ganzen Tag dort. Mit einer Rundtour im Gratisbus machten wir uns einen ersten Überblick über die Stadt. Der Fahrer fährt an den interessantesten Stellen vorbei und gibt Erklärungen über Lautsprecher. Ein toller Service, den wir auch in den anderen Städten nutzten.
Fremantle hat seine ursprüngliche Bebauung weitgehend erhalten. Viele schicke Häuser im viktorianischen Stil, keine modernen Hochhäuser.
Die wichtigsten Besucherzentren sind das alte Gefängnis und die alte Markthalle. Wir besuchten beide. Im Gefängnis machten wir eine Führung mit, die einen starken Eindruck hinterließ.
Das alte Gefängnis in Fremantle war einst eines der berüchtigsten Gefängnisse des Britischen Imperiums. Hier waren britische Sträflinge sowie örtliche, militärische und Kriegsgefangene untergebracht. Heute gilt es als eines der wichtigsten Kulturerbe des Landes. Es ist eine riesige Anlage und war bis Mitte 1960 in Betrieb, wenn ich es richtig verstanden habe. Die Bedingungen waren schlimm, Grausamkeiten und Folter an der Tagesordnung. Alles ist erhalten, auch der Strang und die Fallgrube für die Hinrichtungen.
Die alte Markthalle
war auch sehenswert, obwohl man solche ja schon in vielen Städten gesehen hat. Es gab fast alles in dieser Halle, die keine Klimaanlage hatte. Wir kauften uns T-Shirts mit einem aufgedruckten Aborigine-Muster, da unsere, die wir anhatten, durchgeschwitzt waren.
Als letztes sahen wir uns das Round House an. Es ist das erste erbaute Haus in Fremantle und wurde von den hertransportierten Strafgefangenen, gleich nach ihrer Ankunft 1830, selbst als ihr Gefängnis errichtet.
Ein zweiter Ausflug von Perth führte uns mit einem kleinen Passagierboot über den Swan River zu der Insel Rottnest Island 10 km vor Fremantle, da Gary uns diesen Trip empfohlen hatte. Der Kapitän wusste, was die Passagiere interessiert und zeigte uns aus der Nähe die vielen Millionärsvillen direkt am Strand.
Rottnest Island ist sozusagen unbewohnt, es dürfen keine Privatautos mitgenommen werden und es gibt jede Menge kleine, idyllische Strände. Alles stimmte, aber: Es waren jede Menge Touristen dort und jede Menge Übernachtungshütten.
Wir machten die übliche Gratistour mit dem Bus, bestaunten die vielen kleinen und sehr weißen Strände sowie die dahinterliegende karge aber grüne Buschlandschaft.
Auf einer Gedenktafel lasen wir, dass die Insel früher als Gefangenenlager für Aboriginis diente.
Wir waren hungrig, kauften Sandwiches und Cola, setzten uns in den Schatten und warteten auf das Schiff, das uns wieder zurück nach Perth bringen sollte.
Albany
Eigentlich hatten wir zu Beginn gar nicht geplant, einen Wohnungstausch in Perth zu machen. Wir wollten von Singapur nach Perth fliegen und von dort direkt weiter nach Albany, 400 km südlich von Perth. Wir hatten schon früh Kontakt mit einem Paar, Anne und Richard G., das 10 km von Albany entfernt direkt an einer Bucht auf einem 10 Hektar großem Grundstück wohnten. Anne und Richard waren bereits im Mai 2007 für 2 Wochen bei uns.
Dieses Paar wusste bereits welche 2 Wochen wir bei ihnen sein werden. Dann meinten wir aber, es wäre interessant auch Perth kennenzulernen und vielleicht waren wir ja nach der langen Flugreise wieder so kaputt wie 2006. Anstatt 2 Tage Hotel, wie wie erst geplant hatten, suchten und fanden wir einen Tauschpartner für 2 Wochen in Perth. Von dort wollten wir dann nur für einige Tage nach Albany. Wir Anne und Richard. Wir wussten, dass sie während unseres Aufenthalts in deren Haus verreisen würden. Es stellte sich heraus, dass sie ein Zimmer in Perth gebucht hatten. So kam es, dass wir sie in Perth trafen. Sie besuchten uns für einige Stunden in „unserem“ Haus.
Am 9. Februar fuhren wir mit dem Bus nach Albany. Es wurde eine neue Erfahrung für uns: 6 Stunden durch Buschland und verdorrtes Weideland mit vielen Kühen, Schafen und gegrabenen Wasserlöchern. Die Tiere fraßen sozusagen Heu direkt von der Weide. Die Rinderfarmer haben es hier leichter: Sie brauchen kein „Heu machen“ und die Tiere sind das ganze Jahr über auf der Weide. Nur das Wasser für die Tiere ist ein ständiges Problem. Die Trockenheit der letzten Jahre hat die Farmer veranlasst, verstärkt nach Wasser zu bohren, was den Grundwasserspiegel gesenkt hat. Wie wir später erfuhren, ist das ein Grund, weshalb es viele Salzseen gibt, die man gut vom Flugzeug aus sehen kann.
In Albany wurden wir von Richards Sohn Paul erwartet. Wir kauften ein und Paul fuhr uns mit Richards nagelneuem Landrover zu unserem Luxus-Zuhause für die kommenden 3 Tage. Nach 10 km schwenkte er in das riesige Grundstück ein, 100 Meter breit und 1 Kilometer lang, teils Busch, teils Wiesen, näher zum Haus Parklandschaft mit vielen großen, alten Bäumen. Die Nachbarn haben ähnliche Grundstücke. Als Hobby und zum Freihalten der Wiesen hält Richard 3 Kühe und einige Schafe.
Das Haus ist riesengroß für unsere Verhältnisse und liegt direkt an einer Meeresbucht an deren anderen Seite wir Albany erkennen konnten. Wir schliefen in separaten verschiedenen Gästezimmern (das übliche Matratzenproblem). Das vornehme Main Bedroom trauten wir uns nicht zu betreten. Im Garten pflückte ich große Pflaumen und Zitronen. Passionsfrüchte wuchsen an einer Hecke.
Da hier kaum Verkehr herrschte, traute ich mich mit dem nagelneuen Landrover bei Linksverkehr auf die Landstraße und wir fuhren an die Frenchman Bay, 10 km weiter. Wir waren fast alleine, machten Spaziergänge und Picknick an wunderschönen Sand- und Klippenstränden mit fantastischen Felsformationen (siehe Bild). Der Sand war so weiß, wie wir es vorher noch nie gesehen haben. Wir füllten eine leere Wasserflasche damit als Souvenir.
Wir bekamen Kontakt mit den freundlichen Nachbarn die uns spontan zu einer Rundtour durch Albany einluden. Auf diese Weise lernten wir auch diese Kleinstadt kennen. Aufgrund des größeren Verkehrs dort hatten wir eine Fahrt dorthin nicht geplant. Ich erfuhr, dass am nächsten Tag die Mülltonne zum Leeren zur Straße gebracht werden muss. Der Hinmarsch war schwierig, die schwere Tonne mit zwei Rädern war schlecht manövrierbar.
Die Rückholaktion am nächsten Tag war einfacher. Bei den drei Kühen machte ich eine Pause und erzählte ihnen, dass ich entfernte Verwandte von ihnen als kleiner Junge auf einer saftigen, von Tannenwald umsäumten Wiese in Bavaria gehütet habe. Sie guckten etwas blöde, wie Kühe das so tun. Wahrscheinlich dachten sie: Was redet der denn für ein blödes Zeug!
Wir fühlten uns sehr wohl hier, allein auf diesem idyllischen Anwesen, und hätten es länger aushalten können.
Am 12. Februar holte Paul uns wieder ab und brachte uns zu dem kleinen Flugplatz. Jeden Tag ein einziger Flug: von und nach Perth. Da die Flughöhe relativ gering war konnte man die Landschaft sehr deutlich sehen, diesmal von oben.
Am nächsten Tag hatten wir das Gefühl, dass wir Perth jetzt ausreichend kennen und freuten uns auf das Abenteuer Melbourne, das am nächsten Tag mit dem Flug dorthin beginnen sollte.
© Willi Grigor, 2008 (rev. 2016)
Prosa und Gedichte:
https://www.literatpro.de/willi-grigor