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langsam nach unten.
„Trotz technischer Überheblichkeit scheint man sich hier im Notfall doch lieber auf die gute alte Mechanik verlassen zu wollen ...“
„Licht …“
Je mehr sie den Raum verließen, desto heller wurde es. Die beiden befanden sich, unten angekommen, in einem Gang, dessen Wände aus einem Material waren, das offensichtlich, wenn auch nur schwach, eigenständig leuchtete.
„Ishani, du bist ein Engel.“
Voller Freude über den gefundenen Ausweg, gab sie ihm einen Wangenkuss. Lesharo hätte am liebsten herzhaft erwidert, doch andere Dinge waren zu diesem Zeitpunkt einfach wichtiger. Ohne wertvolle Minuten zu verlieren, nahm er ihre Hand und beide eilten durch die Röhre, denn es gab wie vorhin beim Aufzug nur eine Richtung.
„Endet dieser Weg auch mal irgendwann?“
„Frag besser den da!“
Im weiteren Verlauf des geheimen Ganges stand eine steinerne Statue.
„Der Typ ist echt völlig durchgeknallt.“
Ishani verstand nicht worauf er hinauswollte.
„Wie bitte!“
„Ich bin ja wirklich kein Historiker, aber bei dem Herrn dort handelt es sich offensichtlich um den altägyptischen Gott Chnum.“
Befanden sie sich etwa in einer Sackgasse? Zweifelsohne endete der Weg hier, ohne jegliche Hinweise auf eine Tür oder dergleichen.
„Hilf mir mal lieber!“
Mit seiner Unterstützung erklomm sie den Rücken des circa drei Meter hohen Abbildes, stellte sich auf die Schultern der Gottheit und schaute sich um.
„Hier scheint es eine Luke in der Decke zu geben, falls diese feinen Linien wirklich entsprechende Konturen sind.“
Mit beiden Händen drückte Ishani so fest sie konnte gegen das kaum sichtbare Quadrat.
„Es hat keinen Sinn, die Platte bewegt sich einfach nicht.“
Wieder zurück auf dem Boden, schauten sich beide die Statue noch einmal genauer an. Bestimmte Stellen waren mit rötlichem Metall versehen: Der an Widdertiere erinnernde Kopf samt Höner, ein Teil der spärlichen Kleidung sowie Anch-Kreuz und Stab, die er in den Händen hielt.
„Sein Schmuck wird seltsamerweise nicht hervorgehoben mit Ausnahme …“
Ein Ring zierte die Hand, mit dem Chnum das Anch-Kreuz umschloss. Ishani berührte den Reif und versuchte daran zu drehen. Da der entsprechende Finger nahezu unauffällig abspreizte, gelang es ihr schließlich das Schmuckstück abzuziehen.
„Interessant, aber einen Ausgang haben wir immer noch nicht gefunden.“
„Ich muss da noch mal hoch.“
Erneut stand sie auf den Schultern des Kolosses und suchte das geheimnisvolle Quadrat an der Decke Millimeter für Millimeter akribisch ab. Ziemlich genau in der Mitte des Feldes leuchtete schließlich ein aufgemaltes Auge auf und exakt um dessen Pupille herum konnte der Ring hineingedrückt werden. Binnen kürzester Zeit entstand somit eine Öffnung, durch die man den Gang nach oben hin wieder verlassen konnte.
„Das nennt man dann wohl Größenwahn in höchster Vollendung.“
Lesharo erklomm zuvor ebenfalls die Statue und folgte Ishani in den Saal, der sich schon bald als Grabkammer offenbaren sollte. Auch hier war es nicht völlig dunkel, aber das Licht schien von der draußen scheinenden Sonne zu stammen, die ihre Strahlen dank winziger Schächte ins Innere eindringen lassen konnte.
„Wir befinden uns wohl im Herzen dieser riesigen Pyramide.“
„Allerdings fehlt hier noch etwas Wichtiges ...“
Lesharo deutete auf den leeren Sarkophag direkt neben ihnen. Üppige Grabbeigaben füllten den Raum und waren so akkurat angeordnet, dass man über einzelne Pfade jeden Winkel der Grabkammer problemlos erreichen konnte.
„Unser Chnum hat sich ja gut vorbereitet. Schade nur für ihn, denn die Mühe war leider vergebens, falls der baldige Untergang dieses Planeten wirklich kommen sollte.“
Ishani schaute sich eine kleine Figur an.
„Lust auf ein wenig Geschichtsunterricht?“
Sie folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger nach oben. Ein gut sichtbares Band mit gemalten Szenen erstreckte sich dort knapp unterhalb der Decke über alle Wände. Zwischen Anfang und Ende der offensichtlich als Erzählzyklus gedachten Bilderfolge hatte man die Weltkugel platziert.
„Sonnenscheibe … Aton … Echnaton … Nofretete …“
Zweifelsohne begann die Geschichte mit der Verehrung Atons im Alten Ägypten. Pharao Echnaton hatte vor vielen Jahrtausenden die vielleicht erste monotheistische Religion gegründet. Er ordnete damals alle anderen Götter dem Einen unter, der durch die Sonne symbolisiert wurde. Laut Wandmalerei stiegen einst kosmische Wesen herab, denn nach Echnatons Tod wurde nach und nach die alte Götterwelt wiederhergestellt, was ihnen eindeutig zu missfallen schien.
„Und diese, ich nenne sie mal Außerirdischen, haben dann anscheinend vor mehr als 3000 Jahren zwölf Ägypter entrückt, um sie hier auf Fludurisa anzusiedeln.“
Ishani stand jetzt mit weit geöffnetem Mund da.
„Schau nur Lesharo, die Auserwählten haben etwas energetisches empfangen, dargestellt durch eine Art Aura, was wohl erklären soll, warum sich deren Zivilisation weitaus höher entwickelt konnte als die bei uns auf der Erde.“
Im Zeitraffer skizzierte die Bildergeschichte im weiteren Verlauf den rasanten technischen Fortschritt auf Fludurisa bis zur Gegenwart.
„Aton scheint hier allerdings sehr schnell keine Rolle mehr gespielt zu haben.“
Tief beeindruckt hielten beide inne und ließen die Szenen noch einmal auf sich wirken.
„Nennt ihr das etwa sich nicht von der Stelle rühren?!“
Chnum hatte unbemerkt auf demselben Weg wie sie zu ihnen gefunden. Seine Kleidung war verdreckt und an einigen Stellen stark beschädigt.
„Was ist da draußen denn los?!“
Ishani wollte mit dieser Frage den Fokus der Aufmerksamkeit verschieben.
„Es gab mehrere Selbstmordanschläge im Tempel … Wir haben also keine Zeit mehr zu verlieren!“
Jetzt zog Lesharo Chnums Blicke auf sich.
„Was hast du vor? Willst du uns etwa auf die Erde beamen und dann dieses Raumschiff dort landen lassen?
„Es wird für euch Erdenbürger in Kürze ein neues Zeitalter anbrechen!“
Sein Gesicht verklärte sich und er begann regelrecht zu schwärmen.
„Zuerst werden wir flächendeckend grauenhafte Tsunamis hervorrufen, denn rund 40 Prozent der Weltbevölkerung lebt schließlich in Küstennähe. Und dann, mitten im größten Chaos aller Zeiten, werdet ihr beiden dann langsam, begleitet von weltweiten Himmelserscheinungen, auf die Erde herabschweben. Jedes Smartphone, jede Videowand, jedes Tablet, jeder Computer und jedes Fernsehgerät sollen dieses Ereignis zeitgleich übertragen … Ja, ihr werdet als Mensch gewordene Götter über euren eigenen Planeten herrschen …“
Unangekündigt schoss die Faust heran und schlug ihn zu Boden.
„Nur zu, ich muss eh bald sterben ...“
Mit dieser Nachricht hatten die beiden nicht gerechnet. Lesharo beugte sich zu ihm herunter.
„Trotz Perfektion sind leider selbst für uns nicht alle Probleme lösbar ...“
Kurzes Schweigen erfüllte die Grabkammer.
„Was ist eigentlich mit diesen 111 Fludurisianern, von denen du vorhin gesprochen hast?“
„Irgendwie muss man sich ja die Eliten bei Laune halten. Einige von ihnen haben meinen Plan wohl durchschaut, sonst wären vorhin keine Bomben explodiert.“
„Und das gigantische Raumschiff beherbergt dann folgerichtig keine Menschen oder